Es ist der 19. September 2014. Alex Salmond, Ministerpräsident Schottlands und Vorsitzender der Scottish National Party (SNP), versucht, seine größte politische Niederlage zu einem Triumph zu verklären: „Wir haben Teile der Gesellschaft berührt, die sich sonst nicht von Politik berühren lassen.“
Die schottische Nationalbewegung, angeführt von der SNP, hatte zuvor versucht, das Land per Referendum vom Rest des Königreichs loszueisen. Das Ergebnis fiel deutlicher aus, als erwartet. 55 Prozent der 5,3 Millionen Schotten stimmten gegen die Unabhängigkeit.
Salmond legte noch am selben Tag den Parteivorsitz nieder. Was er bei seiner Rücktrittserklärung sagte, lässt heute aufhorchen: Schottland habe „mit Mehrheit entschieden, zu diesem Zeitpunkt kein unabhängiges Land zu werden.“
„Zu diesem Zeitpunkt“: Nach dem Brexit-Votum der Briten erhält dieser Teilsatz neue Brisanz.
Bereits am Freitag kündigte Salmonds Nachfolgerin an der SNP-Spitze, die schottische Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon, an, was bis zum Brexit ausgeschlossen schien: ein zweites Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands.
Das sagen Ökonomen zum Brexit-Entscheid
„Wir müssen einen sanften Übergang in eine neue wirtschaftliche Beziehung sicherstellen. Der IWF unterstützt die Bank von England und die Europäische Zentralbank darin, für die nötige Liquidität des Bankensystems zu sorgen und Schwankungen nach der Abstimmung zu begrenzen.“
„Der Brexit ist für die deutsche Wirtschaft ein Schlag ins Kontor.“
„Die Briten werden die Ersten sein, die unter den wirtschaftlichen Folgen leiden werden.“
„Wir erwarten in den kommenden Monaten einen deutlichen Rückgang des Geschäfts mit den Briten. Neue deutsche Direktinvestitionen auf der Insel sind kaum zu erwarten.“
„Nach einem EU-Austritt sollte niemand Interesse daran haben, mit Zollschranken zwischen Großbritannien und dem Festland den internationalen Warenverkehr zu verteuern.“
„Es wird nicht lange dauern, bis unsere Maschinenexporte nach Großbritannien spürbar zurückgehen werden.“
„Weniger Wirtschaftswachstum in den EU-Staaten und ein schwächeres Exportgeschäft werden die Konsequenzen sein.“
„Die EU-Staats- und Regierungschefs müssen schnell die dringend erforderlichen Reformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit und Fairness im EU-Binnenmarkt in Angriff nehmen.“
"Es kommt jetzt darauf an, ob wir eine saubere oder eine schmutzige Scheidung bekommen. Es geht vor allem darum, ob Großbritannien nach einem Verlassen der EU den Zugang zum EU-Binnenmarkt behält. Wichtig ist, dass die EU jetzt nicht die beleidigte Leberwurst spielt. Sie sollte ein starkes Interesse daran haben, mit den Briten in den kommenden zwei Jahren eine saubere Trennung zu vereinbaren. Das Land ist zweitwichtigster Handelspartner der EU, nach den USA und vor China. Die EU hat ein großes wirtschaftliches Interesse daran, Zölle im Warenhandel zu vermeiden und das Land im Binnenmarkt zu behalten.
Der Brexit stellt auch ein politischen Risiko für die EU dar. Denn das wird den Anti-EU-Parteien in vielen EU-Ländern Rückenwind geben. Die Regierungen werden noch weniger als bisher mehr Europa wagen, so dass die Probleme der Währungsunion weitgehend ungelöst bleiben. Was die EZB mehr denn je zwingt, die Probleme durch eine lockere Geldpolitik zu übertünchen.
Der Brexit schafft Unsicherheit und ist insofern schlecht für die deutsche Wirtschaft. Aber wir erwarten nicht, dass der Euro-Raum in die Rezession zurückfällt. Das gilt auch für Großbritannien und erst recht für den Fall, dass sich allmählich eine saubere Scheidung abzeichnet."
"Jetzt kommt eine große Phase der absoluten Unsicherheit. Denn etwas Vergleichbares hatten wir noch nicht. Unsicherheit ist schlecht für die Wirtschaft." Der Aufschwung in Großbritannien dürfte nun weitgehend zu Ende sein, in der Euro-Zone werde er sich abschwächen. Hersteller von Investitionsgütern wie Maschinen und Autos dürften die Folgen stärker spüren. "Deutschland ist also stärker betroffen als beispielsweise Spanien", sagte Schmieding.
"Die Entscheidung der britischen Wähler für den Brexit ist eine Niederlage der Vernunft", sagte er. "Die Politik muss jetzt alles tun, um den wirtschaftlichen Schaden zu begrenzen. Dazu gehört es, sicherzustellen, dass Großbritannien so weit wie möglich in den Binnenmarkt integriert bleibt." Es sei wichtig, die Verhandlungen darüber möglichst schnell zum Abschluss zu bringen, damit die Phase der Unsicherheit über die künftigen Wirtschaftsbeziehungen möglichst kurz bleibe.
