Wahrscheinlich haben die Prinzen in der saudischen Hauptstadt Riad die Bilder von ihrer brennenden Botschaft in der iranischen Hauptstadt Teheran mit einer Mischung von Wut und grimmigem Vergnügen angesehen. Zu sehr erinnert der Sturm auf die saudische Botschaft im Iran an die monatelange Besetzung der amerikanischen Botschaft in Teheran vor inzwischen 35 Jahren. Das hat damals die Beziehungen des Iran zur westlichen Welt auf Jahrzehnte geprägt und verdorben. Und genau das mag sich die saudische Führung heute noch einmal wünschen.
Denn König Salman und seine Berater müssen aufpassen. Ihre Erdöl-Politik – Förderung der eigenen Vorräte bis zum letzten Tropfen – droht zu scheitern. Russische und amerikanische Weltmarktkonkurrenten verschwinden trotz des niedrigen Ölpreises nicht schnell genug vom Weltmarkt, und in der eigenen Staatskasse, die sich in guten Jahren zu 90 Prozent aus dem Erdölexport speiste, klafft ein Loch.
Wissenswertes zum Iran
Der Iran ist schon alleine wegen der Bevölkerungszahl von fast 80 Millionen eine Macht in der Golf-Region. Der Gottesstaat war jedoch wegen seiner kompromisslosen Atompolitik in den vergangenen zehn Jahren international isoliert. Die im Zusammenhang mit dem Atomstreit verhängten Sanktionen führten in dem öl- und gasreiche Land auch zu einer Wirtschaftskrise. Viele Beobachter rechneten daher mit einem zweiten Nordkorea am Persischen Golf.
Mit dem Sieg von Hassan Ruhani bei der Präsidentenwahl 2013 im Iran änderte sich jedoch das Bild. Sein Wahlslogan „Versöhnung mit der Welt“ führte im Juli 2015 zu einem Atomabkommen mit dem Westen. Der Iran wurde plötzlich zu einem potenziellen politischen und wirtschaftlichen Partner des Westens in einer von Krisen geschüttelten Region. Besonders im Syrien-Konflikt hofft der Westen auf eine positive Rolle Teherans.
Mit seinen beiden gut ausgerüsteten Streitkräften - der klassischen Armee und den Revolutionsgarden - kann der Iran besonders im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) eine entscheidende Rolle spielen. Diese Rolle aber ist innerhalb der Region höchst umstritten, unter anderem bei der anderen Regionalmacht Saudi-Arabien. Ideologische und besonders religiöse Differenzen zwischen dem schiitischen Iran und den sunnitisch-wahhabistischen Saudis sorgen daher immer wieder für Spannungen in der Region.
Das lässt sich mittelfristig vielleicht über eine Diversifizierung der Volkswirtschaft stopfen, kurzfristig aber nur durch Sparmaßnahmen in der überaus großzügigen Sozialpolitik oder durch Einführung von Steuern. Beides bedroht die innere Stabilität der saudischen Monarchie und muss abgefedert werden: durch außenpolitische Erfolge wie etwa den Krieg im Nachbarland Jemen – und durch Unterdrückung der Opposition.
Nur funktioniert das bisher überhaupt nicht gut. Der Jemenkrieg droht zum militärischen und politischen Desaster zu werden. Und die Unterdrückung der Opposition führt offenbar nicht zu weniger Aufmüpfigkeit in der eigenen Bevölkerung, sondern zu mehr. Was Außenstehende oft nur schwer verstehen: Die gefährlichste Opposition für den erzkonservativen saudischen König sind nicht die wenigen Liberalen im Land und auch nicht die vom Iran unterstützte Minderheit schiitischer Konfession im nordöstlichen Landesteil.
Wissenswertes über Saudi-Arabien
Saudi-Arabien ist mit den für Muslime bedeutenden Städten Mekka und Medina die Geburtsstätte des Islam.
Seit 1932 wird der Wüstenstaat auf der Arabischen Halbinsel von der Familie Al-Saud als absolute Monarchie geführt. Die Scheichs haben mit dem Wahhabismus eine konservative Auslegung des Islam im Land etabliert und vor allem Frauen mit strengen Regeln belegt. So ist Saudi-Arabien das einzige Land der Welt, in dem Frauen nicht Auto fahren dürfen.
In dem Land leben nach Angaben der UN rund 27 Millionen Menschen, ein Drittel von ihnen sind Gastarbeiter. Die Mehrheit der Saudis sind sunnitische Muslime. Im Osten des Landes lebt eine schiitische Minderheit, die jedoch immer wieder Repressalien ausgesetzt ist. Sunniten sprechen ihnen ab, wahre Muslime zu sein.
Als größter Produzent unter den Erdöl-Staaten (Opec) kann das Königreich einen großen Reichtum vorweisen. Die Staatsreserven werden auf 750 Milliarden US-Dollar geschätzt.
Wirklich gefährlich sind nach wie vor die ultra-radikalen islamischen Konservativen sunnitischer Konfession, die seit vielen Jahren und mit den Jahren immer heftiger gegen den Widerspruch zwischen der asketischen offiziellen Ideologie des Königsreichs und dem Luxusleben seiner herrschenden Elite aufbegehren.
