Rede zum Jahrestag des Putschversuchs Erdogans Abschied von Europa

Keine Gnade für Putschisten – das ist die Botschaft des türkischen Staatschefs Erdogan ein Jahr nach dem gescheiterten Putschversuch. Mit der geplanten Wiedereinführung der Todesstrafe riskiert er den Bruch mit der EU.

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Der Staatspräsident nutzte den Jahrestag des Putschversuches zu einer Rede voller Drohgebärden. Quelle: Reuters

Markige Worte in Ankara: Niemand dürfe ungestraft davonkommen, „wir werden diesen Verrätern die Köpfe abreißen“, kündigte der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan am frühen Sonntagmorgen in Ankara an. Untersuchungshäftlinge will er künftig in einheitliche Uniformen stecken, „wir in Guantanamo“. Erdogan: „Herausgeputzt vor Gericht zu erscheinen, so etwas kann es nicht geben.“ Der Staatschef sprach vor dem Parlamentsgebäude. Seine Rede begann um 2.32 Uhr. In dieser Minute hatten die Putschisten vor einem Jahr die Nationalversammlung bombardiert. Drastische Formulierungen fand auch Parlamentspräsident Ismail Kahraman: „Denjenigen, die unsere Werte angreifen, brechen wir die Hände, schneiden ihnen die Zunge ab und vernichten ihr Leben.“

Hunderttausende Menschen gedachten in der ganzen Türkei mit Versammlungen und „Demokratie-Wachen“ der Ereignisse der Putschnacht. Damals verloren 250 Menschen ihr Leben, als sie sich den Soldaten und ihren Panzern in den Weg stellten. Erdogan würdigte den Widerstand: „Auch wenn wir unsere Märtyrer begraben haben, werden sie für immer in unseren Herzen leben“, sagte der Präsident. Die Putschisten hingegen würden Tag um Tag sterben, weil sie hinter Gefängnismauern verfaulten.
Schon unmittelbar nach dem Putschversuch hatte Erdogan die Wiedereinführung der Todesstrafe angekündigt. Zum Jahrestag bringt er das Thema erneut auf die Tagesordnung. Er werde ein entsprechendes Gesetz „ohne Zögern“ unterschreiben, sagte Erdogan.

Macht Erdogan seine Ankündigung wahr, wäre das wohl das Ende der EU-Beitrittsverhandlungen. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker schrieb zwar in der „Bild am Sonntag“: „Ein Jahr nach dem Putschversuch bleibt Europas Hand ausgestreckt.“ Er erwarte aber, dass die Türkei „europäische Grundwerte nachdrücklich beherzigt.“ Juncker warnte: „Sollte die Türkei die Todesstrafe wieder einführen, würde die türkische Regierung die Tür zu einer EU-Mitgliedschaft endgültig zuschlagen.“

Doch Erdogan scheint sich weder von den Mahnungen des Auslands noch von den Protesten der Opposition im eigenen Land beirren zu lassen. Er setzt seine „Säuberungen“ unvermindert fort. Zum Jahrestag des Putschversuchs ließ Erdogan per Dekret 7395 Polizisten, Soldaten und Ministerialbedienstete feuern. Ihnen werden Verbindungen zu dem Exil-Prediger Fethullah Gülen vorgeworfen, dem einstigen Erdogan-Verbündeten, der sich vor etwa fünf Jahren zum Widersacher wandelte und als Drahtzieher des Putschversuchs beschuldigt wird. Unter den Entlassenen ist auch der frühere Istanbuler Gouverneur Hüseyin Avni Mutlu.

Derweil bahnt sich ein neuer Konflikt zwischen Ankara und Berlin an, nachdem die türkische Regierung einen bereits genehmigten und für diesen Montag geplanten Besuch von sieben Bundestagsabgeordneten auf dem Nato-Stützpunkt im zentralanatolischen Konya untersagte. Auf der Militärbasis sind im Rahmen eines Nato-Einsatzes zehn bis 15 Bundeswehrsoldaten stationiert.

