Russland in der Krise Putins teure Eskapaden

Der Westen straft Wladimir Putin mit härteren Wirtschaftssanktionen ab. Mit hohen Rücklagen kann der Kreml das Land gut über Wasser halten. Die Modernisierung der Wirtschaft würgt er aber ab.

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Wladimir Putin Quelle: AP

Keiner kennt das russische Pipelinenetz so gut wie Berndt Böhme – nicht einmal die Russen selbst. Der Ingenieur leitet das Moskauer Büro von PSI, einem IT-Unternehmen aus Berlin, das Leitsysteme für die Energiebranche plant und betreibt. Wenn irgendwo in Sibiriens Weiten eine Ölpipeline leckt, kriegt es das Team um Böhme bestimmt mit. Seine Software hilft auch, den Gastransport effizient zu gestalten – auf dass der Brennstoff flott und ohne Verluste beim Kunden ankommt. Die Deutschen sind hier führend wie in vielen Nischen – und natürlich erfreuen sich ihre Produkte auch bei russischen Energiekonzernen wie Gazprom hoher Beliebtheit.

Wohl aber nicht mehr lange. Bei seinen russischen Kunden, hört Böhme, tüfteln ganze Abteilungen an Masterplänen, wie Russland technologisch vom Westen autark werden kann: Selbstgestricktes soll Zugekauftes ersetzen. „Die Russen haben ihre eigenen Lösungen für alle Probleme“, sagt Böhme. Nur seien ausländische Technologien meist besser und würden deshalb stark nachgefragt. Das dürfte sich jetzt ändern.

Womöglich steht Europa erst am Anfang eines Wirtschaftskriegs, den Wladimir Putin zumindest provoziert hat und den die Europäische Union nun nicht mehr weiter verzögern will. Vergangene Woche beschlossen die EU und die USA verschärfte Sanktionen gegen russische Unternehmen und Branchen. „Wir wissen, dass wir auch selber wirtschaftlich darunter leiden können“, erklärte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) den Schritt. Aber in Zeiten, in denen es um Krieg und Frieden gehe, müsse die Wirtschaftspolitik zurückstehen. Der Westen will den Kremlchef zu einer Deeskalation im Osten der Ukraine zwingen, wo prorussische Rebellen im Kampf gegen die Armee offenkundig weiter auf russische Unterstützung oder wenigstens Duldung zählen können.

Nach anfänglichem Zögern steht nun auch die deutsche Wirtschaft hinter den Sanktionen. Marcus Felsner, der Vorsitzende des Ost- und Mitteleuropavereins, sagt: Deutschland sei nicht auf Investitionen in einem Land angewiesen, das Nachbarn mit Krieg bedrohe. Sanktionen müsse man daher jetzt auch „durchhalten, bis sie ihr Ziel erreicht haben“. Ob das indes gelingt, ist fraglich. Bislang lässt Putin keinerlei Zeichen erkennen, die auf Deeskalation in der Ostukraine schließen ließen. Nach russischer Lesart kämpfen dort Freiheitskämpfer gegen „Kiewer Faschisten“, die der Westen finanziert – und so verbreitet es auch das Staatsfernsehen. Putin, den eine Welle des Patriotismus zu nie gekannter Popularität trägt, wird so auch zum Gefangenen seiner eigenen Propaganda.

Währungsreserven der russischen Zentralbank (in Milliarden Dollar)

Das bringt ihn in die Zwickmühle. Denn ökonomisch ist klar, dass Russland für die expansive Außenpolitik letztlich bezahlen muss – zumindest auf längere Sicht, sagt Andrej Jakowlew, Ökonom an der Moskauer Higher School of Economics. Abgesehen von Wirkungen auf einzelne Sektoren, seien Wirtschaftssanktionen „ein starkes Signal an alle Investoren, wonach Russland potenziell gefährlich ist“. Mangels Investitionen werde die Wirtschaft ausbluten, zumal eine Umorientierung in Richtung China auf kurze Sicht nicht möglich sei.

Imperiale Träume

In diese Kerbe schlägt auch Felsner: „Putin will die dringend nötige Modernisierung seines Landes offenbar auf dem Altar des Nationalismus opfern.“ Entweder die politische Führung entscheide sich für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes mithilfe der deutschen Wirtschaft – oder aber für imperiale Träume und den Machterhalt ohne Rücksicht auf internationale Spielregeln. „Beides geht nicht“, so Felsner.

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