Putin und Erdogan Russisch-türkisches Tête-à-Tête

Die Staatschefs Erdogan und Putin demonstrieren in Istanbul ihre gekittete Freundschaft. Man spricht über Energieprojekte und den Syrien-Konflikt. Die beiden können nicht anders. Zu viel steht auf dem Spiel.

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Stets ist seine Miene grimmig. Aber wenn Wladimir Putin kommt, lächelt selbst Erdogan. Und ihre Krawatten haben sie auch noch abgestimmt.

Athen Recep Tayyip Erdogan hat international nicht viele Freunde. Der türkische Staatschef hat sich nach und nach mit fast allen überworfen. Ob Erdogan US-Vizepräsident Joe Biden trifft, Außenminister John Kerry in Ankara empfängt oder Kanzlerin Angela Merkel am Bosporus begrüßt: Stets ist seine Miene grimmig. Aber wenn Wladimir Putin kommt, lächelt selbst Erdogan. Man sieht: Die beiden können miteinander.

Dabei herrschte noch vor einem halben Jahr wegen des Abschusses eines russischen Bombers durch die türkische Luftwaffe Eiszeit zwischen Ankara und Moskau. Putin sprach von einem „Dolchstoß“, geißelte den türkischen Staatschef als „Komplizen“ der IS-Terrormiliz und beschuldigte Erdogans Familie, sie verdiene am Öl-Schmuggel der Dschihadisten. Jetzt sind die beiden Politiker wieder beste Freunde, wie die herzliche Begrüßung zeigte, die Erdogan dem Kremlchef am Montagnachmittag in Istanbul zuteilwerden ließ.

Die beiden Präsidenten nutzten die Bühne des Weltenergiekongresses, um der internationalen Öffentlichkeit ihre Aussöhnung zu demonstrieren. Sie wurde im Juni mit einer Entschuldigung Erdogans für den Abschuss eingeleitet. Nach einem Besuch des türkischen Präsidenten in Sankt Petersburg Anfang August und einem Treffen beim G20-Gipfel im chinesischen Hangzhou einen Monat später war die Begegnung in Istanbul bereits das dritte Tête-à-Tête.

Dass die Chemie zwischen den beiden Machtpolitikern stimmt, ist nicht zu übersehen. Neben persönlicher Sympathie gibt es auch Anknüpfungspunkte zwischen beiden Ländern, vor allem in der Energiepolitik. Zugleich ist der Vorrat der Gemeinsamkeiten zwischen der Türkei und Russland, die seit Jahrhunderten in der Region um Einfluss rivalisierten, allerdings begrenzt. Das zeigt sich in der Syrienpolitik. Von Russland erhofft Erdogan Rückendeckung für seine Militäroffensiven gegen die Kurden in Nordsyrien und im Nordirak. Im Syrienkonflikt verfolgen Moskau und Ankara allerdings diametral entgegensetzte Ziele: Russland stützt Assad politisch und militärisch, die Türkei will das Regime in Damaskus stürzen.

Man bemüht sich, die Differenzen zu überspielen. Russland, das den syrischen Luftraum faktisch kontrolliert, duldet die türkischen Militäroperationen, und Erdogan, der sich sonst gern als Anwalt des syrischen Volks brüstet, schweigt zu den Bombenangriffen der syrischen und russischen Luftwaffe auf Aleppo. Trotz aller grundsätzlichen Gegensätze in den Kriegszielen gibt es Aspekte, in denen sich die Interessen Russlands, der Türkei und des syrischen Regimes decken. Wie Ankara, wollen auch Moskau und Damaskus die Bildung einer kurdischen Autonomiezone in Nordsyrien verhindern, da dies zu einer Spaltung Syriens führen könnte. Als Verbündeter Assads dürfte aber Putin gegen eine längere militärische Präsenz der Türkei in Nordsyrien, wie sie Erdogan offenbar anstrebt, durchaus etwas einzuwenden haben.

