Rohstoffe Kasachstan bald zweitgrößte deutsche Ölquelle

Ölboom in Zentralasien: Kasachstan ist auf dem besten Weg, Deutschlands zweitgrößter Öllieferant nach Russland zu werden. Darum ignoriert die Bundesregierung manches demokratische Defizit im Reich von Nursultan Nasarbajew. Der "Papa" genannte Staatschef regiert sein Land autoritär, aber effektiv.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Neue Hauptstadt Astana: China, Quelle: AP

Die Stadt sieht aus, als wäre sie gestern erst fertig geworden. Auf den Gehsteigen der Ischim-Promenade liegt noch haufenweise Sand, den ein wüster Steppenwind in die Augen der Fußgänger treibt. An der Glasfassade des 155 Meter hohen Regierungsgebäudes, im dem das Transportministerium sitzt, kleben noch die Schutzfolien des Herstellers. Seit Präsident Nursultan Nasarbajew das unbedeutende Provinznest Astana vor zehn Jahren zur Hauptstadt Kasachstans erklärte, findet das Wachstum der Stadt kein Ende. Die Einwohnerzahl hat sich bis heute auf über 600.000 mehr als verdoppelt. Rastlos drehen Baukräne ihre Runden, Stockwerk um Stockwerk wachsen glitzernde Wolkenkratzer in den blauen Himmel.

Die topmoderne Skyline ist Symbol eines atemberaubenden Aufstiegs. Als Kasachstan 1991 unabhängig wurde, war von der Konkursmasse der untergegangenen Sowjetunion nicht viel übrig geblieben, worauf man eine moderne Marktwirtschaft hätte gründen können. Die Moskauer Parteiführung hatte den zentralasiatischen Agrarstaat an der kurzen Leine geführt – als billigen Lieferanten für Eisen, Kohle, Nickel und Uran. Die wenigen Industriebetriebe belieferten große russische Kombinate, mit denen es nach dem Ende der Planwirtschaft den Bach hinunter ging. Doch dann fanden die Kasachen in der Steppe riesige Erdölfelder – und stiegen in die Liga der großen Erdölexporteure auf. Die Einnahmen aus dem Handel mit schwarzem Gold – im vergangenen Jahr mehr als 28 Milliarden Dollar – pumpt der Staat in den Aufbau moderner Industrien.

Den Mann, der hinter dem Wirtschaftsmärchen steht, nennen die Kasachen Papa – das ist manchmal liebevoll, aber oft auch ironisch gemeint. Nursultan Nasarbajew regiert das Land undurchsichtig und autoritär, aber effektiv. Seit zehn Jahren wächst Kasachstans Wirtschaft um acht bis zehn Prozent. Im vergangenen Jahr stieg das kasachische Bruttoinlandsprodukt um 8,4 Prozent. Mit rund drei Prozent wird die Wachstumsrate in laufenden Jahr zwar niedriger ausfallen, doch nach Einschätzung der Investmentbank Goldman Sachs ist das nur eine Delle, dank des Ölexports soll es danach wieder aufwärts gehen.

Derzeit Deutschland fünftgrößter Lieferant

In zehn Jahren bereits könnte das Land die nach Russland zweitwichtigste Ölquelle der Bundesrepublik werden; derzeit ist es noch Deutschlands fünftgrößter Erdöllieferant. Während die russischen Fördermengen ihren Zenit überschritten haben, steigert Kasachstan seine Exporte Jahr für Jahr. Dank der beiden größten Ölfelder, die auf dem Globus in den letzten 20 Jahren entdeckt wurden, will Kasachstan bis 2015 die jährliche Erdölausfuhr auf 140 Millionen Tonnen verdoppeln – und damit in die Gruppe der zehn weltgrößten Petrostaaten aufsteigen.

Doch die Kasachen brauchen ausländisches Know-how, um ihre Goldgrube in Gestalt des Ölfeld Kaschagan auf dem Grund des Kaspischen Meers zu erschließen. Deshalb gehören die Ölkonzerne Eni, Shell, Total, Exxon-Mobil, Conoco Phillips und die japanische Inpex zu dem Betreiberkonsortium, das ab dem Jahr 2015 täglich 2,6 Millionen Barrel vom Meeresboden fördern will. Der größte Teil davon soll nach Europa exportiert werden.

Doch auch die Chinesen haben ein Auge auf das gigantische Ölfeld geworfen – und in Windeseile Verträge über den Bau von Pipelines abgeschlossen. Die ersten Röhren ins Reich der Mitte sind bereits in Betrieb. Jetzt baut Kasachstan das Leitungsnetz im Landesinneren aus, um Öl künftig vom Kaschagan-Feld im Westen bis an die chinesische Grenze pumpen zu können. 10 bis 20 Millionen Tonnen will Kasachstan pro Jahr nach China exportieren.

