Rajoy verliert Blockadehaltung in Madrid

Die Spanier haben den Wandel gewählt, doch ihre Politiker verweigern sich ihm. Die Debatte ist dominiert von den persönlichen Animositäten der Parteichefs Rajoy und Sánchez. Deshalb bleibt das Land weiter ohne Regierung.

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Mit 33 Prozent der Stimmen ist er inzwischen Meilen von der absoluten Mehrheit entfernt, die er in den vergangenen vier Jahren innehatte. Quelle: AP

Madrid Zehn Stunden lang hat das spanische Parlament am heutigen Mittwoch über das Für und Wider einer neuen Regierung unter Führung des konservativen Parteichefs Mariano Rajoy diskutiert – und sich am Ende gegen ihn ausgesprochen. Das allein ist aber nicht die schlechte Nachricht für Spanien. Schwerer wiegt das düstere Bild, das die Debatte von der politischen Kultur im Land zeichnet.

Acht Monate sind seit der ersten Wahl im vergangenen Dezember vergangenen, als die Spanier erstmals zwei neue starke Parteien in das Parlament wählten und damit die jahrelange Zweiparteienherrschaft beendeten. Acht Monate und eine neue Wahl im Juni hatten die Chefs der beiden großen Traditionsparteien Zeit, sich darauf einzustellen, dass sie künftig nicht mehr alleine regieren können, sondern Kompromisse finden oder gar zusammenarbeiten müssen.

Sie haben die Zeit sinnlos verstreichen lassen. Ihre Beiträge in der Debatte zeigten die alte Frontalstellung – gerade so, als hätten sie gar nicht mitbekommen, dass sich etwas geändert hat in ihrem Land. „Sie haben um das Vertrauen der Kammer gebeten“, sagte Pedro Sánchez, Chef der sozialistischen Partei PSOE mit Blick auf seinen jahrelangen Widersacher Mariano Rajoy. „Ihnen kann man nicht trauen.“

Und das, so Sánchez, liege nicht nur an den zahlreichen Korruptionsfällen von Rajoys Partido Popular (PP), sondern auch an seiner schlechten Regierungspolitik der vergangenen Jahre, die von Sparmaßnahmen und sozialen Kürzungen geprägt sei. „Deshalb werde ich zum Wohle unseres Landes gegen Sie stimmen“, so Sánchez.

„Ich habe Ihr Nein verstanden, jetzt beruhigen Sie sich“, entgegnete Rajoy. „Wie lange wollen Sie denn die Wahlen wiederholen? Bis Ihnen das Ergebnis gefällt?“ Es gebe zu seiner Regierung „keine vernünftige Alternative“, behauptete Rajoy. Der geschäftsführende Premier konnte sich arrogante Bemerkungen wie diese nicht verkneifen.

Er beharrt darauf, dass seine Partei bei beiden Wahlen stärkste Kraft war und die Spanier ihn damit als Chef der Regierung auserkoren haben. Doch mit 33 Prozent der Stimmen ist er inzwischen Meilen von der absoluten Mehrheit entfernt, die er in den vergangenen vier Jahren innehatte. Etwas mehr Konzilianz oder auch Selbstkritik wären deshalb hilfreich.


Rajoy braucht die Hilfe von Sánchez' PSOE

Doch die Debatte war dominiert von persönlichen Animositäten. Das Problem ist, dass die Entscheidung über eine neue Regierung genau in den Händen der so innig verfeindeten Chefs der beiden Großparteien PP und PSOE liegt. Rajoy hat zwar mit der neuen liberalen Partei Ciudadanos ein Abkommen geschlossen, das ihm deren Zustimmung für seine Regierung sichert. Doch das reicht nicht, er braucht auch die Hilfe der PSOE.

Deren Blockade-Haltung ist nicht nur unverständlich, sondern zeigt auch keine Lösung auf: Einerseits wollen sie keinesfalls Rajoy unterstützen, gleichzeitig aber dritte Wahlen vermeiden. Sánchez hat sich bislang nicht zum Ansinnen der linkspopulistischen Partei Podemos geäußert, die ihn aufgefordert hat, mit ihr eine linke Regierung als Alternative zu Rajoy zu bilden.

Die Aussichten, dass dieses Unternehmen klappt, sind aber auch sehr gering: Zum einen brauchen auch sie noch weitere Unterstützer, die sie aufgrund von inhaltlichen Differenzen kaum finden dürften. Zum anderen ist Sánchez bereits im März mit seinem Versuch gescheitert, eine eigene Regierung zu bilden.

Wie geht es jetzt also weiter in Spanien? Zunächst folgt am Freitag der zweite Wahlgang, bei dem Rajoy nur noch eine einfache Mehrheit der Stimmen bräuchte. Ändert Sánchez nicht noch in letzter Minute seine Meinung, wird der PP-Chef da ebenfalls scheitern.

Doch auch das bedeutet nicht automatisch dritte Wahlen. Ab der ersten Abstimmung heute tickt zwar die Uhr für die Regierungsbildung, aber sie lässt den Parteien noch bis Ende Oktober Zeit, sich zu einigen. Erst wenn das nicht gelingt, werden die dritten Wahlen innerhalb von einem Jahr angesetzt – und zwar genau an Weihnachten, am 25. Dezember.

Es ist denkbar, dass die Sozialisten nach den Regionalwahlen in Galizien und dem Baskenland ihr Nein zu Rajoy überdenken. Sie stehen in beiden Regionen unter Druck und wollten dort nicht als diejenigen antreten, die in Madrid der PP an die Macht verholfen haben. Allerdings würde eine Kehrtwende bedeuten, dass innerhalb von zwei Monaten ein Lernprozess stattfindet, den es nun acht Monate lang nicht gegeben hat. Skepsis ist angebracht.

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