Die Neigung des russischen Präsidenten Wladimir Putin zur Selbstinszenierung ist der Welt hinlänglich bekannt. Es gibt ihn mit Sonnenbrille auf dem Motorrad, mit einem (angeblich selbst geangelten) 21-Kilo-Hecht im Arm und mit nackter Brust auf einem Pferd. Abgesehen von der eher harmlosen Kraftmeierei, die das russische Wahlvolk begeistert, verfügt der Kremlchef aber auch über eine Kraft, die Investoren gefährlich werden kann: Er kann Kurse bewegen. Als er im Mai beim Wirtschaftsforum Sankt Petersburg die Wahl in der Ukraine zu „respektieren“ versprach, legte der Rubel zu, der zuvor wegen seiner Krim-Annexion abgestürzt war. Als Putin dem russischen Google-Herausforderer Yandex Kontakt zu US-Geheimdiensten unterstellt hatte, ging es mit den Kursen an der Börse bergab.
Nie war Putin so unberechenbar wie in diesen Tagen, da er sich politisch auf dem Zenit seiner Macht wähnt. Denn spätestens mit der Krim-Annexion hat sich die Funktionslogik des Regimes radikal verändert: Da die Umverteilung von Wohlstand wegen der verschleppten Modernisierung nicht mehr gelingt, legitimiert Putin seinen Machtanspruch im Innern mit einer Politik der Stärke: Das Volk berauscht sich am Gefühl des „Wir-sind-wieder-Wer“ und beschert dem Kremlchef eine Popularität wie lange nicht.
„Das Fatale ist, dass diese Politik keine Rücksicht auf die ökonomische Entwicklung kennt und Russland in die Selbstisolation führt“, sagt Stefan Meister vom European Council on Foreign Relations. Zum Jahrestag des D-Day in Paris wollte vergangene Woche kein Staatschef gern neben Putin sitzen, beim G7-Gipfel tags zuvor in Brüssel hatte man den Russen gleich ganz ausgeschlossen.
Russland - und die Ängste seiner Nachbarn
25 Prozent der Bevölkerung sind ethnische Russen. 2007 erlebte das High-Tech-Land einen schlimmen Hackerangriff wohl aus Russland – da wird die Krim-Krise zum Albtraum.
Ohne russisches Gas gehen rund um Riga die Lichter aus. Das wissen die zwei Millionen Letten, von denen mehr als ein Drittel Russisch als Muttersprache angibt.
Hier begann vor 25 Jahren der Zerfall der Sowjetunion, hier verschifft Russland heute viel Erdöl. Zum russischen Erdgas gibt es auch in Litauen bislang keine Alternative.
Russland fernhalten – das ist hier parteiübergreifende Staatsraison. Seit Jahren sehen sich die Polen als Fürsprecher der Ukraine in der Europäischen Union.
Die Annexion der Krim erinnert die Tschechen fatal an den sowjetischen Einmarsch in Prag vor 46 Jahren. Russland ist weit weg – das Gefühl der Bedrohung nicht.
Das Land musste 2009 tagelang ohne Gas auskommen – Kollateralschaden russischer Sanktionen gegen die Ukraine. Eine Neuauflage dieses Szenarios wäre bedrohlich.
Ohne eigene Energiequellen sind die Ungarn vom russischen Öl und Gas abhängig. Trotzdem subventioniert die Regierung großzügig den Stromverbrauch im Lande.
Was geschieht mit dem Land, wenn die 1,4 Millionen Ungarn in Siebenbürgen nach dem Muster der Krim-Russen die heutige Staatsgrenze infrage stellen?
Ohne Öl und Gas aus Russland würde das arme Land völlig zusammenbrechen – darum fürchtet die Regierung in Sofia nichts mehr als eine Verschärfung der Konfrontation.
Die Halbinsel ist ein Armenhaus. Im Verhältnis zur Bevölkerungszahl entsprach ihre Wirtschaftsleistung bisher kaum 40 Prozent des ukrainischen Durchschnitts. Wie Putin seinen neuen Untertanen den Aufschwung bescheren will, ist unklar.