Ölfäser im Hamburger Hafen: Quelle: dpa

Hauptabnehmer werden aber die Staaten im Westen bleiben, denen über 100 Millionen Tonnen zufließen sollen. Doch ganz so einfach ist das nicht. Um Erdöl nach Europa exportieren zu können, muss Kasachstan den russischen Pipeline-Monopolisten Transneft zwischenschalten, dessen Durchleitungsgebühren die Exporterlöse schmälern. Wirtschaftlich sinnvoller wäre es, das Öl an russische Rohstoffriesen zu verkaufen. Die wollen neuerdings Marktpreise für zentralasiatische Rohstoffe zahlen – ein raffinierter Schachzug des Kreml, schließlich wird damit jede Russland-Umgehungsstraße für Rohstoffe wirtschaftlich infrage gestellt.

Doch der Westen bleibt dabei: Alternative Transportrouten müssen her – und zwar solche, die an Russland vorbeiführen. Fürs Erste will Kasachstan bald täglich eine halbe Million Barrel übers Kaspische Meer fahren lassen. Von Baku in Aserbaidschan kann das Öl über die Baku-Tiflis-Pipeline nach Europa gepumpt werden. „Ein paar Jahre können wir unser Erdöl per Tanker verschiffen“, sagt Vize-Energieminister Ljassat Kiinow, „aber dann müssen neue Alternativen her.“ Er denkt an eine Pipeline, die unter dem Meer hindurchführt. Oder an eine im Süden, die in einem iranischen Hafen mündet. Vom Öltransport über Russland spricht er nicht.

Die kasachischen Politiker, die stets den „multivektoralen“ Charakter ihrer Außenpolitik betonen, sind gespalten zwischen Europa und Russland. Moskau wird es nicht einfach hinnehmen, wenn die Kasachen mit ihrer Pipeline durchs Kaspische Meer Ernst machen. Da für den Bau der Röhre durch das Binnenmeer die Zustimmung aller Anrainer erforderlich ist, kann der Kreml das Projekt blockieren. Der Westen dagegen würde jede Umgehung Russlands unterstützen. Die US-Regierung soll Nasarbajew sogar vorgeschlagen haben, zur Umgehung dieser Probleme eine Leitung nach Afghanistan zu verlegen.

Im Umgang mit ausländischen Investoren wird der kasachische Staat zunehmend rüpelhafter

Anders als in Russland sind deutsche Energiekonzerne nicht direkt an der Förderung von Kasachstans Rohstoffvorkommen beteiligt. Das sei vielleicht besser so, sagen kritische Beobachter. Denn im Umgang mit ausländischen Investoren wird der kasachische Staat zunehmend rüpelhafter. Anfang des Jahres hat Nasarbajew die ausländischen Partner im Kaschagan-Konsortium gezwungen, Teile ihrer Anteile weit unter Marktpreis an den Staat zu verkaufen.

Jetzt hat nicht mehr die italienische Eni, sondern der kasachische Staatskonzern Kasmunigas in der Betreibergesellschaft das Sagen. Im Übrigen wurden die Investoren zu Schadensersatzzahlungen zwischen 2,5 und 4,5 Milliarden Dollar verdonnert, weil sich der Förderbeginn um fünf Jahre verzögert. Doch die Ölgeschäfte in der Steppe sind für ausländische Konzerne dermaßen lukrativ, dass Eni-Chef Paolo Scaroni die „Vereinbarung“ allen Ernstes als „fair“ bezeichnete.

Die Geschäfte deutscher Unternehmen laufen derweil von solchen Fragen unberührt und gut. Zwar rangiert Kasachstan auf der Liste der korruptesten Länder, die die Organisation „Transparency International“ jährlich aufstellt, weit hinter Russland auf Platz 150 und gleichauf mit Ländern wie Simbabwe, Belarus, Kongo und Sierra Leone. Doch deutsche Unternehmen, die sich in Großprojekten engagieren, geraten selten mit dem Klüngel in Konflikt.

ThyssenKrupp baut gerade für mehr als 100 Millionen Euro ein Silizium-Werk, rüstet Bergwerke, Chemiebetriebe und Zementfabriken aus, liefert massenweise Stahl und installiert Aufzüge. Auch die Robert Bosch-Gruppe in Kasachstan verzeichnet ein „Wachstum in allen Sparten“, meldet der dortige Geschäftsführer Wolfram Klinger. Die Stuttgarter installieren in der Stadt Almaty die Videoüberwachung, verkaufen Bohrmaschinen, Kühlschränke, Heizungen und rüsten frisch gegründete Industriebetriebe quer durch die Branchen aus.

Trotz aller demokratischen Defizite hat auch die deutsche Außenpolitik mit dem Land kein Problem. Mit Unterstützung von Außenminister Frank-Walter Steinmeier darf Kasachstan 2010 den OSZE-Vorsitz übernehmen. Auch den bald bevorstehenden WTO-Beitritt will Berlin nicht torpedieren. Erst vor wenigen Monaten war Wirtschaftsminister Michael Glos auf Rundreise im Steppenstaat, um die gegenseitigen Wirtschaftsbeziehungen zu vertiefen. Im September plant Bundespräsident Horst Köhler eine Reise nach Astana. Dabei kann er dann auch das Klein-Dubai seines Amtskollegen Nursultan Nasarbajew bestaunen – wenn ihm der Wind nicht zu viel Sand in die Augen weht...

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%