Recep Tayyip Erdoğan Sieg bei Referendum ebnet Weg für Todesstrafe

Präsident Erdoğan stellt im Falle seines Sieges beim Referendum eine weitere Volksabstimmung in Aussicht: Diesmal zur Einführung der Todesstrafe.

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Der türkische Präsident Tayyip Erdoğan auf einer Wahlkampfveranstaltung Quelle: REUTERS

Vor dem historischen Referendum in der Türkei hat Staatschef Recep Tayyip Erdoğan um massenhafte Zustimmung zur Einführung seines Präsidialsystems geworben. Erdoğan kündigte am letzten Wahlkampftag vor jubelnden Anhängern in Istanbul an, sein Sieg beim Referendum an diesem Sonntag würde der Wiedereinführung der Todesstrafe in der Türkei den Weg ebnen. Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu sagte am Samstag nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu in Ankara: „Morgen werden wir unsere Entscheidung treffen: Wollen wir ein demokratisches parlamentarisches System, oder wollen wir einen Mann?“

An diesem Sonntag sind 55,3 Millionen Wahlberechtigte in der Türkei zur Teilnahme an dem Referendum aufgerufen. Im Ausland - wo zusätzlich 2,9 Millionen wahlberechtigte Türken registriert sind - wurde bereits gewählt. Das Präsidialsystem würde Erdoğan deutlich mehr Macht verleihen. Gegner der Verfassungsreform warnen vor einer Ein-Mann-Herrschaft. Umfragen - die allerdings nicht besonders zuverlässig sind - sagen ein Kopf-an-Kopf-Rennen voraus.

Erdoğan versprach im Falle seines Sieges Sicherheit, Stabilität und wirtschaftlichen Aufschwung. „Denkt daran, was passieren wird, wenn die Urnen - so Gott will - vor „Ja“-Stimmen platzen“, sagte er bei einem von insgesamt vier Auftritten am Samstag in Istanbul.

von Anke Henrich, Niklas Hoyer, Yvonne Esterházy, Karin Finkenzeller, Philipp Mattheis, Sven Prange, Jürgen Salz, Claudia Tödtmann

Die pro-kurdische HDP warb bei ihrer Abschlusskundgebung in Diyarbakir für ein „Nein“ beim Referendum. Kilicdaroglu - der der Chef der größten Oppositionspartei CHP ist - warnte vor einer Schwächung des Parlaments unter dem Präsidialsystem. Erdoğan nannte den Oppositionsführer eine „Lügenmaschine“. An seine Adresse sagte er: „Morgen wird Dir diese Nation so eine Lektion erteilen, dass Du nicht länger in der Lage sein wirst, auf Deinem Posten zu bleiben.“

Zur möglichen Wiedereinführung der Todesstrafe sagte Erdoğan: „Meine Brüder, meine Entscheidung über die Todesstrafe ist offensichtlich. Wenn das Parlament sie verabschiedet und sie mir vorliegt, werde ich zustimmen und die Angelegenheit beenden. Wenn das nicht geschieht, werden wir ein weiteres Referendum darüber abhalten und die Nation wird entscheiden.“ Mit Blick auf das Referendum am Sonntag fügte er hinzu: „Die Entscheidung morgen wird den Weg dafür öffnen.“

Erdoğan hatte eine Wiedereinführung der Todesstrafe nach dem Putschversuch vom Juli 2016 ins Spiel gebracht. Dafür wäre eine Zweidrittelmehrheit im Parlament nötig. Eine 60-Prozent-Mehrheit würde ein Referendum ermöglichen. Die EU hat angekündigt, dass der Beitrittsprozess der Türkei beendet würde, sollte die Todesstrafe wieder eingeführt werden. Erdoğan sagte, auch in den Beziehungen zur EU werde das Referendum am Sonntag ein „Wendepunkt“. Er fügte mit Blick auf die Europäer hinzu: „Sie halten uns seit 54 Jahren hin.“

Der Staatschef sagte zum Referendum am Sonntag: „Ich werde diejenigen verstehen, die „Nein“ sagen, weil das Demokratie ist.“ Erdoğan verwies aber zugleich darauf, dass nach seiner Einschätzung Anhänger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen für „Nein“ stimmen würden.

Erdoğan macht Gülen für den Putschversuch vom 15. Juli 2016 verantwortlich, der nach Aufrufen des Staatspräsidenten ans Volk niedergeschlagen worden war. Am Samstag sagte Erdoğan: „Wir werden am 16. April unsere Arbeit beenden, die wir am 15. Juli begonnen haben.“ Gülen nannte er einen „Scharlatan“.

Der CHP-Vertreter in der Wahlkommission, Mehmet Hadimi Yakupoglu, kritisierte einen unfairen Wahlkampf von Erdoğans AKP vor dem Referendum. Die AKP habe Staatsmittel missbraucht, um für das Präsidialsystem zu werben, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. „Die AKP konnte damit ungehemmt Propaganda machen. Sie konnte die Flugzeuge und Autos des Staates nutzen. Sie haben nichts aus eigener Tasche bezahlt, sondern mit meinen Steuern.“

Der Chef der OSZE-Wahlbeobachter, Michael Link, sagte der „Augsburger Allgemeinen“ (Samstag): „In der Tat haben wir eine klare Benachteiligung jener Medien beobachtet, die zur Nein-Seite gehören. Zeitungen, Sender und Internetportale, die Erdoğans Partei oder der Regierung nahestehen, werden bevorzugt, bekommen deutlich mehr Sendezeit. Außerdem haben die Anhänger der Nein-Kampagne oft große Schwierigkeiten, ihre Veranstaltungen regulär abzuhalten.“

Das Referendum in der Türkei findet im Ausnahmezustand statt, unter dem die Versammlungsfreiheit eingeschränkt ist und der noch bis zum kommenden Mittwoch andauert. Erdoğan hat bereits angedeutet, dass der Ausnahmezustand - den er nach dem Putschversuch im Juli 2016 ausgerufen hatte - erneut verlängert werden könnte.

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