Sackgasse Balkan Auch Kroatien stoppt Flüchtlinge

Auf Ungarn folgt Kroatien: Mit dem Balkanstaat schließt ein weiteres Land seine Grenzen vor Flüchtlingen. Hunderte haben sich daraufhin zu Fuß auf den Weg in den Norden gemacht. Auch Deutschland verstärkt die Kontrollen.

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In der kroatischen Grenzstadt Tovarnik haben sich Hunderte Flüchtlinge auf den Fußweg nach Österreich gemacht. Quelle: dpa

Tovarnik/Berlin Der Balkan droht für Zehntausende Flüchtlinge auf dem Weg in die EU zur Sackgasse zu werden: Nach Ungarn schränkte am Donnerstag auch Kroatien die Einreise von Schutzsuchenden drastisch ein. Hunderte Flüchtlinge machten sich daraufhin zu Fuß auf den Weg, um über Bahngleise oder Felder die Grenze zu überqueren. Angesichts des nicht nachlassenden Flüchtlingsstroms soll nun eine Lösung auf höchster Ebene gesucht werden: Für kommenden Mittwoch wurde ein Krisengipfel der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union angesetzt. Für Streit sorgt unter anderem die Verteilung der Flüchtlinge. Die Bundesregierung plant deutlich strengere Regeln für Asylbewerber, die über andere Staaten der EU nach Deutschland eingereist sind.

An Kroatiens Grenze kam es zu dramatischen Szenen, nachdem am Dienstag Ungarn seine Grenze zu Serbien für Flüchtlinge praktisch geschlossen hatte. Viele der aus Syrien und anderen Krisenländern stammenden Menschen wählten daraufhin die Route über die serbisch-kroatische Grenze, um in die EU zu gelangen. Zwischen Mittwoch und Donnerstag kamen binnen 24 Stunden nach kroatischen Angaben mehr als 7300 Hilfesuchende ins Land.

Am Grenzort Tovarnik versuchten mit Helmen ausgerüstete Bereitschaftspolizisten drängelnde Flüchtlinge unter Kontrolle zu bringen, die sich einen Platz in einem der bereitgestellten Busse in Aufnahmelager in Zagreb sichern wollten. Es kam zu Handgemengen. Frauen schrien, Kinder weinten. Ein Iraker sagte, Männer würden nicht mehr in die Busse gelassen. „Meine Frau und mein Kind sind weg und sie lassen mich nicht zu ihnen. Mein Telefon funktioniert nicht.“ Die Armee wurde einem Agenturbericht zufolge angewiesen, sich bereit zu halten, beim Grenzschutz zu helfen, falls nötig.

„Wir können keine weiteren Flüchtlinge aufnehmen“, sagte Kroatiens Innenminister Ranko Ostojic. „Als wir erklärt haben, wir würden Korridore (für Flüchtlinge) einrichten, meinten wir einen Korridor von Tovarnik nach Zagreb.“ Er suggerierte damit, Kroatien werde Flüchtlingen nicht die Weiterreise an die Grenze zu Slowenien erlauben. Noch am Vortag waren Behörden davon ausgegangen, Kroatien sei nur Transitland für die Flüchtlinge.

Auch Slowenien schloss eine Passage für Flüchtlinge aus. Das Land liegt auf der Route nach Österreich und Deutschland, dem Ziel der meisten Flüchtlinge. Slowenien will Asylbewerber beherbergen oder zurückschicken. Über die Türkei und Griechenland suchen nach wie vor Zehntausende den Weg aus Syrien, Afghanistan oder den Lagern des Libanon den Weg nach Westeuropa. Bulgarien verstärkte seine Truppen an der Grenze zur Türkei.


„Schmidt ist ein Bauernopfer“

In der EU setzte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel mit der Forderung nach einem EU-Gipfel durch. Er soll einen Tag nach einem Treffen der EU-Innenminister stattfinden, die einen zweiten Versuch unternehmen, die Verteilung von 120.000 Asylsuchenden in der Union zu regeln. Am Montag war dies nicht gelungen. Vor allem osteuropäische Staaten wehren sich gegen die Aufnahme der Flüchtlinge und pochen auf freiwillige Vereinbarungen. Deutschland und Frankreich streben dagegen verbindliche Flüchtlingsquoten an.

In Deutschland verstärkte die Bundespolizei die Kontrollen auch an der Grenze zu Tschechien, nachdem am Sonntag Kontrollen an der österreichischen Grenze eingeführt worden waren. Die Bahnstrecke Salzburg-München blieb in beiden Richtungen gesperrt. Dies galt auch für den Nahverkehr über die österreichische Grenze in dieser Region. In den vergangenen Tagen waren die Flüchtlinge vor allem in Zügen über Österreich nach Deutschland eingereist. Hierzulande kamen trotz Grenzkontrollen am Mittwoch wieder über 7000 Asylbewerber an. Am Donnerstag wurden allein im Bereich der Bundespolizeiinspektion Rosenheim bis zum Nachmittag 2300 Flüchtlinge registriert.

Der Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Manfred Schmidt, trat unterdessen überraschend zurück. Er habe aus persönlichen Gründen um seine Entlassung gebeten, teilte das Bundesinnenministerium mit. Die Opposition wertete Schmidts Rücktritt jedoch als Versuch, Ressortchef Thomas de Maiziere aus der Schusslinie zu nehmen. „Das ist ein Bauernopfer“, sagte Grünen-Chefin Simone Peter der Nachrichtenagentur Reuters. De Maiziere trage die Verantwortung für fehlendes Personal und andere Missstände in der Behörde. Auf die Frage, ob er selbst Rücktrittsgedanken habe, sagte der Minister in Rosenheim: „Nein, ich arbeite.“

Das BAMF ist für die Asylverfahren zuständig, konnte aber über 250.000 Anträge bislang noch nicht bearbeiten, während permanent neue hinzukommen. Die Bundesregierung erwartet mindestens 800.000 Asylsuchende in diesem Jahr.

Die Bundesregierung plant eine Verschärfung der Regeln für Asylbewerber. Einem Reuters vorliegenden Gesetzentwurf zufolge sollen unter anderem Menschen von gesetzlichen Leistungen ausgeschlossen werden können, deren Asylverfahren nach den sogenannten Dublin-Regeln in einem anderen EU-Land abgewickelt werden müssten und die somit eigentlich ausreisepflichtig sind. Menschen mit einer dauerhaften Bleibeperspektive sollen dagegen möglichst schnell in Gesellschaft und Arbeitswelt integriert werden.

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