re:publica 2017 Pressefreiheit und demokratische Werte in der Defensive

Zum Auftakt der re:publica rückt die Pressefreiheit in den Fokus der Internetkonferenz. Der Appell des türkischen Journalisten Can Dündar an die Solidarität der Netzgemeinde erntet stehenden Beifall.

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Der ehemalige russische Schachweltmeister Garry Kasparow spricht in Berlin auf der Internetkonferenz re:publica über digitale Propaganda. Quelle: dpa

Berlin Zum Auftakt der re:publica in Berlin haben verfolgte Journalisten und Aktivisten die Pressefreiheit in den Mittelpunkt der Internet-Konferenz gestellt. Der türkische Medienmacher und Dokumentarfilmer Can Dündar warb für Solidarität mit inhaftierten Kollegen. Der ehemalige Chefredakteur der „Cumhuriyet“ berichtete von einer Gruppe Kollegen, die seit 190 Tagen in der Türkei im Gefängnis säßen, nur weil sie ihrem Beruf nachgegangen seien. „Es gibt kein Recht und keine Pressefreiheit in diesem Land“, sagte Dündar, der derzeit in Deutschland lebt und arbeitet. Er zeigten zudem Bilder von der Zelle des in der Türkei inhaftierten Journalisten Deniz Yücel. Dündar rief dazu auf, auch von Deutschland aus die Betroffenen zu unterstützen - und erntete anhaltenden Applaus.

Auch Journalisten und Aktivisten aus Ungarn, Ägypten und Polen berichteten von zum Teil schweren Einschränkungen der Pressefreiheit in ihrem Land. „Ungarische Journalisten waren wie der Frosch in einem Topf mit Wasser, das langsam zum Kochen gebracht wird“, sagte Márton Gergely, der stellvertretende Chefredakteur der eingestellten ungarischen Oppositionszeitung „Népszabadság“. Die Medien in seinem Land hätten die Bedrohung erst zu spät erkannt und sich auf politische Grabenkämpfe eingelassen, anstatt Neutralität und Solidarität miteinander zu bewahren. Der ägyptische Netzaktivist und Sicherheitsforscher Ramy Raoof forderte die Anwesenden dazu auf, Anfragen bei Regierungen zu stellen und alle Informationen im Netz zu veröffentlichen, um bedrohten Akteuren der Zivilgesellschaft in Ägypten zu helfen.

Ein weiteres Thema auf der re:publica war auch das sogenannte Darknet, das für viele Journalisten in aller Welt oft der einzige Weg für eine freie Kommunikation. Ohne den sicheren Datenaustausch etwa über die Software Tor hätte er seinen Beruf als Journalist in Syrien zuletzt nicht mehr ausüben können, sagte Ahmad Alrifaee von der Hamburg Media School bei einer Podiumsdiskussion zum Thema. Der Syrer, der seit 2014 in Deutschland lebt, hatte zuvor unter anderem vom Krieg in seinem Land in Reportagen berichtet und als Fotograf für große Agenturen gearbeitet. Wer das Darknet in Syrien nicht nutze, laufe schnell Gefahr, festgenommen oder getötet zu werden.

„Viele Journalisten unterschätzen immer noch, welchen Gefahren sie sich aussetzen - trotz Snowden“, sagte Daniel Moßbrucker von Reporter ohne Grenzen. Das Netzwerk Tor sei für solche Zwecke ein „probates Mittel“. Auch im Iran und in China werde es nicht nur von Journalisten viel genutzt, um die Zensur zu umgehen, sagte Moßbrucker. „Im Moment sehen wir gerade, dass in der Türkei die Nachfrage deutlich größer wird.“

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) betonte bei der Eröffnung den Wert freier und unabhängiger Medien. Berlin stehe wie keine andere Stadt für Liberalität, für Offenheit und Toleranz, für Freiheit und Internationalität, sagte er. Diese Dinge und auch die Meinungs- und Pressefreiheit seien nicht selbstverständlich, sondern Werte, „für die man immer wieder kämpfen, sich immer wieder engagieren muss“. Die anstehende Bundestagswahl im September ist für ihn „vielleicht ein Testfall, wie wir uns gemeinsam auseinandersetzen mit dieser Debatte um Lügenpresse und Fake News“, sagte Müller.

Der russische Oppositionelle und ehemalige Schach-Champion Garri Kasparow warnte am Montagabend vor Versuchen Moskaus, nach den US-Wahlen im vergangenen Jahr auch die Bundestagswahl im Herbst zu beeinflussen. Der russische Präsident Wladimir Putin wolle, dass Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ihr Amt verliert, auch weil sie die westlichen Sanktionen gegen Russland unterstütze, sagte der scharfe Kritiker Putins.

Er warnte vor einer Abkehr von demokratischen Freiheiten im Westen. Leute, die es in Ordnung fänden, wenn es etwa unter US-Präsident Barack Obama Überwachung gebe - aber dies unter seinem Nachfolger Donald Trump für besorgniserregend hielten, seien Teil des Problems. Denn es gehe nicht um Persönlichkeiten, sondern um das System. Das sei besonders wichtig in einer Situation, in der „nicht-demokratische Regierungen entdeckt haben, dass sie übers Internet manipulieren können“.

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