Reaktionen aus Athen Griechenland hofft auf eine zweite Chance

Am Ende wurde mehr über als mit den Griechen geredet. Doch sie sind es, die mit den  Beschlüssen des Gipfels leben müssen. Handelsblatt-Reporter haben Stimmen und Eindrücke in Athen gesammelt.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Fahnen wehen vor der griechischen Nationalbank in Athen. Quelle: handelsblatt.com

Beim EU-Gipfel war die griechische Politik fast nur Zuschauer. Entsprechend erwartete das Land die Ergebnisse des Treffens mit gespannter Ruhe – die großen Proteste hatte es im Vorfeld gegeben, bevor das Parlament über die Sparpläne abgestimmt hatte. 

Auf den Straßen ist von Reaktionen nichts zu sehen: Auf dem Parlamentsplatz Syntagma, vergangene Woche Schauplatz der heftigen Ausschreitungen, entfernen Arbeiter Protestgraffitis. Auf dem Platz finden morgen Feiern zum Nationalfeiertag statt. Über dem Platz weht die griechische Flagge einmütig neben der EU-Fahne.

Die Banken haben sich längt auf den Haircut eingestellt - zumindest sagen sie das. „Wir wissen seit Monaten, was auf uns zukommt. Wir sind gerüstet“, sagt ein hochrangiger Manager einer staatlichen Bank. Er hofft, dass der Schuldenschnitt dem Land endlich Luft verschafft, damit die Wirtschaft wieder an Geld kommt. Bislang sind die Unternehmen von ausländischen Banken fast komplett abgeschnitten, den inländischen Instituten fehlt Liquidität, um den Mittelstand zu versorgen.

Warum der Haircut allein nicht reicht

„Der Haircut ist wichtig, aber er alleine reicht nicht“, warnt Gikas Hardouvelis, Chefvolkswirt der Eurobank. Die Politik habe zu lange gezögert und müsse jetzt die Krise entschlossen bekämpfen. „Wir müssen außerdem dem Rettungsschirm erlauben, Euro-Bonds auszugeben“, sagt er. Die Unabhängigkeit der EZB müsse hingegen geschützt werden.

Panagiotis Korliras, Chef des staatsnahen Zentrums für Planung und Wirtschaftsforschung, gehört zu den optimistischten Beobachtern. Der Schuldenschnitt gebe Griechenland eine Chance, weil er die Zinszahlungen reduziere, sagt er. Entscheidend sei, dass der Staatshaushalt einen Primärüberschuss aufweise, der größer ist als die jährlichen Zinszahlungen. Nur so könne ein Land zurück zu einer nachhaltigen Haushaltspolitk finden. Wenn das gelinge, dann könne Griechenland Ende 2012 oder spätestens 2013 wieder ein Wirtschaftswachstum aufweisen. Ein Primärüberschuss besteht dann, wenn der Staat mehr einnimmt als er ausgibt, ohne Sondereinnahmen etwa aus Privatisierungen und vor Zinsausgaben.

Für Mathios Rigas, Chef des Ölförderers Energean Oil & Gas, ist ein Haircut nicht die alleinige Lösung. „Wir brauchen Investitionen, vom Sparen alleine kommt die Wirtschaft nicht auf die Beine.“ Die Europäer sollten parallel zum Schuldenschnitt ein entsprechendes Programm auf die Bein stellen, um Griechenland eine Entwicklungschance zu lassen.

Gerüchte über eine Kreditklemme machen die Runde

Andere werden deutlicher: „Unsere Regierung ist kriminell. Wenn sie abtritt, wird Griechenland zum ersten Mal nach der Revolution Sondertribunale brauchen, um die Verbrechen aufzuklären“, wettert Constantine Michalos, Chef der Athener Handelskammer, im Gespräch mit dem Handelsblatt, als die Grundzüge der Vereinbarung klar sind. Dies sei allerdings seine „private Meinung“.  Die Verpflichtung des Staats gegenüber IWF und EU zur Sparpolitik töte den Mittelstand,  Griechenland gebe mit Absicht oder aus Dummheit seine Souveränität auf, sagt er. „Wir brauchen eine Wende um 180 Grad. Statt zu sparen muss der Staat Geld geben, um die Wirtschaft anzukurbeln.“ Damit sieht er sich im Einklang mit der Opposition, die ebenfalls die Wirtschaft über ein Ausgabenprogramm ankurbeln will, statt sie möglicherweise kaputt zu sparen. Sein Land sei Opfer der Krise, nicht ihr Auslöser, die Banken solider als anderswo.

Auch ein hochrangiger Beamter aus dem Wirtschaftsministerium sieht in einem Hintergrundgespräch Griechenland nicht als Auslöser der Krise, sondern als Symptom. Ähnliche Probleme drohten der Euro-Zone insgesamt.

Damit trifft er wohl die Grundstimmung der meisten Wirtschafts-Leute in dem Land. An ein schnelles Ende der Krise glaubt hier niemand – auch nicht nach dem Schuldenschnitt. Gerüchte über einen totalen Stopp von neuen Krediten an Unternehmen machen die Runde. Und erst heute melden die örtlichen Zeitungen, dass der Mittelstand eine riesige Pleitewelle fürchtet.

Zumindest die griechische Börse begrüßt die Einigung: Schon gestern zogen die Kurse 2,35 Prozent an, heute liegt der Leitindex Athex um über zwei Prozent im Plus.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%