Aus dieser Ecke kamen vor zwei Jahrzehnten Osama Bin Laden und seine Al-Kaida-Terroristen, kam vor einem Jahrzehnt das Gros der 47 Männer, die vergangenen Samstag als Terroristen hingerichtet wurden, zumeist nach langer Gefängnishaft. Und kommt heute ein schwer fassbarer Untergrund, dessen mörderische Energie die Herrscher in Riad nicht mehr auf ausländische Ziele von Afghanistan über Syrien bis New York ablenken können.
Für Saudi-Arabien steht viel auf dem Spiel
Das Haus Saud ließ jetzt den Henker agieren, um die noch freien Gesinnungsfreunde der Inhaftierten einzuschüchtern. Und daneben offenbar auch, um der weiten Welt von Washington bis Peking zu beweisen, dass man nicht mehr als Pate eines mörderischen Islamismus auftreten will, sondern als dessen Opponent.
Was freilich nicht funktioniert – die saudische Henkerjustiz ist dermaßen weit von normalen juristischen Standards entfernt, dass einem Guantanamo geradezu als alternatives Erziehungscamp für jugendliche Straftäter erscheinen mag.
Was wichtig ist in diesem Zusammenhang: Mit der von vielen hierzulande so gefürchteten Scharia, also dem traditionellen islamischen Rechtssystem, hat der saudische Blutrausch von 2016 nichts zu tun. Im Gegenteil gehört das „Sondergericht für Kriminalsachen“, vor dem der saudische Staat seine Feinde jetzt hat aburteilen lassen, zu den wenigen Gerichtshöfen des Landes für welche die Scharia mit ihren peniblen prozessualen Vorschriften ausdrücklich nicht gehört.
Deutsche Waffen nach Saudi-Arabien
2014 lieferte Deutschland nach dem Rüstungsexportbericht Waffen im Wert von 209 Millionen Euro nach Saudi-Arabien, darunter Kriegswaffen für 51 Millionen Euro.
Genehmigt wurde unter anderem die Ausfuhr von Raketen und anderen Flugkörpern, von Teilen für Fregatten und Schnellboote, Teilen für Kampf- und Tankflugzeuge sowie von Teilen für Gewehre.
Im 1. Halbjahr 2015 erreichten die Genehmigungen laut Bericht der Bundesregierung einen Gesamtumfang von 178,7 Millionen Euro.
Exportiert werden demnach unter anderem Geländewagen, Teile für gepanzerte Fahrzeuge und Teile für Kampfflugzeuge, Luftbetankungsausrüstung, Zieldarstellungsdrohnen sowie vier Schießsimulatoren vom Typ „Gladio“. Auch der Export von 15 deutschen Patrouillenbooten vom Typ „44m“ wurde genehmigt.
Das Öl-reiche Saudi-Arabien ist ein wichtiger Abnehmer für Waffen aus Deutschland. Über den Verkauf von Kampfpanzern an das autoritär regierte Königreich wird seit Jahren spekuliert. Nach Medienberichten will Saudi-Arabien bis zu 300 „Leopard 2“ erwerben.
Den Export des Sturmgewehrs G36 verweigert die Bundesregierung. Der Hersteller Heckler & Koch will mit einer Klage eine Entscheidung über eine Ausfuhrgenehmigung für Teile des Sturmgewehrs in das Königreich erzwingen. Dort steht bereits eine G36-Waffenfabrik. Es fehlen aber Komponenten, weil derzeit keine Fertigungsteile für das Gewehr geliefert werden dürfen.
Und das ist ein Hauptgrund für die Hinrichtung des prominentesten der 47 Toten: Ayatollah Nimr al-Nimr, das politische Haupt der schiitischen Minderheit im Land, zum Tode verurteilt wegen „Ungehorsam gegenüber dem Herrscher“. Aber in Wirklichkeit, damit die radikal sunnitischen Sympathisanten der jetzt hingerichteten Al-Kaida-Leute Ruhe geben.
Der König und seine Mitstreiter versuchen, mit dem Willkür-Urteil gegen den Führer ihrer schiitischen Untertanen ihre sunnitische Basis zu besänftigen: Das sind Leute, die der König derzeit aufgrund wirtschaftlicher Zwänge um viele alltägliche Annehmlichkeiten bringen muss. Aber auch Leute, deren Söhne im verlustreichen Jemenkrieg eingesetzt werden, Leute schließlich, deren ideologische Gesinnungsgenossen in Syrien und in Libyen derzeit die Unterstützung der saudischen Führung verlieren, die den westlichen Vorwurf abwehren will, sie unterstütze den internationalen sunnitischen Terrorismus.
Die Kosten dieser Strategie sind immens. Da ist natürlich zuerst die Konfrontation mit der schiitischen Vormacht Iran, in der König Salman keineswegs auf alle sunnitisch dominierten Staaten der Region als Verbündete setzen kann. Und dann die Folgen eines internationalen Imageverlusts: Saudi-Arabien ist derzeit noch zweitgrößter Waffenimporteur der Welt. Wenn das so bleiben soll, braucht der König erstens viel Geld (das ist schwierig geworden) und zweitens Vertrauen im Ausland (das ist extrem gefährdet).
Schließlich bedeutet mangelndes Vertrauen auch, dass die Hoffnung der Saudis auf ausländische Investitionen in ihrem Wüstenland schwindet. Und ohne Investitionen ist die Verwandlung der wirtschaftlichen Erdöl-Monokultur in eine im 21. Jahrhundert lebensfähige Volkswirtschaft eine Fata Morgana.