Russland-Politik Vorsicht vor neuen Sanktionen!

Nach dem Rubelcrash liegt die russische Wirtschaft am Boden - doch Amerika tritt nach und will die Sanktionen gegen Putins Regime verschärfen. Die EU sollte dem nicht folgen.

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Welchen Staaten der niedrige Ölpreis besonders schadet
Erdölförderung Quelle: dpa
Ölförderung in Saudi-Arabien Quelle: REUTERS
Ölförderung in Russland Quelle: REUTERS
Oman Ölpreis Quelle: Richard Bartz - eigenes Werk. Lizenziert unter Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 über Wikimedia Commons
Öl-Leitung im Niger-Delta Quelle: dpa
Ölförderpumpe in Bahrain Quelle: AP
Venezuela Ölförderung Quelle: REUTERS

Möbelriese Ikea freut sich dieser Tage über ein ganz starkes Weihnachtsgeschäft: In russischen Filialen reihen sich Kunden in endlos lange Schlangen zum Bezahlen ein – süßer die Kassen nie klingen. Wie andere westliche Handelshäuser und Marken profitieren die Schweden in Russland von Hamsterkäufen.

Bevor der Rubel zu Euro und Dollar noch tiefer sinkt, decken sich die Russen mit West-Ware ein, die trotz der medial geschürten anti-westlichen Stimmung populärer ist als Produkte heimischer Herkunft. Patriotismus hin oder her: In Krisen folgen die Russen einer ganz eigenen Routine.

Russlands Wirtschaft steckt in der Krise – der wohl schwersten seit 1998, als das Land unter einem Schuldenberg kollabierte. Panikkäufe der Verbraucher zeigen, dass die Bevölkerung den Ernst der Lage erkannt hat. Statt Beschönigungen und Durchhalteparolen von Präsident Wladimir Putin zu glauben, traut man nurmehr den eigenen Augen.

Die sehen, dass sie den Preisen in den Geschäften beim Klettern beobachten können. Wie der Rubelkurs zum Euro so rasch steigt, dass der Platz auf den Anzeigetafeln nicht ausreicht: Ein Euro kostete am Dienstag zeitweise über 100 Rubel. Dabei gab es Phasen, in denen der Kurs weit unter 40 lag.

Das war die Zeit bis zur Wirtschaftskrise von 2008, als Russland als zuverlässiger Rohstofflieferant eine immer größere Rolle spielte und sich Putin im Inland nicht unbegründet als Garant der Stabilität verkaufen ließ.

Putins Folterwerkzeuge im Sanktionskrieg

Im Moment ist Putin ein Garant der Instabilität, ein Risikofaktor für die russische Wirtschaft. Der Rubelcrash am Wochenbeginn lässt sich nicht (nur) auf den niedrigen Ölpreis zurückführen, denn der blieb derweil stabil knapp unter 60 Dollar. Die Abwertung um knapp ein Drittel in der Spitze ist keine Folge der Sanktionen, die die russische Wirtschaft kurzfristig gut wegstecken kann.

Vielmehr dokumentiert die Flucht aus der Währung, dass das Vertrauen in Russland unter Investoren zerstört ist. Nachdem die Notenbank den Leitzins um sagenhafte 7,5 Prozentpunkte auf 17 Prozent erhöht hatte, rollte der Rubel bergab – nicht einmal der Holzhammer hilft, den Exodus aus Russland zu stoppen. Das spüren Investoren, so kommt eben Panik auf. Erst am Mittwoch konnte die Notenbank den Kursverfall mit teuren Stützungskäufen stoppen.

Putin ruiniert sein Land selbst

In erster Linie ist Putins Politik die Ursache für den Vertrauensverlust. Mit der Krim-Annexion im März und der fortwährenden Unterstützung der Separatisten in der Ukraine beweist der 63-Jährige, wie egal ihm internationale Regeln sind. Mit diesem Rechtsverständnis leistet er seinem Land einen Bärendienst, denn Investoren machen längst einen Bogen um den Risikomarkt Russland.

Selbst die russischen Investoren meiden die Heimat, was sich am Kapitalabfluss von dieses Jahr mindestens 130 Milliarden Dollar ablesen lässt. Russland wird so zum Spielball für Spekulanten – und die Realwirtschaft blutet isoliert vom globalen Finanzmarkt immer mehr aus.

Was ist „Neurussland“?

Die Rechnung zahlen die normalen Russen über die Inflation, die real längst im hohen zweistelligen Bereich liegt. Politisch wird das früher oder später zum Problem für Wladimir Putin. Eigentlich. Denn just in der Phase, da Russland wirtschaftlich am Boden liegt, treten die Amerikaner noch einmal nach.

Heute wird US-Präsident Barack Obama wohl neue Sanktionen gegen Russland in Kraft setzen. Die sollen vor allem der Ölindustrie schaden und der Tatsache Rechnung tragen, dass die Krim immer noch in russischer Hand ist und die Separatisten rund um Donezk und Lugansk immer noch Unterstützung aus Russland für ihren Kampf gegen die Ukraine bekommen.

Stimmt. Andererseits gab es zuletzt keine neue Eskalation des Kriegs, im Gegenteil scheint Moskau am Verbleib der Ost-Ukraine unter Kiewer Führung schon aus Kostengründen ernsthaft interessiert zu sein. Gerade jetzt wäre es Zeit, einen neuen Schlichtungsversuch zu starten! Brüssel sollte sich vorsehen, den Amerikanern diese Woche mit einer Verschärfung der Sanktionen blind zu folgen.

Putin ruiniert sein Land selbst – ob mit oder ohne schärfere Sanktionen. Die Verschärfung ist eine Torheit zu Lasten der russischen Bevölkerung, das Kräftemessen zwischen Ost und West zeugt von völliger Unkenntnis der innenpolitischen Befindlichkeit in Russland: Mit neuen Strafmaßnahmen böte sich der Westen freiwillig als Sündenbock für das ökonomische Übel an, das Putin im Kern selbst zu verschulden hat. So stabilisiert Obama jenen Putin, den er insgeheim loswerden will.

Die gefährliche Folge für Europa könnte eine weitere Radikalisierung der Russen sein, die sich dank eines gut geölten Propagandaapparats ohnehin in einem Krieg mit dem Westen wähnen. Vermutlich wird das autoritäre Regime in Russland eines Tages krachend zusammenbrechen. Vorher ist aber nicht ausgeschlossen, dass Putin Politik noch aggressiver wird. Weil er es kann. Und weil er nichts mehr zu verlieren hat.  

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