Rentendebatte in Italien Arbeiten bis 75?

Italiens Generation Y fürchtet um die Rente. Wer nach 1980 geboren ist, wird womöglich erst 2055 in den Ruhestand gehen können – mit 75 Jahren. In den Rentenkassen klaffen riesige Löcher, der Ärger auf Rom ist groß.

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So entspannt dürften künftig Italiener ihren Lebensabend nicht mehr genießen können. Denn möglicherweise werden sie bis 75 arbeiten müssen. Quelle: dapd

Rom Italiens Generation Y steht ein langes Arbeitsleben bevor. Wer nach 1980 geboren ist, kann voraussichtlich erst mit über 70 Jahren in Rente gehen. Die aktuellsten Berechnungen der Sozialversicherungsbehörde INPS haben in Italien eine neue Debatte zur Rentenreform entfacht. Um ein Haushaltsloch zu vermeiden, hatte das Land schon 2011 eine gestaffelte Anhebung des Mindestrentenalters auf 67 bis zum Jahr 2026 beschlossen, mit der Option, bis 70 weiterzuarbeiten. Doch selbst das könnte für die heutigen Mittdreißiger nun nicht mehr reichen.

Laut INPS können einige im Jahr 1980 Geborene, die Lücken im Erwerbsleben und damit bei den Rentenbeiträgen aufweisen, möglicherweise nicht vor 2055 in Rente gehen – dann sind sie 75 Jahre alt. Diese Schreckensvision skizzierte INPS-Präsident Tito Boeri kürzlich vor Studenten der Katholischen Universität in Rom – und prägte damit die Schlagzeilen.

„Diese Art von Nachrichten halten mich noch weiter von Italien fern“, sagt der 35-jährige Domenico Pecere, der vor 14 Monaten nach Großbritannien auswanderte, in einem Interview der Tageszeitung „Corriere della Sera“.

Offiziellen Angaben zufolge liegt die Jugendarbeitslosigkeit in Italien seit drei Jahren bei rund 40 Prozent. Angesichts der wirtschaftlichen Lage trauten sich Politiker nicht, den Glücklichen, die eine Arbeit haben, zu sagen, dass sie mehr arbeiten und mehr sparen müssen, um der Altersarmut zu entgehen, sagt Boeri.

„Wir blicken auf 20 Jahre Feigheit und Trägheit des Staates in dieser Sache zurück“, so Boeri. Es gebe viel Widerstand gegen Pläne, die Rentenprojektionen Millionen von Arbeitnehmern zu vermitteln. „Die politische Klasse hat Angst davor, dass ihr diese Informationen schaden könnten“, so der INPS-Präsident.

„Wir müssen aufhören, die Menschen wegen der Renten zu terrorisieren“, meint Cesare Damiano von der Regierungspartei PD. Von Seiten Boeris seien „mehr Besonnenheit und weniger Redseligkeit“ gefragt, schreibt Renato Brunetta von der Oppositionspartei Forza Italia bei Twitter.


„Kreative Anstrengungen“

Junge Menschen bräuchten stabilere Arbeitsplätze, um dem Renten-Blues zu entkommen, meint der INPS-Chef. Ein erster Schritt seien die im vergangenen Jahr eingeführten Arbeitsmarktreformen. Zusätzlich empfiehlt Boeri Anreize für ältere Arbeitnehmer, die früher in Rente gehen wollen, um Platz für die nächsten Generationen zu machen. Nicht alle Wirtschaftsexperten sind von diesem Ansatz überzeugt. Doch Premierminister Matteo Renzi will es zumindest einmal versuchen.

Renzis wirtschaftspolitischer Berater Tommaso Nannicini sagt dem Nachrichtensender SkyTG24, sein Land brauche „kreative Anstrengungen“, um die erwarteten Kosten von fünf bis sieben Milliarden Euro zu decken.

„Das ist nicht die beste Art und Weise, eine solche Summe zu nutzen“, sagt der Rentenexperte und ehemalige Abgeordnete der konservativen PdL, Giuliano Cazzola, der Deutschen Presse-Agentur. „Wir denken zu viel an die alten Menschen und nicht genug an die jungen.“

Früher basierte die Rente in Italien allein auf dem letzten Gehalt, und viele nutzten die Möglichkeit der Frühverrentung bei 70 bis 80 Prozent ihres letzten Einkommens. 1995 schaffte die Regierung diese Option schrittweise ab. Seitdem hat Italien ein zweigliedriges Rentensystem, in dem die neuen Renten von den geleisteten Beitragszahlungen im Laufe des Arbeitslebens abhängen.

Während die älteren Arbeitnehmer ein relativ sicheres Renteneinkommen haben, dürften die Jüngeren, die sich oft in unsicheren Arbeitsverhältnissen befinden und damit weniger in die Kassen einzahlen, deutlich weniger Altersbezüge bekommen.

Der 26-jährige Unternehmer Emanuele Davenia, dessen Start-up Kinderpartys organisiert, gehört ebenfalls zur Generation Y, also den jungen Italienern, die nach 1980 geboren wurden. Davenia sieht die Situation gelassen. „Ich weiß seit langem, dass ich wahrscheinlich keine oder nur eine sehr geringe staatliche Rente bekommen werden. So ist es eben“, sagt er der dpa. „Ich denke, wir müssen für uns selbst vorsorgen.“

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