Russland Starregisseur Serebrennikow unter Hausarrest

In Stuttgart soll Starregisseur Serebrennikow eigentlich an der Inszenierung einer Märchenoper arbeiten, jetzt befindet er sich aber in einem Alptraum: Die russischen Behörden lassen den Theatermacher nicht frei.

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Das staatliche Ermittlungskomitee wirft ihm vor, 68 Millionen Rubel (knapp eine Million Euro) staatlicher Gelder unterschlagen zu haben. Quelle: dpa

Moskau Die russische Justiz hat den festgenommenen Starregisseur Kirill Serebrennikow (47) wegen Betrugsvorwürfen unter Hausarrest gestellt. In dem in Russland wie im Ausland kritisierten Verfahren gegen den renommierten Theatermacher verhängte eine Haftrichterin am Mittwoch den Freiheitsentzug. Dieser soll zunächst bis zum 19. Oktober gelten. Trotz des Hausarrests hält die Stuttgarter Staatsoper an der Premiere der Märchenoper „Hänsel und Gretel“ fest. Das betonte das Opernhaus am Mittwochabend.

Die Premiere soll wie geplant am 22. Oktober auf die Bühne kommen – mit Hilfe des Teams von Serebrennikow. Dies sei möglich, weil der Regisseur wesentliche Teile des Inszenierungskonzeptes, das Bühnenbild und die Kostüme bereits fertiggestellt habe, hieß es.

Die Richterin lehnte Serebrennikows Antrag ab, ihn auf freien Fuß zu setzen und weiter arbeiten zu lassen. Er müsse eine Fußfessel tragen. Die Verteidigung kündigte Rechtsmittel an. Das Staatliche Ermittlungskomitee wirft Serebrennikow vor, 68 Millionen Rubel (knapp eine Million Euro) staatlicher Gelder unterschlagen zu haben.

Unterstützer des regierungskritischen Künstlers im Gerichtssaal riefen „Schande!“ und skandierten seinen Namen, als der Spruch bekannt wurde. Auch vor dem Gebäude hatten sich mehrere hundert Menschen versammelt, um ihre Solidarität mit dem Leiter des Moskauer Gogol-Theaters zu bekunden.

Viele russische Kulturschaffende erklärten sich bereit, für Serebrennikow zu bürgen. Die Witwe des Literaturnobelpreisträgers Alexander Solschenizyn, Natalja Solschenizyna, die Schriftstellerin Ljudmila Ulitzkaja, die Regisseure Fjodor Bondartschuk und Jewgeni Mironow und andere unterzeichneten ein entsprechendes Schreiben.

In einer Online-Petition forderten bis zum Abend mehr als 16 000 Menschen ein Ende des Verfahrens. Auch die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Bärbel Kofler, äußerte sich besorgt. Das Lettische Nationaltheater in Riga, an dem Serebrennikow auch arbeitet, forderte eine Freilassung.

Der 47-Jährige erschien mit schwarzer Baseballkappe vor Gericht und machte aus dem Angeklagtenkäfig heraus vor Kameras das Victory-Zeichen. „Natürlich möchte ich, dass man mich freilässt. Ich bekenne mich nicht schuldig“, sagte er. Die Vorwürfe seien absurd. Er war am Dienstag in St. Petersburg festgenommen worden, wo er einen Film über den sowjetischen Kult-Rockstar Viktor Zoi (1962-90) drehte.

Der Hausarrest bedeutet eine weitgehende Kontaktsperre: Serebrennikow darf kein Internet nutzen und keine Post verschicken. Über Ausnahmen vom Hausarrest entscheidet der Ermittler. Bei dem Beschuldigten bestehe Fluchtgefahr, sagten Vertreter der Strafverfolgung und verwiesen gerade auf das Engagement in Stuttgart. Serebrennikow könnte auch versuchen, Beweise zu vernichten. Der russische Vize-Kulturminister Alexander Schurawski sagte: „Hausarrest ist auf alle Fälle humaner als andere Formen des Freiheitsentzugs.“

Die Oper Stuttgart kritisierte den mit einem Kommunikationsverbot nach außen verknüpften Arrest als unverhältnismäßig. „Seine gesamte künstlerische Arbeit wird so aufs Empfindlichste gestört.“ Humperdincks Oper „Hänsel und Gretel“ werde nun mit Unterstützung aller Kräfte im Sinne von Serebrennikow in Stuttgart umgesetzt.

Fertig sei etwa schon ein Film, der in Serebrennikows Konzept das zentrale narrative Medium darstelle. Der Regisseur hatte ihn bereits im Frühjahr gedreht und vor der Sommerpause geschnitten. Die musikalischen Proben mit den Sängern des Stuttgarter Ensembles und des Kinderchores haben bereits Ende der vergangenen Spielzeit begonnen. „Die Oper Stuttgart hofft, dass der Regisseur dann zur Premiere nach Stuttgart reisen kann“, so die Mitteilung.

Zuvor hatten die „Stuttgarter Zeitung“/„Stuttgarter Nachrichten“ darüber berichtet, dass die Oper doch stattfinden solle.

Die russische Justiz sieht Serebrennikow als Drahtzieher in einem besonders schweren Fall von Betrug. Es geht um das staatlich geförderte „Platforma“ in den Jahren 2011 bis 2014, um russisches Theater populärer zu machen. Serebrennikow und seine Mitarbeiter in der Produktionsfirma „Siebtes Studio“ hätten zu hohe Kosten angesetzt und das restliche Geld unterschlagen, teilten die Ermittler mit.

Zwei Ex-Mitarbeiter sitzen in U-Haft, darunter die Chefbuchhalterin, die Serebrennikow in ihren Aussagen belastet hat. Ein dritter Kollege ist in Hausarrest.

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