Regierungskrise in der Ukraine Chaostage in Kiew

Stimmenkauf von Parlamentariern soll dem ukrainischen Regierungschef Arseni Jazenjuk das Amt gerettet haben. Die politische Krise des Landes verschärft sich dadurch weiter. Beobachter sagen: Jeder kämpft gegen jeden.

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Der ukrainische Ministerpräsident sei eine Marionette der Oligarchen, behauptet die ehemalige Premierministerin Julia Timoschenko über ihren einstigen Weggenossen. Quelle: dpa

Moskau Das Misstrauensvotum in der Rada hat Regierungschef Arseni Jazenjuk knapp überstanden. Das Misstrauen in der Koalition ist am Tag danach so groß wie nie zuvor. Die Abstimmung sei zwar verloren gegangen, bekannte Juri Luzenko, Chef der propräsidialen Fraktion „Solidarität“, der den Misstrauensantrag ins Parlament einbrachte.

Aber „sie hat gezeigt, dass diese Regierung keine Unterstützung im Parlament hat, dass sie Gesetze nicht realisieren kann“, fügte er hinzu. Noch schärfer ging Julia Timoschenko ihren einstigen Weggenossen an. In einem TV-Interview behauptete die Ex-Premierministerin: „Heute ging im Parlament die Information um, dass für jede Stimme, die nicht für den Rücktritt der Regierung abgegeben wird, bis zu einer Million Dollar bezahlt wird“, sagte sie.

Es sei schrecklich, dass so ein massenhafter Stimmenkauf stattfinden könne, fügte sie hinzu. Der Vorwurf impliziert auch, dass Jazenjuk zum Interessenvertreter der Oligarchen geworden ist, gegen deren Allmacht viele Demonstranten vor zwei Jahren auf dem Maidan protestierten.

Der von Timoschenko verkündete Austritt der Partei „Vaterland“ aus der Regierungskoalition wird allerdings keine praktischen Konsequenzen haben. Selbst ohne die 19 Abgeordneten ihrer Partei verfügt die Koalition offiziell noch über eine satte Mehrheit.

Darüber hinaus weigerte sich auch noch der von der Partei entsandte Minister für Jugend und Sport Igor Schdanow sein Amt aufzugeben. Schdanow begründete seinen Verbleib mit der notwendigen Vorbereitung der ukrainischen Olympia-Auswahl auf Rio de Janeiro. Der Austritt der Vaterlandspartei sei Anzeichen für „eine tiefe politische Krise“, resümierte er.


Jeder kämpft gegen jeden

Diese Krise ist nach Ansicht von Politologen so akut wie nie zuvor. Von einer Sackgasse ist die Rede, in die der Machtkampf zwischen Jazenjuk und Präsident Petro Poroschenko das Land geführt habe. „Wir sind gestern Zeuge eines Kampfes jeder gegen jeden geworden“, erklärte der Kiewer Politökonom Witali Bala.

Jazenjuk kündigt derweil neue Gespräche mit den Parlamentsparteien über eine mögliche Regierungsumbildung an. Er wolle vor allem auf die Abgeordneten der oppositionellen Radikalen Partei zugehen, sagte er bei einer Kabinettssitzung am Mittwoch in Kiew.

Die Radikale Partei hatte die proeuropäische Koalition bereits im vergangenen Jahr verlassen. Am Mittwoch war auch die Vaterlandspartei von Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko aus dem Bündnis ausgestiegen. Die Vaterlandspartei schloss zudem den von ihr gestellten Sportminister Igor Schdanow aus ihren Reihen aus, nachdem dieser seinen Rücktritt verweigert hatte.

Sollte mit Samopomitsch (Selbsthilfe) des Lemberger Bürgermeisters Andrej Sadowy eine weitere der drei verbliebenen Parteien in die Opposition gehen, könnte sich Jazenjuk nicht mehr auf eine Mehrheit stützen. Neuwahlen würden dann wahrscheinlicher werden.

Jazenjuk verurteilte die Regierungskrise als künstlich. Er rief alle politischen Kräfte auf, sich für Reformen einzusetzen. Kritiker werfen Jazenjuk selbst mangelnden Reformwillen vor.

Die Durchführung der geforderten Reformen dürfte unter diesen Umständen kaum vorankommen. Die Reformen sind allerdings Bedingung des Internationalen Währungsfonds (IWF) für die Vergabe weiterer Kredite. Insgesamt hofft Kiew auf 17,5 Milliarden Dollar vom IWF. Ob die nächste Tranche über 1,7 Miliarden Dollar angesichts des Polittheaters in Kiew tatsächlich noch im Februar ausbezahlt wird, ist allerdings fraglich.

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