Schäuble in London Mit Charme gegen die Brexit-Gefahr

„Desaster“, „Sprengstoff“: In der Vergangenheit hatte Wolfgang Schäuble zum Brexit drastische Worte parat. In London versuchte er nun die Briten mit Charme von der EU zu überzeugen. Denn die Isolation könnte Brüssel und die Insel ins Wanken bringen.

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Wolfgang Schäuble bei seinem Vortrag bei der britischen Handelskammer in London. Quelle: AP

London Es ist schwierig, solche Warnungen zu steigern. Ein Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union käme einem Desaster gleich, sagte Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble bereits vor ein paar Jahren. Es wäre, wie wenn jemand mit einer brennenden Kerze einen Raum voll mit Sprengstoff betreten würde, warnte er vor wenigen Monaten.

Am Donnerstag hat es Schäuble daher bei einem Auftritt in London daher mit einer anderen Strategie versucht. Er gab sich überwiegend charmant. Seine Angstmacherei hielt sich im Rahmen. „Europa braucht Großbritannien, um weitere Reformen in der Europäischen Union zu verwirklichen“, betonte er. Großbritannien habe die EU stets positiv beeinflusst. „Und daher hoffe ich, dass das Land zu der Erkenntnis kommt, dass es innerhalb der EU besser aufgehoben ist als außerhalb.“

Schäuble sprach in der altehrwürdigen Carpenters Hall, dem Sitz der Gilde der Schreiner in London, bei einer Veranstaltung des Deutsch-Britischen Forums über die Zukunft Großbritanniens in Europa – gemeinsam mit Unternehmensvertretern wie Jürgen Maier, dem Chef des britische Siemens-Ablegers, und Nicola Horlick, Chefin der Crowdfunding-Plattform Money & Co.

Auf dem Podium waren beide Seiten vertreten: Matthew Elliott etwa, der Chef der Organisation Business for Britain, der sich für den Austritt stark machte, den Brexit. Großbritannien werde problemlos einen guten Deal mit der EU ausmachen können. Schließlich sei es ja die fünfgrößte Volkswirtschaft der Welt, die EU könne gar nicht ohne Großbritannien. Auf der anderen Seite setzte sich Mike Hawes, Chef der Organisation, die das Automobilgewerbe unterstützt, gegen einen Brexit ein. Die Nachteile eine Austritts würden eindeutig größer als die Vorteile ausfallen.

Am 23. Juni werden Millionen von Briten darüber abstimmen, ob sie Brüssel den Rücken kehren. Cameron hat den Briten vor drei Jahren ein Referendum über die EU-Zugehörigkeit in Aussicht gestellt – auf Grund des zunehmenden Drucks der Europaskeptiker in seiner konservativen Tory-Partei und des Aufstiegs der rechtspopulistischen Ukip-Partei. Er hat den Briten damals aber einen Zwei-Stufen-Plan versprochen. Erst wolle er mit der EU einen ,besseren Deal' aushandeln und Großbritanniens Sonderstellung innerhalb der EU absichern. Dann käme die Abstimmung.

Auf diesen Deal hat er sich im Februar mit den anderen EU-Staats- und Regierungschefs geeinigt. Dieses Reformpaket sieht unter anderem vor, dass Großbritannien bei künftigen Integrationsschritten der EU außen vor bleibt und EU-Ausländer bis zu vier Jahre von bestimmten Sozialleistungen ausschließen kann.

Den Europaskeptikern auf der Insel – und teilweise auch in Camerons Kabinett – reicht das nicht. Einige der Kabinettsmitglieder werben daher für den Brexit und begründen das unter anderem damit, dass das Land wieder mehr Souveränität bräuchte. Cameron widerspricht: Ein EU-Austritt schaffe allenfalls die Illusion von mehr nationaler Souveränität. Mit der EU-Zugehörigkeit habe Großbritannien dagegen das Beste aus zwei Welten.


Finanzbranche fürchtet den Brexit

Auch britische Unternehmen springen Cameron zur Seite – vor allem aus der Finanzbranche: Bob Parker, ein Berater der Credit Suisse, warnte jüngst in einem Interview mit Bloomberg-TV, dass 45.000 Jobs in der Londoner City in Gefahr seien, wenn Großbritannien sich aus der EU verabschiede. Die City müsste einiges an Herausforderungen bewerkstelligen, so Parker. Es sei keinesfalls unrealistisch zu prognostizieren, dass von den 300.000 Beschäftigten im Londoner Finanzsektor etwa 15 Prozent ihren Job verlieren könnten.

Andere Banken und Finanzexperten haben ebenfalls gewarnt, dass London seinen Status als eines der weltweit größten Finanzmetropolen verlieren könnte. HSBC-Chef Stuart Gulliver ist bereits konkreter geworden und hat angekündigt, dass er 1000 Investmentbanker nach Paris verlagern könnte, wenn es zum Brexit käme.

Blackrock, der weltweit größte Vermögensverwalter, sagte in einer aktuellen Studie voraus, dass das britische Wirtschaftswachstum nachlassen würde und Investitionen zurückgehen würden auf der Insel, sollte die Mehrheit der Briten für einen EU-Austritt stimmen. Brexit sei mit vielen Risiken verbunden. Und die Gegenleistung für einen Austritt sei gering.

Bei der Veranstaltung des Deutsch-Britischen Forums stützten Brexit-Gegner ihre Sicht noch mit anderen Argumenten: Großbritannien werden bei einem Austritt keine Einfluss mehr auf Regeln und Auflagen nehmen können, die weiterhin für die Insel gelten würden, sagte Ian Robertson, Chef von BMW in Großbritannien. BMW-Ablegers. Ähnlich äußerte sich der britische Siemens-Chef Maier und Nicola Horlick von Money & Co. Großbritannien brauche die EU mehr als die EU Großbritannien brauche. Die Insel habe mehr zu verlieren, betonte Horlick.

Otmar Issing, der frühere Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank (EZB), nahm sich vor allem ein Argument der Brexit-Fürsprecher vor: Sie wollten die Regulierung auf dem britischen Arbeitsmarkt herunterfahren – in der Hoffnung, dass sich das Wachstum dann beschleunige. Das sei ein Irrglaube, sagte Issing. Großbritannien sei bereits das Land mit sehr niedriger Arbeitsmarktregulierung.

Finanzminister Schäuble konnte sich in seinem Vortrag einige Warnungen ganz am Ende aber doch nicht verkneifen: „Es wäre gefährlich für die EU als Ganzes, wenn Großbritannien sich für den Brexit entscheidet.“ Und weiter: Eigentlich könnte es nicht im britischen Interesse sein, die EU zu schwächen.

Großbritannien sollte sich eigentlich in „splendid integration“ üben – in „wunderbarer Integration“, sagte er. Und nicht in „splendid isolation“ (wunderbare Isolation), betonte Schäuble in Anlehnung an die Außenpolitik des Landes Ende des 19. Jahrhunderts, als sich Großbritannien wegen seiner Insellage mit dauerhaften Allianzen oder anderen Verpflichtungen gegenüber anderen Weltmächten zurückhielt.

Auf Kritik aus Reihen der Zuschauer, dass die EU sich nur sehr langsam reformiere, teilweise Zusagen nicht einhalte und möglicherweise das Reformpaket Camerons hintertreiben könnte, entgegnete er: „Ein Deal ist ein Deal.“

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