"Die Finanzmärkte werden einige Tage brauchen, um den Schock zu verarbeiten. Die Politik muss jetzt versuchen, das Beste aus einer Entscheidung zu machen, die die EU schwächt. Das wird lange brauchen. Und so lange wird Unsicherheit das Geschehen prägen, zumal die Fliehkräfte in anderen EU-Ländern stärker zutage treten werden. Das Ergebnis kann auch die Nicht-Mainstream-Parteien in Spanien stärken, wo am Sonntag gewählt wird. Bis gestern hatte Europa ein Problem, jetzt ist erst mal Panik."
"Das Ergebnis des Referendums ist kein gutes Signal für Europa. Aber es ist vor allem kein gutes Signal für Großbritannien. Die politischen Strukturen der EU sind stark. Und anders als bei einem 'Grexit', also dem Ausscheiden eines Landes aus der Währungsunion, für das es keine rechtliche Grundlage gibt, ist die Prozedur für das Ausscheiden eines Landes aus der EU rechtlich klar geregelt. Die Folgen für den europäischen Integrationsprozess werden weniger gravierend sein, als jetzt oft vorschnell beschrieben. Auch wenn es schwierig wird: Die EU kann einen Austritt Großbritanniens verkraften.
Innerhalb Europas sollte der Fokus der nächsten Monate auf der Vertiefung des Euro-Raums liegen. Die Euro-Krise ist immer noch nicht ausgestanden. Die EZB hat die Grenze ihres Mandats erreicht. Nun müssen sich die Euro-Länder so schnell wie möglich auf einen Stabilisierungsplan einigen, der sowohl mehr Risikoteilung (vor allem schwierig für Deutschland) als auch mehr Souveränitätsteilung (vor allem schwierig für Frankreich) umfasst. Allerdings ist für einen solchen Plan kaum Zeit."
"Jetzt wird es turbulent an den Finanzmärkten. Das Pfund ist bereits auf einem 30-Jahres-Tief gegenüber dem Dollar. In absehbarerer Zeit sollten wir aber wieder eine Erholung sehen. Die Finanzmärkte fragen sich jetzt: Wie sieht das neue Verhältnis zwischen EU und Großbritannien aus? Die Briten könnten künftig Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) werden, wie Norwegen. Ich gehe nicht davon aus, dass das Verhältnis EU-Großbritannien damit beendet ist. Die EU wird das Land nicht am langen Arm verhungern lassen.
Mit dem heutigen Tag ändert sich erst einmal gar nichts. Es wird jetzt Verhandlungen mit der EU geben. So lange bleibt GB Vollmitglied der EU, also die nächsten zwei Jahre. Ich gehe nicht davon aus, dass sich die wirtschaftliche Lage dramatisch verändern wird. Die Briten dürften es aber merken: Die dortigen Unternehmen dürften jetzt Investitionen überdenken. Aber ich denke nicht, dass das Land nun in eine Rezession fällt."
Am Samstag legt die Politikerin nach: „Das Kabinett hat zugestimmt, dass wir umgehend Gespräche mit EU-Institutionen und anderen EU-Mitgliedsstaaten aufnehmen, um alle Möglichkeiten auszuloten, Schottlands Platz in der EU zu schützen.“ Auch die rechtlichen Voraussetzungen für ein neues Referendum werden bereits geprüft.
2014 war die Loslösung von Großbritannien am Volk gescheitert. „Viele Schotten haben ihre Entscheidung, Teil des Vereinigten Königreichs zu bleiben, in der Annahme gefällt, nur so könnten sie Teil der EU bleiben“, erklärte Sturgeon. Die EU hatte sich damals gegen die Aufnahme eines unabhängigen Schottlands positioniert. Heute sind die Karten neu gemischt.
Wie die Chancen auf eine Unabhängigkeit des Landes von Großbritannien stehen und wie die Beziehung zur EU bald aussehen könnte.
Wie hat sich die Situation in Schottland gegenüber 2014 geändert?
David Cameron riskierte mit dem Referendum über die schottische Unabhängigkeit vor zwei Jahren die Einheit Großbritanniens. Das wurde dem britischen Premierminister bewusst, als sich kurz vor der Wahl eine Mehrheit für den Austritt abzeichnete.
Er wolle nicht erleben, dass seine Kinder in eine ausländische Hauptstadt ziehen müssen, wenn sie an der Edinburgh University studieren wollen, verkündete Cameron daraufhin. Er versprach den Schotten „weitreichende neue Befugnisse“ für das Regionalparlament.
Nach dem Referendum war das Versprechen vergessen. Die Schotten fühlten sich verraten und zogen Konsequenzen. Die SNP ging deutlich gestärkt aus der Unabhängigkeitsabstimmung hervor – trotz der Niederlage. Die Mitgliederzahl verfünffachte sich. 115.000 Mitglieder zählt die Partei mittlerweile.
