Reaktionen auf May-Rede Eine Antwort der Tory-Chefin und viele Fragen

Der B-Day rückt näher: Premierministerin Theresa May will die offiziellen Brexit-Gespräche mit der EU bis Ende März in Gang zu setzen. Wichtige Fragen bleiben beim Parteitag der Konservativen aber weiterhin offen.

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May über den Brexit: „Es wird keine unnötigen Verzögerungen geben“ Quelle: Reuters

London Großbritanniens Premierministerin Theresa May peilt das Frühjahr 2019 für den britischen EU-Austritt an. Sie deutet an, dass sie den Binnenmarktzugang aufgeben wird, um die Einwanderung kontrollieren zu können. Mit weiteren Details, wie die künftigen Beziehungen zu Brüssel aussehen werden, hält sie sich jedoch zurück und handelt sich Kritik aus der Wirtschaft ein.

Seit gut 80 Tagen ist Theresa May Großbritanniens Premierministerin. Über warme Worte und substanzlose Formeln ist sie seither nicht hinausgekommen, wenn es um ihre große Aufgabe geht, das Land aus der EU zu führen.

Doch jetzt hat May den wohl klarsten Satz seit ihrer Ankunft in der Downing Street ausgesprochen: Bis Ende März 2017 will sie die offiziellen Austrittsgespräche mit der Staatengemeinschaft in Gang bringen, sagte sie beim Parteitag der Konservativen in Birmingham. Geht es nach Plan, dann wird Großbritannien 2019 nicht mehr Teil der EU sein – 46 Jahre, nachdem das Land nach hartnäckigen Kämpfen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft beigetreten war.

Es war die Ankündigung, auf die das Land und die EU seit dem Brexit-Referendum Ende Juni gewartet haben. Die meisten Fragen aber dazu, wie dieser Austritt aussehen soll und was die bisherigen Beziehungen zwischen London und Brüssel ersetzen soll, die bleiben noch immer unbeantwortet – zum Leidwesen der Wirtschaft.

Die Premierministerin hat eine wichtige Frage beantwortet und zwar die, was den Zeitpunkt angeht, damit hat sie jetzt aber die Dringlichkeit, Antworten auf andere Frage zu liefern, verstärkt, sagte Carolyn Fairbairn vom britischen Arbeitgeberverband CBI. Die Wirtschaft könne nicht weiter im Dunkeln bleiben, was die anderen Aspekte angehe. Man brauche klare Signale, wie man künftig mit seinen Partnern Handel treiben könne und wie Unternehmen die Mitarbeiter einstellen können, die sie brauchen, um ihr Wachstum zu forcieren, forderte Fairbairn.

Vor allem große internationale Unternehmen, die ein wichtiges Standbein auf der Insel haben, wollen einen Brexit, der möglichst so viel zu lässt wie bisher – einen so genannten „soft Brexit“. Sie wollen vor allem den Zugang zum europäischen Binnenmarkt behalten. May ließ sich dabei nicht auf eine klare Linie ein: Sie hat versprochen, Einwanderung künftig im besten Interesse Großbritanniens zu begrenzen und gleichzeitig soweit wie möglich den Zutritt zum europäischen Binnenmarkt zu erhalten.


„Das ist eine Katastrophe für britische Jobs“

Doch die EU verbindet den uneingeschränkten Handel mit Freizügigkeit. Daher interpretieren Beobachter Mays Aussage so, dass sie bereit ist, den wirtschaftlichen Vorteil der EU-Zugehörigkeit zu opfern, um die Einwanderung kontrollieren zu können.

Es sehe sehr nach einer harten Brexit-Variante aus, auch wenn May die Unterscheidung zwischen hart und weich nicht mag, schreibt Malcolm Barr von JP Morgan in einer neuen Studie.
Tim Farron, Chef der Liberaldemokraten, geht in seiner Kritik weiter: Theresa May habe deutlich gemacht, dass das Land sich auf einen harten Brexit zubewege. „Das ist eine Katastrophe für britische Jobs, für Unternehmen und die Wirtschaft“, so Farron.

Auch innerhalb der Tory-Partei gab es Kritik: Es sei zu früh, die offiziellen Austrittsgespräche bis Ende März zu starten und damit vor den Wahlen in Deutschland und Frankreich, sagte Anna Soubry, Mays Parteikollegin und ehemalige Staatsministerin im Wirtschaftsministerium. Wenn May in den Verhandlungen Fehler mache, riskiere sie Millionen von Jobs.

May hat bisher nicht nur offen gelassen, wie die Handelsbeziehungen zwischen London und Brüssel aussehen werden. Die Premierministerin muss sich mit der Staatengemeinschaft auch über die Rechte von EU-Bürgern auf der Insel einigen und die Rechte der Briten auf dem Kontinent, über die Details, wie die Grenze zwischen Irland und Nordirland aussehen soll, und über eine Fülle von juristischen und regulatorischen Fragen, etwa zu Landwirtschaft, zum Energiemarkt und zu Themen wie Sicherheit.

Um einige offene Punkte zu klären, setzt sie offenbar auf baldige inoffizielle Gespräche mit der EU. „Wir hoffen, dass wir in der Lage sein werden, etwas Vorarbeit zu leisten, so dass wir reibungslosere Verhandlungen haben werden, sobald wir die offiziellen Verhandlungen in Gang setzen“, sagte sie in einem Fernsehinterview am Sonntag.
Doch die EU erteilte dem Vorschlag erneut eine Absage: Die verbliebenen 27 EU-Mitgliedsstaaten würden mit Großbritannien in Verhandlungen treten, sobald die offiziellen Gespräche nach Artikel 50 des Lissabon-Vertrages von May ausgelöst würden, sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk.

Dass die Gespräche mit der EU möglicherweise länger dauern und der bisher angepeilte Zeitplan, die Verhandlungen innerhalb von zwei Jahren abzuschließen, nicht aufgehen könnte, ist offenbar auch Tory-Politikern bewusst: Handelsminister Liam Fox wollte sich beim Parteitag nicht auf eine feste Zusage einlassen, dass Großbritannien bei der nächsten Parlamentswahl im Jahr 2020 wirklich nicht mehr Teil der EU ist. „Was wir wollen, ist der beste Exit für Großbritannien“, sagte er, „nicht der schnellste“.

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