Im Sommer 2014 hat das Land ein Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnet. Doch in der abtrünnigen Region Transnistrien stehen schon lange russische Truppen.
Ökonomisch orientiert sich das Land an Europa. Wegen des Konflikts um Südossetien hat Russland ein Embargo verhängt. Das wurde aber gerade gelockert.
Das arme Land hängt am Tropf Russlands. Moskau liefert billiges Gas, baut ein Atomkraftwerk – und unterstützt die Armenier im Grenzkonflikt mit Aserbaidschan.
Die ölreiche Staat drängt sich den Europäern als alternativer Lieferant auf, der Europa bei der Diversifizierung der Energieversorgung helfen kann. Das passt den Russen gar nicht.
Die neue Regierung drängt in Richtung EU, der Osten des Landes ist mit Russland verbandelt. Aber der Handel mit Russland nimmt ab, die Oligarchen sind auf West-Kurs.
Das unterentwickelte Land hat seine Pipelines an Russland verkauft und Raffinerien an Moskauer Banken verpfändet. Minsk ist abhängig von Moskau wie keine andere Regierung.
Peking will seinen wichtigen Partner Russland nicht verprellen. Doch Grenzverschiebungen wie auf der Krim machen China mit Blick auf Tibet und die Uiguren extrem nervös.
Im Norden des Landes gibt es viele Städte, in denen Russen die Mehrheit stellen. Kasachstan ist mit seinen Rohstoffen außerdem für Russland wirtschaftlich sehr attraktiv.
Wie lange kann das Modell Putin noch gut gehen? Die je nach Berechnung sechst- bis achtgrößte Volkswirtschaft der Welt schiebt einen Berg überfälliger Reformen vor sich her und ist so abhängig von den Rohstoffpreisen wie nie zuvor. Während die Ineffizienz der Staatswirtschaft wächst, hat das auf Verteilung von Petrodollars beruhende Wirtschaftsmodell seine Grenzen erreicht. Im Falle sinkender Ölpreise oder verschärfter westlicher Sanktionen könnte Russland in eine üble Rezession schlittern, ähnlich dem Absturz von 2009, als das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 7,8 Prozent einbrach.
Drohende Stagflation
Die Zeichen stehen bereits auf Rot: Trotz stabiler Ölpreise und passabler Weltkonjunktur steckt Russland für die nächsten zwei, drei Jahre in der Stagflation fest. Laut Prognose des Internationalen Währungsfonds (IWF) wächst die Wirtschaft 2014 nur noch um 1,3 Prozent, und das ist bereits ein sehr optimistisches Szenario. Der ehemalige russische Finanzminister Alexej Kudrin sieht das Wachstum auf Jahre hinaus bei null Prozent. Die Weltbank hält in ihrem Negativszenario dieses Jahr sogar ein Minus von 1,8 Prozent für möglich. Gleichzeitig ist die Inflationsrate auf fast acht Prozent gestiegen und zwingt die russische Zentralbank, die Leitzinsen drastisch zu erhöhen. Was wiederum die Investitionen abwürgt.
Die Probleme sind überwiegend hausgemacht. Putins wirtschaftspolitisches Rezept erschöpft sich in der Umverteilung von Einnahmen aus dem Rohstoffverkauf, wobei Löhne und Pensionen selbst ohne Produktivitätssteigerungen erhöht werden. Hinzu kommt nun, dass der Kremlchef mit seiner antiwestlichen Rhetorik ausländische Unternehmer verprellt, die mit Investitionen zur dringend nötigen Modernisierung und Diversifizierung des sowjetisch geprägten Landes beitragen könnten. Letztere Hoffnungen könne man „im Moment völlig vergessen“, sagt der Moskauer Ökonom Wladislaw Inosemzew. Putin sehe sich als Gott und handle in den Tag hinein. „Einen langfristigen Plan zur wirtschaftlichen Entwicklung hat er nicht. Hatte er noch nie.“
Deutsche Exporte sinken
Fachleute tun sich schwer, den exakten Effekt von Putins Ukraine-Politik zu beziffern. „Die Wachstumsschwäche hat bereits 2013 begonnen“, sagt Frank Schauff, Geschäftsführer der Association of European Businesses in Moskau, „die Ukraine-Krise und die folgende Sanktionsdebatte haben die prekäre Wirtschaftslage aber verstärkt.“ Besonders betroffen ist die Autobranche, auch die mit diesem Sektor verbandelten Zulieferer und Anlagenbauer.
