Von Florian Willershausen, Henryk Hielscher, Franz Rother Harald Schumacher und Silke Wettach.
Niemals nimmt Wladimir Putin eine Niederlage hin. Doch der 12. März 1999 war für den russischen Präsidenten ein solch schwarzer Tag - einer, der sich als Trauma in sein Gedächtnis eingebrannt hat. Damals war Putin Chef des Geheimdienstes FSB, der in einer steinernen Trutzburg im Herzen von Moskau sitzt. An dem kalten Frühlingstag kam die Meldung, dass die Nato um Polen, Tschechien und Ungarn erweitert wird - obwohl der Westen den Russen versprochen hatte, dies nicht zu tun. Amerikaner, für den KGB-Oberst immer Feind geblieben, standen in Putins Verständnis schon an der russischen Grenze. Diese Demütigung hat er nie verdaut - nun schlägt er zurück.
Auf der Krim schafft Putin Fakten: Mit der Invasion seiner Truppen und einem völkerrechtlich illegalen Referendum steckt er seinen gefühlten Einflussbereich in Osteuropa militärisch und politisch ab. Putin will seine Macht im postsowjetischen Raum konservieren, indem er Nachbarn wie die Ukraine in der vom Kreml dirigierten Eurasischen Wirtschaftsunion zusammenschnürt und ihre Annäherung an die EU verhindert. Die neue "Nachbarschaftspolitik" des Potentaten wurzelt im Trauma der militärischen Einkreisung von 1999, das der "geopolitischen Katastrophe" folgte, wie der Ex-Spion den Kollaps der Sowjetunion nennt. Der Westen hat diese Befindlichkeit nie verstanden - und Putin sträflich unterschätzt.
Panik vor Putin macht sich nun im Westen breit. Den weiterhin drohenden Krim-Krieg hält Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) für "die größte Krise seit dem Mauerfall". Über Putin soll Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Gespräch mit US-Präsident Barack Obama gesagt haben, er lebe "in seiner eigenen Welt". Die ehemalige US-Außenministerin Hillary Clinton ließ sich gar zum Vergleich von Putin mit Hitler hinreißen. Nie war der Zorn auf den russischen Zampano so ausgeprägt wie heute. Europa fragt sich: Gibt sich Putin mit der Krim zufrieden oder hat er weitere Annexionen im Sinn? Was wäre, wenn Putin die behauptete Bedrohung einer russischen Minderheit wie auf der Krim auch in der Ostukraine als Vorwand für einen Einmarsch nähme? Wenn er die Ukraine zur Teilung zwingt, womit Russland der industrialisierte Osten zufällt und die EU den strukturschwachen Westen teuer päppeln muss.
Europa hat bereits Sanktionen gegen Putin beschlossen. Mehr als ein müdes Lächeln hat man Putin nicht abgerungen, indem Verhandlungen über Visa-Erleichterungen abgesetzt und der Rausschmiss Russlands aus der zuletzt zahnlosen G8 vorbereitet wurden. Heute werden die EU-Außenminister wohl als zweite Stufe der Sanktionen Reisebeschränkungen und Konto-Einfrierungen beschließen - die Listen dafür liegen im Auswärtigen Amt bereits in den Schubladen. Heikel dürfte es aber werden, wenn die EU zu Wirtschaftssanktionen greift - und ein Embargo gegen russisches Gas verhängt. Ob sie sich das leisten kann?