Russischer Jet über Türkei abgeschossen Recep Tayyip Erdogan statuiert ein Exempel

Juristisch korrekt, aber politisch überzogen: Mit dem Abschuss des Kampfjets weist Ankara den russischen Präsidenten Wladimir Putin in geopolitische Grenzen. Indirekt treffen die Folgen auch Deutschland. Ein Kommentar.

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Mit dem Abschuss des Kampfjets weist Ankara den russischen Präsidenten Wladimir Putin in geopolitische Grenzen. Quelle: AP

Für die russische Luftwaffe ist das Eindringen in fremde Lufträume ein Routine-Manöver: Auf dem Höhepunkt der Ukraine-Krise bogen Kampfjets des Kremls beinahe täglich in Nato-Gebiet über der Ostsee ab – wohl, um das westliche Militärbündnis zu provozieren. Moskaus Kalkül: Europas Nato-Partner würden ob der diplomatischen Folgen nie einen russischen Jet vom Himmel holen.

Allein ihr türkischer Partner Recep Tayyip Erdogan tickt da anders, wie sich nun gezeigt hat.

Ankara muss die Freigabe zum Abschuss erteilt haben, als ein türkischer Pilot am Dienstag den Abschuss exekutierte. Ein einsamer General trifft keine Entscheidung solch politischer Tragweite. Aus Ankara kamen denn auch seit Oktober immer wieder Warnungen, der nächste Eintritt in den türkischen Luftraum könnte den Abschuss zur Folge haben.

In Moskau nahm man das offenbar so ernst wie Nato-Abfangjäger über der Ostsee – nämlich gar nicht.

Kampfjet war minimal in Luftraum eingedrungen

Nach dem Abschuss eines russischen Militärflugzeugs im türkisch-syrischen Grenzgebiet hat sich die ohnehin schon gespannte Lage in der Region nochmals verschärft. (zum Vergrößern bitte anklicken) Quelle: REUTERS

Eigentlich ist diese Verletzung des Luftraums wirklich eine Petitesse. Flugdaten der Türken zeigen, dass der Kampfjet nur gut zwei Kilometer in deren Luftraum unterwegs war. Journalisten der regierungskritischen Moskauer Zeitung „Nowaja Gazeta“ rechneten aus, dass ein Jet vom Typ SU-24 für diesen Ausflug in feindliches Gebiet etwa sechs Sekunden braucht – und den Türken folglich kaum Zeit für eine Warnung blieb.

Im nördlichen Landeanflug auf den russischen Stützpunkt im syrischen Latakia, präzisierten die Reporter weiter, flögen Piloten unversehens über jenen Zipfel Türkei, der in Syriens Territorium hineinragt. Gut möglich, dass Moskau wirklich die Anweisung zum Umfliegen gegeben hatte und die Piloten bloß die Kurve nicht gekriegt haben.

Russischer Jet hat indirekt negative Folgen für Deutschland

Juristisch mag der Abschuss legitim sein – in der Sache aber ist er vollkommen überzogen, zumal dabei mindestens ein Pilot ums Leben kam. Aber natürlich geht es hier nicht um die Sache, sondern um Politik: Erdogan will Kremlchef Wladimir Putin in die Schranken weisen. In der türkischen Nachbarschaft, so die Botschaft, hat er den Hut auf und nicht die Russen.

Auf Putin dürfte Erdogan ohnehin im Moment nicht gut zu sprechen sein: Der Russe hat sich mit der offenen Intervention an der Seite von Syriens Diktator Baschar al-Assad einen Platz am Verhandlungstisch über die Zukunft des Nachbarlands erkämpft – Ankara spielt dort keine Rolle. Russlands Kampf gegen den IS ist ein Wahrheit einer gegen die syrische Opposition – darunter auch turkmenischen Milizen im Norden, die auf türkischer Seite stehen.

So soll der Kampf gegen den Terror verschärft werden
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Belgien reagierte auf den Terror in Paris mit Pass- und Fahrzeugkontrollen an der Grenze zu Frankreich Quelle: dpa
SpanienIn Spanien wurde erwartet, dass an der 656 Kilometer langen Grenze zu Frankreich deutlich mehr Sicherheitskräfte eingesetzt werden. Schon nach Anschlägen in Tunesien und Kuwait hatte Madrid im Juni den Alarm auf die zweithöchste Stufe 4 angehoben. Seitdem gelten für Flughäfen und Bahnhöfe, Atomanlagen und Botschaften verschärfte Schutzmaßnahmen. Quelle: AP

Eine militärische Eskalation scheint im Moment dennoch unwahrscheinlich: Der Kreml dürfte es bei scharfen Verurteilungen belassen; Putin hat mit dem zornigen Vorwurf, der Abschuss sei ein „Dolchstoß in den Rücken“ und Erdogan unterstütze den „Islamischen Staat“, den Ton vorgegeben. Vergeltungsschläge wären eine Reaktion über die Maßen, zumal Erdogan wie Putin keiner ist, der es darauf beruhen ließe.

Angespanntes Verhältnis zwischen Türkei und Russland

Ausgemachte Sache ist indes die Verschlechterung des russisch-türkischen Verhältnisses: Die Türken hatten schon vor Tagen den russischen Botschafter wegen des Beschusses turkmenischer Stellungen im Norden Syriens einbestellt. Diese Woche sagte Russlands Außenminister Lawrow eine Reise nach Ankara ab – und verhängt eine Reisewarnung, die die Türkei als Hochburg des Russen-Tourismus trifft. Und so wird es weitergehen.

Die Missstimmung zwischen Moskau und Ankara dürfte für Deutschland zwei indirekte Folgen haben, eine positive und eine negative:

Positiv ist, dass sich die Energiepartnerschaft zwischen beiden Ländern nun erst einmal erledigt haben dürfte. Im Dezember vergangenen Jahres hatte Putin mit Erdogan vereinbart, über die Türkei große Gasmengen nach Europa liefern zu lassen – ein Projekt, mit dem zwei Autokraten versucht hätten, Einfluss auf die europäische Energieversorgung zu finden und deren Diversifizierungsbesteben zu unterlaufen.

Negative Folgen dürfte dies für die Konfliktlösung in Syrien haben: Dass die Türkei die Nato-Partner – warum eigentlich? – nach dem Abschuss zusammentrommeln ließ, wird Moskaus Bereitschaft zur Beilegung des Kriegs nicht unbedingt förderlich gewesen sein.

Ein Waffenstillstand, um den Russland und der Westen mit dem syrischen Regime und dessen Gegnern zweiwöchig in Wien ringen, dürfte sich verzögern. Derweil dürften russische Bomben auf syrische Städte wie Aleppo weitere Menschen in die Flucht nach Europa schlagen.

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