Nicht einmal der Konsum ist mehr eine große Stütze der Konjunktur. Früher steckten die mit Abwertungen erfahrenen Russen gerade in Krisenzeiten ihr Geld in materielle Werte. Nun aber scheinen die Bedürfnisse eher gesättigt zu sein. Noch mieser ist die Stimmung im Finanzsektor, wo das Investmentbanking angesichts des Investitionsklimas brach liegt und die Finanzierung bei ausländischen Geschäftsbanken wegen der hohen Risikobewertung im Russlandgeschäft kaum mehr möglich ist. „Manch ein Banker würde am liebsten aus dem Fenster springen“, sagt ein deutscher Geschäftsmann in Moskau.
Besorgt ist auch die deutsche Wirtschaft. Mit über 6000 Niederlassungen sind die Deutschen im Land besonders stark vertreten. Zwar gibt es immer noch Investitionspläne: Der Troisdorfer Fensterbauer Profine etwa plant in Russland ein drittes Werk, SAP will mit dem Moskauer Telekomkonzern Rostelekom Cloud-Systeme für Russland entwickeln. Doch die deutschen Exporte nach Russland sind im ersten Quartal um 12,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum geschrumpft. Laut einer Umfrage des Münchner ifo Instituts spüren bereits 17 Prozent der befragten Unternehmen die Auswirkungen der Ukraine-Krise in Russland, ein Drittel rechnet mit baldigen Folgen. „Viele Unternehmen haben ihre Investitionen auf Eis gelegt“, heißt es auch bei der deutsch-russischen Auslandshandelskammer.
Putins Hang zum Interventionismus zerstört das Vertrauen in den Standort: „Für das Investitionsklima ist es wichtig, dass Regeln und Gesetze eingehalten werden“, sagt der auf Russland spezialisierte Mainzer Investmentberater Jochen Wermuth mit Blick auf die Krim-Krise: „Es nicht vertrauensbildend, wenn man seinem Nachbarn ein Stück Land wegnimmt.“ Der Rubel verlor seit 2013 gegenüber Euro und Dollar ein Drittel an Wert, auch weil im ersten Quartal mit über 60 Milliarden Dollar mehr Kapital abfloss als im Gesamtjahr 2013.
Zumindest in Moskau tut man sich gleichwohl noch schwer, Zeichen der Krise zu finden: Moderne West-Autos haben alte Lada-Schiguli aus dem Stadtbild verdrängt, neuerdings gibt es Parkuhren. Ständig öffnen neue Cafés mit Freiluft-Terrassen. Gourmetköche aus dem Westen kochen für Restaurants. Parks sind renoviert; der trendige Russe flitzt jetzt auf breiten Skateboards und Rollern über die Flusspromenade am Gorki-Park. Man hat den Eindruck, als wollten die Machthaber gegen potenzielle Unzufriedenheit in der Bevölkerung vorbauen, indem sie aktiv in Lebensqualität investieren.
Wie ein Ereignis aus grauer Vorzeit wirken in diesen Frühsommertagen die Massendemonstrationen vom Dezember 2011. Eine frustrierte Mittelschicht hatte damals auf dem nahen Bolotnaja-Platz nach Wahlfälschungen dem Unmut über Korruption und Willkürherrschaft Luft gemacht. Putins schlimmste Albträume wurden wahr: Eine „bunte“ Revolution, gerichtet gegen ihn! Doch der Kremlchef reagierte taktisch klug, indem er die Protestler gewähren ließ – und strategisch fatal, indem er danach zu schärferer Repression überging und die liberalen Kräfte aus dem Alltag verdrängte.
