Referendum in der Schweiz Bürger sagen „nein“ zu Zwei-Klassen-Justiz

Die Mehrheit der Schweizer Bürger hat sich in einem Volksentscheid gegen verschärfte Abschieberegelungen für straffällig gewordene Ausländer ausgesprochen. Gut kamen dagegen die Planungen z u einem großen Bauprojekt an.

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Die Bürger sagen „nein“ zu schärferen Regeln für Ausländer. Quelle: dpa

Zürich Die rechts-konservative Schweizerische Volkspartei (SVP) ist mit ihrer umstrittenen Durchsetzungsintiative gescheitert. Die Vorlage wird mit rund 55 Prozent der Stimmen abgelehnt, hat das Umfrage-Institut gfs.bern in einer Trendrechnung ermittelt. „Die SVP hat eine Niederlage erlitten“, resumierte gfs.bern-Chef Claude Longchamp im Schweizer Fernsehen.

Die von der SVP getragene Initiative sah de facto die Einführung einer Zwei-Klassen-Justiz für Ausländer vor. Demnach sollten Ausländer schon bei Bagatell-Delikten zwingend die Ausweisung aus der Schweiz drohen. Ein Deutscher, der zum Beispiel einmal mit 50 km/h in einer 30er Zone geblitzt worden ist und Jahre später einen Polizisten beleidigt, hätte mit der Ausweisung rechnen müssen. Richter sollten zudem keinerlei Ermessensspielraum im Einzelfall bekommen. Justiz-Ministerin Simonetta Sommaruga hatte die Initiative als „Angriff auf den Rechtsstaat“ gebrandmarkt.

Interessant ist der Verlauf des Abstimmungskampfes. Zu Beginn hatte die kampagnenerprobten SVP die Diskussion bestimmt. Auch die Vorgänge in der Kölner Silvesternacht brachte in der Schweiz das Thema „Ausweisung krimineller Ausländer“ auf die Titelseiten.

Von den anderen politischen Parteien war wenig Widerstand zu hören, sie waren von dem Wahlkampf der Parlamentswahlen vom vergangenen Herbst ausgelaugt. Auch der Wirtschaftsdachverband „Economiesuisse“ hatte sich zurück gehalten, auch wenn er inhaltlich klar gegen den Vorstoß war.

In den vergangenen Wochen hat sich dann aber eine in der Schweiz bis dahin wohl nie dagewesene Graswurzelbewegung der Zivilgesellschaft in Gang gesetzt. 150 Rechtsprofessoren lancierten ein Manifest gegen den SVP-Vorstoß. Die Präsidenten der kantonalen Direktorenkonferenzen sprachen sich kollektiv gegen die Durchsetzungs-Initiative aus. Peter Studer, Ex-Chefredakteur des Schweizer Fernsehens, sammelte in einer Facebook-Kampagne in kürzester Zeit 1,2 Millionen Franken, um gegen die SVP-Initiative zu mobilisieren.

„Man muss neidlos eingestehen, dass die Gegenkampagne gut war. Wir hatten aber auch die ganze Medienlandschaft gegen uns“, erklärte Adrian Amstutz, der Fraktionschef der SVP im Schweizer Nationalrat, dem Äquivalent des Deutschen Bundestages.

Eine deutliche Mehrheit zeichnet sich dagegen für den Bau eines zweiten Gotthard-Straßentunnels ab. Laut Hochrechnungen sind 57 Prozent für den Bau, den Umweltschützer bekämpften. Gemäß der Vorlage soll der alte Tunnel für die Sanierung komplett gesperrt werden. Um die Passage ins Tessin und nach Italien zu gewährleisten, soll zuvor für 2,8 Milliarden Franken ein zweiter Straßentunnel gebohrt werden.

Sind die Arbeiten erledigt, sollen beide Tunnel mit nur je einer Spur pro Fahrtrichtung betrieben werden. Umweltschützer fürchten dagegen, dass eines Tages beide Tunnel mit voller Kapazität - also vierspurig - betrieben werden und damit das Ziel konterkariert wird, den Transit-LKW-Verkehr auf die Schiene zu verlagern. Offenbar hat bei der Bevölkerung aber das zentrale Argument der Befürworter verfangen, dem zufolge es sicherer sei, den Autoverkehr in Zukunft durch getrennte Röhren je Fahrtrichtung zu leiten.

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