Heute ist Russland unter Putin so autoritär, wie es selbst die Sowjetunion nicht immer war. Kritik lässt der Kreml im Keim ersticken, Demonstrationen sind meist verboten, Andersdenkende werden verhaftet. Mit Einschränkungen der Versammlungsfreiheit, Gesetzen gegen Homosexualität und der Ausweisung ausländischer Organisationen als „Spione“ distanziert sich die russische Elite von bürgerlichen Freiheiten und politischen Rechten, die immer noch in der Verfassung stehen. Wem dieses Klima der Unfreiheit nicht passt, der wandert aus – oft nach London, Berlin, San Francisco und Hongkong. Wachsamen Beobachtern fällt bei jeder Auslandsreise auf, wie viele Russen ihrer Heimat den Rücken gekehrt haben. Das war mal die neue Elite.
Die Abkehr vom Westen funktioniert, da die Staatsmedien mit verblüffendem Erfolg neue Feindbilder schaffen. Demnach marodieren in der Ukraine Faschisten auf Befehl der USA, die EU errichtet Konzentrationslager für russische Gefangene. „Es wird einem übel, wenn man in russische Nachrichten zappt“, sagt ein deutscher Manager. Dass die Proteste auf dem Maidan zu Beginn weder proeuropäisch noch antirussisch waren, sondern sich ähnlich wie in Moskau gegen die Arroganz der Elite richteten, ignorieren Putins Mediensoldaten. Ebenso wie die „kontrollierte Destabilisierung“, wie man in Moskau die Einflussnahme auf die Ukraine bezeichnet.
Wenn der Westen zum Feind wird, drohen auch Geschäftsleuten ungemütliche Zeiten. Kremlnahe Politiker denken laut über Gegensanktionen nach, nachdem der Westen einzelnen Ober-Russen Konten gesperrt hat und ihnen die Einreise verweigert. Die russischen Ideen reichen von der Zwangsschließung von McDonald’s-Filialen bis hin zur Konfiszierung von Vermögenswerten ausländischer Investoren. Die Staatsduma arbeitet an einem Gesetz, das dies möglich macht.
Heiliger Krieg gegen Liberale
Liberale haben es schwer in solchen Tagen. Zwar halten sich einige Leichtgewichte dieses früher mächtigen Flügels an den Spitzen von Notenbank und Finanzministerium. Einfluss auf Putin haben dagegen radikale Wirrköpfe, die dem Land eine nationalistisch-konservative Ideologie verpassen wollen. Talkmaster Dmitri Kisseljow hetzt im Fernsehen gegen den Westen, der Politologe Alexander Dugin propagiert einen „heiligen Krieg“ gegen den Liberalismus im verweichlichten Westen.
Sergej Glasjew, der Putin in Wirtschaftsfragen berät, forciert die Zuwendung Russlands hin zu China und träumt den Traum der Eurasischen Union. Das nationalistische Getrommel ist freilich auch Ausdruck einer tiefen Enttäuschung über den Westen. Auf Putins Idee der Freihandelszone von Wladiwostok bis Lissabon ging in der EU niemand ein, in der EU-Nachbarschaftspolitik gegenüber der Ukraine fühlt sich Russland übergangen.
Ökonomisch besonders fatal ist die Monostrukturierung der Wirtschaft. Eigentlich wollte Putin sein Land unabhängiger machen von Öl- und Gasexporten. Man müsse sich auf High Tech konzentrieren, um künftig Wohlstand zu garantieren, schrieb er im Januar 2012. Seither aber ist der Anteil der Rohstoffeinnahmen am Staatshaushalt und an den Exporten weiter gestiegen. Und die jüngst mit China geschlossenen Öl- und Gaslieferverträge dürften Russland weiter in Richtung Petrostaat treiben.