Russland macht den Westen zum Feind
Heute ist Russland unter Putin so autoritär, wie es selbst die Sowjetunion nicht immer war. Kritik lässt der Kreml im Keim ersticken, Demonstrationen sind meist verboten, Andersdenkende werden verhaftet. Mit Einschränkungen der Versammlungsfreiheit, Gesetzen gegen Homosexualität und der Ausweisung ausländischer Organisationen als „Spione“ distanziert sich die russische Elite von bürgerlichen Freiheiten und politischen Rechten, die immer noch in der Verfassung stehen. Wem dieses Klima der Unfreiheit nicht passt, der wandert aus – oft nach London, Berlin, San Francisco und Hongkong. Wachsamen Beobachtern fällt bei jeder Auslandsreise auf, wie viele Russen ihrer Heimat den Rücken gekehrt haben. Das war mal die neue Elite.
Die Abkehr vom Westen funktioniert, da die Staatsmedien mit verblüffendem Erfolg neue Feindbilder schaffen. Demnach marodieren in der Ukraine Faschisten auf Befehl der USA, die EU errichtet Konzentrationslager für russische Gefangene. „Es wird einem übel, wenn man in russische Nachrichten zappt“, sagt ein deutscher Manager. Dass die Proteste auf dem Maidan zu Beginn weder proeuropäisch noch antirussisch waren, sondern sich ähnlich wie in Moskau gegen die Arroganz der Elite richteten, ignorieren Putins Mediensoldaten. Ebenso wie die „kontrollierte Destabilisierung“, wie man in Moskau die Einflussnahme auf die Ukraine bezeichnet.
Wenn der Westen zum Feind wird, drohen auch Geschäftsleuten ungemütliche Zeiten. Kremlnahe Politiker denken laut über Gegensanktionen nach, nachdem der Westen einzelnen Ober-Russen Konten gesperrt hat und ihnen die Einreise verweigert. Die russischen Ideen reichen von der Zwangsschließung von McDonald’s-Filialen bis hin zur Konfiszierung von Vermögenswerten ausländischer Investoren. Die Staatsduma arbeitet an einem Gesetz, das dies möglich macht.
Heiliger Krieg gegen Liberale
Liberale haben es schwer in solchen Tagen. Zwar halten sich einige Leichtgewichte dieses früher mächtigen Flügels an den Spitzen von Notenbank und Finanzministerium. Einfluss auf Putin haben dagegen radikale Wirrköpfe, die dem Land eine nationalistisch-konservative Ideologie verpassen wollen. Talkmaster Dmitri Kisseljow hetzt im Fernsehen gegen den Westen, der Politologe Alexander Dugin propagiert einen „heiligen Krieg“ gegen den Liberalismus im verweichlichten Westen.
Sergej Glasjew, der Putin in Wirtschaftsfragen berät, forciert die Zuwendung Russlands hin zu China und träumt den Traum der Eurasischen Union. Das nationalistische Getrommel ist freilich auch Ausdruck einer tiefen Enttäuschung über den Westen. Auf Putins Idee der Freihandelszone von Wladiwostok bis Lissabon ging in der EU niemand ein, in der EU-Nachbarschaftspolitik gegenüber der Ukraine fühlt sich Russland übergangen.
Ökonomisch besonders fatal ist die Monostrukturierung der Wirtschaft. Eigentlich wollte Putin sein Land unabhängiger machen von Öl- und Gasexporten. Man müsse sich auf High Tech konzentrieren, um künftig Wohlstand zu garantieren, schrieb er im Januar 2012. Seither aber ist der Anteil der Rohstoffeinnahmen am Staatshaushalt und an den Exporten weiter gestiegen. Und die jüngst mit China geschlossenen Öl- und Gaslieferverträge dürften Russland weiter in Richtung Petrostaat treiben.