Solche Konfliktpunkte klammert man freilich aus – und konzentriert sich auf gemeinsame Interessen. Die gibt es vor allem im Energiesektor. Er ist ein Schwerpunkt der Wirtschaftsbeziehungen der Türkei mit Russland, ihrem wichtigsten Energielieferanten. Es geht nicht nur um Öl und Gas. In Akkuyu an der anatolischen Südküste baut der russische Staatskonzern Rosatom das erste türkische Atomkraftwerk, das 2022 ans Netz gehen soll. Rosatom wird den Reaktor auch betreiben – ein wichtiger Exporterfolg der Russen in einem Nato-Land.


Wie weit geht die neue Freundschaft?

Putin und Erdogan bekräftigten auch die Pläne zum Bau der Pipeline Turkish Stream, die russisches Erdgas durch das Schwarze Meer nach Kiyiköy westlich von Istanbul bringen soll. Die Hälfte des Gases ist für die Türkei bestimmt, die andere Hälfte soll über Griechenland auf den Balkan und weiter nach Westeuropa fließen. Über dem Projekt schweben aber noch viele Fragezeichen: In der EU gibt es politische Widerstände gegen eine noch größere Abhängigkeit vom Kreml-Konzern Gazprom, der bereits einen Marktanteil von 30 Prozent hat. Außerdem gibt es angesichts rückläufiger Nachfrage und sinkender Preise Zweifel an der Wirtschaftlichkeit des Vorhabens. Dennoch ist Turkish Stream ein Vorzeigeprojekt. Es symbolisiert den Willen zur Annäherung der beiden Länder.

Aber wie weit geht die neue Freundschaft? Aus türkischer Sicht ist der Annährungsversuch ein Gebot der politischen Vernunft. Die nach dem Abschuss von Putin verhängten Sanktionen hatten für den türkischen Tourismus katastrophale Folgen. Vor allem deshalb kroch Erdogan zu Kreuze und entschuldigte sich für den Abschuss. Putin nahm die ausgestreckte Hand gern an. Er versucht, Erdogans Differenzen mit den westlichen Partnern zu nutzen.

Das Verhältnis der Türkei zu den USA ist durch die Kontroverse um die Auslieferung des Exil-Predigers Fethullah Gülen, den Erdogan als Drahtzieher des Putschversuchs verdächtigt, schwer belastet. Auch die türkische Strategie im Syrienkonflikt sorgt für Zwietracht mit Washington. Die Beziehungen zur EU leiden unter den „Säuberungen“, mit denen Erdogan nach dem versuchten Umsturz Kritiker und politische Gegner auszuschalten versucht. Das Verhältnis zu Berlin wird zusätzlich durch die Kontroverse um die Armenier-Resolution des Bundestages und das monatelange Besuchsverbot auf der Luftwaffenbasis Incirlik belastet.

Der Kremlchef versucht, aus diesen Streitigkeiten Kapital zu schlagen. Putin will die Türkei wirtschaftlich, militärisch und politisch enger anbinden und so einen Keil in die Nato treiben. Erdogan geht auf die Avancen ein, wohl auch wegen seiner politischen Wesensverwandtschaft zu Putin. Vorhaltungen wegen seiner „Säuberungen“ muss er von Putin ebenso wenig fürchten wie Kritik an der Gleichschaltung der Medien oder dem Ausnahmezustand, der es ihm ermöglicht, das Land im Alleingang zu regieren.

Der türkische Präsident liebäugelt sogar mit der Beschaffung russischer Raketen. Die Botschaft an den Westen lautet: Die Türkei kann auch anders. So will Erdogan der EU und der Nato offenbar Zugeständnisse abringen Der Westen sei dabei, „die Türkei zu verlieren“, drohen türkische Regierungspolitiker bereits.

Bei nüchterner Analyse muss der türkische Präsident allerdings erkennen: Russland könnte der Türkei wirtschaftlich niemals die EU ersetzen, weder im Außenhandel noch bei den Investitionen. Die geopolitische Bedeutung der Türkei resultiert vor allem aus ihrer Nato-Mitgliedschaft. Der hat Putin nichts entgegenzusetzen. Auch die Sicherheitsgarantien der Allianz kann er nicht ersetzen. Erdogan versucht, mit dem Kreml-Flirt aufzutrumpfen. Aber die russische Karte sticht nicht.

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