Mit dem Besuchsverbot will sich Erdogan wohl nicht nur dafür rächen, dass ihm die Bundesregierung eine geplante Massenkundgebung vor Landsleuten am Rand des G20-Gipfels in Deutschland verweigerte; Erdogans Ziel dürfte es sein, nach dem Abzug der Bundeswehr aus Incirlik nun auch einen Rückzug des deutschen Kontingents aus Konya zu provozieren. Damit würde der Awacs-Einsatz der Nato gefährdet.


EU-Türkei-Gespräche sind zur Farce geworden

Vom zentralanatolischen Konya aus starten die Awacs-Aufklärer zu ihren Flügen über der Region, um Bewegungen der IS-Terrormiliz in den Nachbarländern zu beobachten. Bundeswehrsoldaten stellen etwa ein Drittel der Awacs-Besatzungen. Ihr Abzug könnte erhebliche Probleme für die Mission der Anti-IS-Koalition verursachen. Möglicherweise will Erdogan genau das. Das Besuchsverbot für Konya wirft wieder einmal die Frage auf, ob die Türkei überhaupt an einem harten Vorgehen gegen den IS interessiert ist. Ihr eigener Militäreinsatz in Syrien richtet sich vor allem gegen die kurdischen Milizen, die am Boden die wichtigsten Verbündeten der USA im Kampf gegen den IS sind.

Wie ein roter Faden zieht sich durch Erdogans politische Biografie die Nähe zu radikal-islamischen Organisationen wie der Hamas und der Muslimbruderschaft. Im Mai 2015 veröffentlichte die oppositionsnahe Zeitung „Cumhuriyet“ Dokumente, die Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes MIT an islamische Extremisten in Syrien zu belegen schienen. Deshalb fordert die türkische Staatsanwaltschaft lebenslange Haft wegen „Spionage“ für „Cumhuriyet“-Chefredakteur Can Dündar. Er konnte vergangenes Jahr nach Deutschland fliehen.

Auch wenn EU-Kommissionspräsident Juncker zum Jahrestag des Putschversuchs nun auf Ankara zugeht und den Wunsch äußert, „dass die Türkei näher an Europa heranrückt, statt sich von uns zu entfernen“, wird eines immer klarer: In der Europäischen Union hat die Türkei in ihrer gegenwärtigen Verfassung keine Zukunft. Die europäischen Staats- und Regierungschefs werden zwar dem Votum des Europaparlaments, die Beitrittsverhandlungen abzubrechen, wohl nicht folgen sondern versuchen, der Türkei die Tür offen zu halten.

Aber die Gespräche sind längst zur Farce geworden. Die Türkei erfüllt die für alle Beitrittskandidaten geltenden Kopenhagener Kriterien, die unter anderem eine demokratische, rechtsstaatliche Ordnung und die Achtung der Menschenrechte fordern, nicht mehr. Unter den gegebenen Voraussetzungen machen auch Gespräche über eine Erweiterung der Zollunion, auf die Ankara seit Monaten drängt, keinen Sinn.

Was Erdogan möglicherweise übersieht: Mit der Polarisierung im Innern und dem Konfliktkurs gegenüber den westlichen Partnern riskiert er die wirtschaftliche Zukunft seines Landes – und untergräbt damit seine eigene Macht. Rechtssicherheit ist für Investoren ein hohes Gut. Darauf wies auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) anlässlich des Jahrestages des Putschversuchs hin. Er nennt die Entwicklung in der Türkei „besorgniserregend“.

Rund 6700 Unternehmen mit deutscher Kapitalbeteiligung gibt es in der Türkei. Nach den Großkonzernen gingen in den vergangenen Jahren zunehmend auch Mittelständler an den Bosporus, vor allem nach der Aufnahme der EU-Beitrittsverhandlungen 2005. Dabei ist ein Beitritt als solcher gar nicht das Entscheidende. Nach dem Motto „Der Weg ist das Ziel“ setzen diese Unternehmer darauf, dass die europäische Perspektive Strukturreformen anstößt und so zur Modernisierung des Landes beiträgt. Doch diese Prämisse bricht unter Erdogan jetzt weg.

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