Nur auf Öl-Export zu setzen wird bald nicht mehr reichen
Obwohl die Ölförderung in den weithin ausgebeuteten Feldern aus den Siebzigerjahren weiter hochgefahren wird und der Barrelpreis stabil um die 110 Dollar liegt, trägt der Rohstoffreichtum nicht zur wirtschaftlichen Entwicklung bei. Im Gegenteil. Der Reichtum an Rohöl hemmt die Entwicklung von Wertschöpfungstiefe, die Russland schon wegen der Beschäftigungseffekte dringend nötig hat. Die Gas- und vor allem Ölexporte nach Europa sind für den russischen Fiskus so lukrativ, dass die Rohstoffe kaum verarbeitet werden.
G7 erhöhen Druck auf Russland
Mangels Raffineriekapazität muss das Land daher Benzin und Diesel importieren. Sogar Plastik-Mülltonnen führt Russland aus Deutschland ein, weil es an petrochemischen Betrieben fehlt. „Sie haben aus der Rohstoffwirtschaft herausgeholt was möglich war, aber nun müssen neue Wachstumsquellen her“, sagt Christopher Hartwell, Konjunkturforscher an der Skolkovo School of Management. Dazu sei es nötig, das „grauenvolle Investitionsklima“ zu verbessern.
Hier war Russland schon mal weiter. Als Dmitri Medwedew 2008 Präsident wurde, ließ er Beamte in Bussen in eine Kleinstadt kutschieren, wo er mittelständische Betriebe besuchte und sich von Erfahrungen mit Behörden berichten ließ. Danach stauchte er die Beamtenschar vor laufenden Kameras zusammen, nannte sie einen „Albtraum für Unternehmer“. Medwedew, heute macht- und wirkungsloser Regierungschef unter Putin, wollte den Aufbau eines innovativen Mittelstands fördern und das Land aus der Ölabhängigkeit befreien.
Aus der Zeit des Aufbruchs ist nur ein futuristisches Gebäude übrig geblieben. Es besteht aus einem Plateau mit vier Hochhausquadern und schaut aus wie ein Raumschiff, das keine Landegenehmigung für Moskau erhalten hat: Die Skolkovo School of Management liegt in einem Dorf am westlichen Stadtrand, wurde von Russlands liberaler Wirtschaftselite finanziert und 2010 eröffnet. Die Eliteschule ist eine Oase von Innovation und Internationalität, Symbol eines modernen Russlands, von dem die neue Generation träumt.
Im hellen Foyer begrüßt Maxim Karpow seine Besucher. Der Jurist kümmert sich um Start-ups, ein angeschlossenes Gründerzentrum hilft bei der Registrierung von Patenten und der Arbeit am Businessplan. „Innovationen scheitern in Russland nicht an den Leuten. Kluge Kreative haben wir reichlich“, sagt Karpow. Es hapere an der Kommerzialisierung von Ideen und am Investitionsklima. „Bei uns haben zu viele postsowjetische Entscheider keynesianischer Prägung das Kommando, die wollen die Wirtschaft steuern und kontrollieren“, so Karpow. „Echte Veränderungen, ein Klima für Innovationen, müssen sich in Russland von unten entwickeln.“
Das kann allerdings dauern. Sogar Absolventen von Wirtschaftsuniversitäten arbeiten derzeit lieber für Gazprom, als sich selbstständig zu machen. Viele hoch qualifizierte Russen verlassen ihr Land gleich ganz. Zurück bleiben die Alten und gering Produktiven, die dem Staat zumal in Krisenzeiten auf der Tasche liegen.
Wie lange kann Putin seinen Kurs noch durchhalten? Der Ökonom Jewgeni Gontmacher, der damals an Medwedews Modernisierungspolitik mittüftelte, sieht Russland mit seinen hohen Währungsreserven für eine längere Stagflation gewappnet. „Die Teuerung dürfte zwar zu sozialen Spannungen gerade unter Rentnern und Staatsbediensteten führen“, so Gontmacher. Aber der Mix aus Propaganda und Patriotismus werde vorerst helfen, dass soziale Unzufriedenheit nicht in politische Proteste umschlägt – selbst wenn die Preise fürs Brot schneller steigen als die Renten.
Im Falle sinkender Ölpreise aber wird sich die ökonomische Schieflage nicht mehr kaschieren lassen. Fehlen die Petro-dollars, wird es eng für Russland – und am Ende auch für Putin selbst.