Reputation der Türkei Deutsch-türkische Unternehmer fürchten das Verfassungsreferendum

Am 16. April entscheidet das türkische Volk, ob es in Zukunft in einem neuen Staatssystem leben möchte – mit deutlich mehr Macht für Recep Tayyip Erdogan. Deutsch-türkische Unternehmer beobachten die Wahl kritisch.

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Deutsche Unternehmer mit Wurzeln aus der Türkei blicken sorgenvoll auf die Entwicklungen am Bosporus. Quelle: dpa

Berlin Serkan Ertugrul hat seinen türkischen Pass schon vor langer Zeit gegen den deutschen eingetauscht. Dementsprechend darf er beim türkischen Verfassungsreferendum nicht abstimmen. Die Auswirkungen spürt er dennoch: Er berät deutsche und türkische Unternehmen in der Türkei. Ein Unternehmen, das er berät, hat einen Investitionsstopp für die Türkei verhängt. „Bevor sie weiter in der Türkei investieren, warten sie das Ergebnis des Referendums ab. Je nach Wahlausgang wollen sie ihre Strategie noch einmal überdenken“, sagt Ertugrul.  

Insgesamt 89.000 türkischstämmige Unternehmer leben nach Angaben des Mediendienstes Integration in Deutschland. Viele von ihnen blicken mit Spannung auf das Verfassungsreferendum am 16. April, bei dem das türkische Volk darüber abstimmt, ob es in Zukunft in einem Präsidialsystem leben will.

Auch in Deutschland sind 1,4 Millionen Menschen mit türkischem Pass wahlberechtigt. Knapp die Hälfte von ihnen hat in einem der bundesweit dreizehn Wahllokale seine Stimme abgegeben. Das Wahlergebnis der Deutschtürken ist noch nicht bekannt. Bei den letzten Parlamentswahlen im November 2015 stimmten allerdings 60 Prozent der Wähler in Deutschland für die AKP, die Partei des Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.

Genau in dieser großen Sympathie für Erdogan sieht Bülent Uzuner, Gründer und Geschäftsführer eines Bremer IT-Beratungsunternehmens, eine Gefahr. „Viele Wahlberechtigte, gerade in Deutschland, haben nicht verstanden, dass es bei dem anstehenden Referendum nicht um die Wahl einer bestimmten Partei oder Person geht, sondern um die Änderung der türkischen Verfassung auf unabsehbare Zeit“, kritisiert er. Und die meisten sähen auch nicht die wirtschaftlichen Konsequenzen, die eine Verfassungsänderung nach sich ziehen würde.

Die geplante Verfassungsänderung sieht weitreichende Änderungen des Regierungssystems vor. Der türkische Präsident soll danach nicht nur Staats-, sondern auch Regierungschef sein. Er hätte das Recht, das Parlament aufzulösen und könnte Gesetzesvorhaben mit einem Veto blockieren. Die Rolle des Parlaments würde geschwächt und die Machtfülle des Präsidenten deutlich ausgebaut.

Die Diskussion um das Verfassungsreferendum habe dem Image der Türkei erheblich geschadet, sagt Unternehmer Uzuner. Spürbar sei das vor allem für die türkische Tourismusbranche. Bereits jetzt haben sich die mit Sommerurlauben in der Türkei erzielten Umsätze im Reisebüro mehr als halbiert, zeigt eine aktuelle Studie der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK). „Betroffen sind vor allem einfache Dienstleistungsberufe: Kellner, Taxifahrer oder Einzelhändler“, sagt Uzuner.

Nare Yeşilyurt führt einen interkulturellen Hauskrankenpflegedienst. Sie kritisiert, dass Türken, die seit Jahrzehnten in Deutschland leben und nicht vorhaben zurückzukehren, über die Zukunft der türkischen Demokratie mitbestimmen dürfen. „Wir leben hier in Deutschland in geschützten Verhältnissen. Es kann doch nicht sein, dass Türken hier für die Abschaffung der Demokratie in der Türkei abstimmen“, sagt sie. Sie selbst hat bereits ihre Stimme gegen die Verfassungsänderung abgegeben. Denn die Entwicklungen in der Türkei machen ihr Angst. Türkische Freunde von ihr seien erfolgreiche Unternehmer gewesen. „Die haben von heute auf morgen ihr Hab und Gut verloren, weil der Staat es einfach beschlagnahmt hat. Die Begründung: Sie sind Staatsfeinde“, erzählt sie.    

Beklan Coşkun Neşet, Geschäftsführer einer deutschen Motelkette, versucht, dem Verfassungsreferendum doch noch etwas Positives abzugewinnen. Immerhin interessiere sich Europa nun für den Wahlausgang und die türkische Innenpolitik. Wie er selbst abgestimmt hat, verrät er nicht. Allerdings habe er in seinem Umfeld stark für die Teilnahme an der Wahl geworben.

Denn die Hälfte aller im Ausland lebenden Türken wohnt in Deutschland. Die Exiltürken machen insgesamt fünf Prozent aller Wahlberechtigten aus. Die Frist der Wahllokale in den türkischen Konsulaten und Botschaften in Deutschland ist zwar abgelaufen. Aber bis zum 16. April können im Ausland lebende Türken noch an den Grenzübergängen zur Türkei abstimmen. Bei knappem Wahlausgang könnten ihre Stimmen entscheidend sein.

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