Rohingya in Bangladesch Flüchtlingskrise in einem der ärmsten Länder der Welt

Während Tausende aus Bangladesch nach Europa wollen, kämpft das Land mit seiner eigenen Flüchtlingskrise. Fast 400.000 Menschen kamen innerhalb weniger Wochen. Das bitterarme Land nimmt sich ein Beispiel an Deutschland.

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Indische Muslime verbrennen Bildnisse des indischen Premierministers Narendra Modi und der myanmarischen Politikerin Aung San Suu Kyi, um gegen die Unterdrückung und Gewalt gegenüber den Rohingyas in Myanmar zu protestieren. Quelle: dpa

Bangkok In Europas Flüchtlingskrise hat Bangladesch bislang eine eindeutige Rolle gespielt: als Herkunftsland. Tausende Menschen aus dem südasiatischen Land kamen in diesem Jahr über die zentrale Mittelmeerroute nach Europa – laut der EU-Grenzschutzagentur Frontex stellte Bangladesch die zweitgrößte Gruppe auf dem Weg Richtung Italien. Nur aus Nigeria versuchten noch mehr Menschen in Booten die Überfahrt nach Europa zu schaffen. Eine humanitäre Katastrophe in Bangladeschs Nachbarschaft bringt das Land nun jedoch in eine neue Situation: Der bitterarme Staat muss selbst Hunderttausende Flüchtlinge aufnehmen.

Allein in den vergangenen knapp drei Wochen kamen nach Schätzungen des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR fast 400.000 Menschen über Bangladeschs südwestliche Grenze ins Land. Es handelt sich um Angehörige der muslimischen Volksgruppe Rohingya, die im benachbarten Myanmar – einem mehrheitlich buddhistischen Land – seit Jahrzehnten unterdrückt und verfolgt werden. Nach einer Eskalation der Gewalt, die Ende August begann, begaben sie sich auf die Flucht. In Bangladesch wächst nun die Sorge von der Flüchtlingskrise überfordert zu werden. Die Behörden nehmen sich gleichzeitig Deutschlands Umgang mit Flüchtlingen zum Vorbild.

Rund um den Grenzort Cox's Bazar zeigt sich Helfern derzeit das erschreckende Ausmaß der humanitären Notlage. Die Vereinten Nationen betreiben hier zwei Flüchtlingslager für Rohingya, die nach früheren gewaltsamen Auseinandersetzungen bereits in der Vergangenheit nach Bangladesch geflohen waren. Allein seit Ende August verdoppelte sich die Bevölkerung hier auf 70.000 Menschen. „Einige Flüchtlinge, die hier bereits gewohnt haben, nahmen bis zu 15 Neuankömmlinge in ihren kleinen Hütten auf“, berichtet UNHCR-Vertreter Adrian Edwards. „Die meisten kommen aber auf den Gehwegen unter Plastikplanen unter.“

Außerhalb der offiziellen Lager ist die Situation noch chaotischer: Wer sonst wo keinen Platz findet, lässt sich an den Straßenrändern nieder. Andere suchen in den angrenzenden Wäldern nach provisorischem Schutz. Hilfsgüter erreichen die Region erst schleppend. Anfang der Woche begannen die lokalen Behörden immerhin mit der Registrierung der ersten Flüchtlinge. Namen und biometrische Daten werden dafür digital verarbeitet. „Die Regierung hat sich dabei von der Registrierung syrischer Flüchtlinge in Deutschland inspirieren lassen“, erzählte der zuständige Software-Entwickler Rajib Chowdhury der lokalen Presse.

Aus dem vorrangigen Ziel der Registrierung machen die Behörden kein Geheimnis: Sie wollen dokumentieren, wer neu ins Land kommt, um die Personen in Zukunft wieder zurück nach Myanmar zu schicken. Premierministerin Sheikh Hasina stellte bei einem Besuch der Flüchtlingslager diese Woche klar: Ihr Land werde die Rohingya unterstützen. Sie betonte zugleich aber: „Myanmar muss seine Einwohner wieder zurücknehmen.“

Die Flüchtlingskrise setzt die Regierungschefin ein Jahr vor den nächsten Parlamentswahlen unter politischen Druck.


160 Millionen Einwohner und nur halb so groß wie Deutschland

Ihr Land, das mit einem Pro-Kopf-Einkommen von rund 1500 Dollar im Jahr zu den ärmsten Staaten der Welt zählt, leidet schon jetzt an massiver Überbevölkerung: 160 Millionen Einwohner leben auf einer Fläche, die weniger als halb so groß ist wie Deutschland. Ökonomen in Bangladesch befürchten, dass dem Land die Ressourcen fehlen, um sich um die Flüchtlinge zu kümmern.

Ashikur Rahman, Wirtschaftsforscher am Policy Research Institute in Dhaka rechnet mit jährlichen Zusatzkosten von mindestens einer Milliarde US-Dollar – und das sei eine sehr konservative Schätzung. „Wir müssen die internationale Gemeinschaft zur Hilfe auffordern“, sagt er. Andernfalls drohe an anderer Stelle das Geld für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes zu fehlen.

Die Kosten der Flüchtlingskrise könnten somit eine der größten Erfolgsgeschichten in der globalen Armutsbekämpfung ausbremsen: Bangladeschs Wirtschaft wuchs im vergangenen Jahrzehnt um durchschnittlich sechs Prozent pro Jahr. Die Einkommen der ärmsten Bevölkerungsschicht stiegen laut einer Weltbank-Studie besonders stark. Seit Beginn der 90er Jahre entkamen 50 Millionen Menschen in Bangladesch der extremen Armut.

Die Situation der Rohingya, die zum Teil bereits seit Jahrzehnten vor dem aktuellen Massenexodus aus Myanmar, Zuflucht in Bangladesch gesucht hatten, verbesserte sich hingegen kaum. Der Genfer Flüchtlingskonvention ist Bangladesch nie beigetreten, die Rohingya sind deshalb weitgehend rechtlos und dürfen offiziell auch keine Arbeit aufnehmen.

Ob die Volksgruppe künftig mehr Unterstützung bekommen soll, ist umstritten. Regierungschefin Hasina nahm noch im vergangenen Jahr gegenüber den Rohingya eine Abwehrhaltung ein: „Wir können nicht einfach unsere Tore öffnen für Menschen, die wie in Wellen hier ankommen.“

In der öffentlichen Debatte werden aber auch die Stimmen lauter, die Bangladesch trotz knapper Ressourcen vor einer humanitären Verpflichtung sehen: „Wir müssen diejenigen aufnehmen, die vor Tod und Zerstörung fliehen“, sagt der Zeitungsjournalist Zafar Sobhan in einem Videoplädoyer, das er bei Facebook hochgeladen hat. Es werde nicht einfach sein und es werde hohe Kosten mit sich bringen. „Aber es ist das, was uns die Menschlichkeit vorschreibt.“

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