Regisseur Michael Moore "Der freie Markt existiert nicht mehr"

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Ein verständlicher Wunsch von Eignern.

Aber wer sagt, dass Profite etwas Gutes sind? Unsere Krankenversicherungen denken zunächst an die Aktionäre, nicht an ihre Patienten. Die Folgen sind bekannt. Wir privatisieren ja auch nicht unsere Polizei oder Feuerwehr. Von den Flughäfen erwartet niemand, dass sie Gewinne abwerfen – von unserem Eisenbahnsystem eigenartigerweise schon.

Und auch von Ihren Filmen. Oder werden diese aus karitativen Gründen gesponsert?

Nein. Aber darin liegt ja auch eine große Ironie. Die Produktionskosten meiner Dokumentationen betragen ein paar Millionen Dollar, die Profite 100 Millionen. Die Medienkonzerne wissen, dass sie mit mir Geld verdienen können, indem ich sie attackiere. Ein Konstruktionsfehler des Kapitalismus – verrückt.

Aber Sie denken doch auch selbst profitorientiert?

Nur insofern, als mir das erlaubt, neue Filme zu machen. Aber als Privatperson – nein. Ich habe nie in Aktien investiert. Nicht nur, weil ich aus politischen Gründen nicht daran glaube, sondern weil ich sie nicht verstehe. Das Ganze wirkt auf mich wie ein riesiges Kasino. Und ich hatte nie Lust, mein Geld in einer Spielbank zu riskieren. Ich lege es lieber auf ein Sparkonto, das vielleicht ein Prozent Zinsen im Jahr abwirft. Die einzigen Wertpapiere, die ich kaufe, sind – ebenfalls niedrig verzinste – Staatsanleihen.

Meine Eltern brachten mir bei, mein eigenes Haus zu kaufen – das habe ich getan. Ich unterstütze Mitglieder meiner großen Familie und meine Nachbarschaft. Vor Kurzem spendete ich 60.000 Dollar, damit ein Stück Land im naturbelassenen Zustand erhalten bleibt. Und ich ließ ein altes Kino restaurieren und neu eröffnen, das 20 Jahre lang geschlossen war.

Warum ist eine derartige Einstellung in Ihrem Land so wenig verbreitet?

Weil wir immer noch der alten Cowboy-Ideologie anhängen: „Ich, ich, ich! Zieh dich mit eigener Kraft aus dem Schlamassel!“ Der Sinn für Solidarität ist in anderen Ländern viel stärker ausgeprägt. Ich bin dabei nicht kurzsichtig. Ich weiß sehr wohl, welche Probleme es etwa in der deutschen Autoindustrie gibt. Aber ich sehe das aus einem amerikanischen Blickwinkel, und ich würde mir wünschen, dass wir einige Ihrer Eigenschaften übernehmen würden.

Verschärft wird das Ganze noch durch den schreienden Bildungsmangel in meinem Land. Die republikanischen Regierungen haben den Bildungsetat zusammengestrichen, um eine Nation von Idioten zu schaffen, die sich leicht manipulieren lassen. Es gibt 40 Millionen funktionale Analphabeten in unserem Land. Und da wundern sich die Medienunternehmen, wenn sie eine Zeitung nach der anderen einstellen müssen. Die amerikanischen Verhältnisse sind ein Menetekel für den Rest der Welt. Ahmen Sie nur nicht Amerika nach. Sonst werden Sie immer mehr Gewalt und mehr Idioten bekommen.

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