Saudi-Arabien Von der Tankstelle der Weltwirtschaft zum neuen Krisenherd

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Für Saudi-Arabien steht viel auf dem Spiel

Das Haus Saud ließ jetzt den Henker agieren, um die noch freien Gesinnungsfreunde der Inhaftierten einzuschüchtern. Und daneben offenbar auch, um der weiten Welt von Washington bis Peking zu beweisen, dass man nicht mehr als Pate eines mörderischen Islamismus auftreten will, sondern als dessen Opponent.

Was freilich nicht funktioniert – die saudische Henkerjustiz ist dermaßen weit von normalen juristischen Standards entfernt, dass einem Guantanamo geradezu als alternatives Erziehungscamp für jugendliche Straftäter erscheinen mag.

Was wichtig ist in diesem Zusammenhang: Mit der von vielen hierzulande so gefürchteten Scharia, also dem traditionellen islamischen Rechtssystem, hat der saudische Blutrausch von 2016 nichts zu tun. Im Gegenteil gehört das „Sondergericht für Kriminalsachen“, vor dem der saudische Staat seine Feinde jetzt hat aburteilen lassen, zu den wenigen Gerichtshöfen des Landes für welche die Scharia mit ihren peniblen prozessualen Vorschriften ausdrücklich nicht gehört.

Deutsche Waffen nach Saudi-Arabien

Und das ist ein Hauptgrund für die Hinrichtung des prominentesten der 47 Toten: Ayatollah Nimr al-Nimr, das politische Haupt der schiitischen Minderheit im Land, zum Tode verurteilt wegen „Ungehorsam gegenüber dem Herrscher“. Aber in Wirklichkeit, damit die radikal sunnitischen Sympathisanten der jetzt hingerichteten Al-Kaida-Leute Ruhe geben.

Der König und seine Mitstreiter versuchen, mit dem Willkür-Urteil gegen den Führer ihrer schiitischen Untertanen ihre sunnitische Basis zu besänftigen: Das sind Leute, die der König derzeit aufgrund wirtschaftlicher Zwänge um viele alltägliche Annehmlichkeiten bringen muss. Aber auch Leute, deren Söhne im verlustreichen Jemenkrieg eingesetzt werden, Leute schließlich, deren ideologische Gesinnungsgenossen in Syrien und in Libyen derzeit die Unterstützung der saudischen Führung verlieren, die den westlichen Vorwurf abwehren will, sie unterstütze den internationalen sunnitischen Terrorismus.

Die Kosten dieser Strategie sind immens. Da ist natürlich zuerst die Konfrontation mit der schiitischen Vormacht Iran, in der König Salman keineswegs auf alle sunnitisch dominierten Staaten der Region als Verbündete setzen kann. Und dann die Folgen eines internationalen Imageverlusts: Saudi-Arabien ist derzeit noch zweitgrößter Waffenimporteur der Welt. Wenn das so bleiben soll, braucht der König erstens viel Geld (das ist schwierig geworden) und zweitens Vertrauen im Ausland (das ist extrem gefährdet).

Schließlich bedeutet mangelndes Vertrauen auch, dass die Hoffnung der Saudis auf ausländische Investitionen in ihrem Wüstenland schwindet. Und ohne Investitionen ist die Verwandlung der wirtschaftlichen Erdöl-Monokultur in eine im 21. Jahrhundert lebensfähige Volkswirtschaft eine Fata Morgana.

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