Bei der britischen Unterhauswahl im vergangenen Jahr profitierte die SNP ebenfalls. Sie gewann 56 der 59 schottischen Wahlkreise und kam auf mehr als 50 Prozent der Stimmen. Fünf Jahre zuvor waren es nur sechs Wahlkreise und knapp 20 Prozent. Die Partei an der Spitze der schottischen Unabhängigkeitsbewegung ist stark wie nie – auch dank Cameron.
Großbritannien und die EU - eine schwierige Beziehung
Seit mehr als 43 Jahren sind die Briten Mitglied der Europäischen Union. Doch jetzt ist der Austritt beschlossene Sache. Schwierig waren die Beziehungen von Anfang an. Ein Rückblick:
Als Gegengewicht zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) wird auf Initiative Londons die Europäische Freihandelszone (EFTA) gegründet, die keine politische Integration anstrebt.
Der französische Präsident Charles de Gaulle legt sein Veto gegen eine Mitgliedschaft der Briten in der EWG ein. 1973 tritt Großbritannien schließlich doch bei.
Erst nachdem Premier Harold Wilson die Vertragsbedingungen nachverhandelt hat, sprechen sich die Briten in einem Referendum mit 67,2 Prozent für einen Verbleib in der Gemeinschaft aus.
Mit den legendären Worten „I want my money back“ (Ich will mein Geld zurück) handelt die konservative britische Premierministerin Margaret Thatcher den sogenannten Britenrabatt aus. London muss fortan weniger in den Haushalt der Europäischen Gemeinschaft (EG) einzahlen.
EG-Länder beschließen im Schengener Abkommen die Aufhebung der Passkontrollen an den Binnengrenzen. Großbritannien macht nicht mit.
Der britische Premier John Major kündigt eine europafreundliche Politik seiner Konservativen Partei an, scheitert damit aber parteiintern. Er handelt aus, dass London nicht am Europäischen Währungssystem teilnimmt.
Der britische Premier Tony Blair gerät mit dem französischen Präsidenten Jacques Chirac über ein „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ in Streit.
Blair lässt einen EU-Gipfel zum mehrjährigen Finanzrahmen der Europäischen Union (EU) scheitern, stimmt Monate später aber doch zu und akzeptiert ein Abschmelzen des Britenrabatts.
Mit Inkrafttreten des EU-Vertrages von Lissabon kann London wählen, an welchen Gesetzen im Bereich Inneres und Justiz es sich beteiligt. Zudem erwirkt die britische Regierung den Ausstieg aus mehr als 100 Gesetzen aus der Zeit vor dem Lissabon-Vertrag.
Der britische Premier David Cameron verweigert seine Zustimmung zum EU-Fiskalpakt.
Cameron droht mit einem Veto bei den Verhandlungen zum mehrjährigen Finanzrahmen der EU.
Cameron kündigt eine Volksabstimmung über den Verbleib Großbritanniens in der EU bis spätestens 2017 an. Bis dahin will er die Rolle seines Landes in der EU neu aushandeln und Befugnisse aus Brüssel nach London zurückholen.
London blockiert den Aufbau einer Europäischen Verteidigungsunion und lehnt grundsätzlich Doppelstrukturen von EU und Nato ab.
Nach Zugeständnissen der EU kündigt Cameron für den 23. Juni ein Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der EU an.
Bei der Volksabstimmung votieren fast 52 Prozent der Briten für den Austritt.
Dass die Schotten nicht mehr ins Königreich passen, dürfte spätestens nach dem Brexit-Votum nicht mehr von der Hand zu weisen sein. Neben London und Irland hat sich Schottland eindeutig für einen Verbleib in der EU ausgesprochen. 62 Prozent wählten entsprechend, während weite Teile Englands und Wales für den Brexit stimmten.
„Wenn es nach den Schotten ginge, blieben sie Teil der Europäischen Union – auch ohne den Rest Großbritanniens“, sagt Roland Sturm, Inhaber des Lehrstuhls für politische Wissenschaften an der Universität Erlangen. „Aber das geht nicht, weil Schottland keine eigene EU-Mitgliedschaft hat.“ Tritt Großbritannien aus, müssen die Schotten vorerst mitgehen – zumindest wenn sie ein Teil Großbritanniens bleiben.
Die Gesellschaft im Königreich ist gespalten
Die SNP unternimmt aktuell alles, um das zu verhindern. Aus Sturms Sicht ist es „politisch klug“ von der SNP, „das heiße Eisen zu schmieden“. Er gibt allerdings zu bedenken: „Für ein weiteres Unabhängigkeitsreferendum bedarf es einer Anpassung des Scotland Acts, also zuerst der Gespräche mit der britischen Regierung und dann eines Parlamentsbeschlusses.“
Wie wahrscheinlich ist eine Trennung vom Königreich?
Die Parteien Schottlands stehen fast alle hinter der EU. Bei einer Debatte im Parlament in Edinburgh sprach sich die große Mehrzahl der Parlamentarier für den Verbleib aus.
Und die Bevölkerung? „Vor zwei Jahren haben die Schotten gegen die Unabhängigkeit von Großbritannien gestimmt, weil sie nur so Teil der Europäischen Union bleiben konnten“, sagt Werner Weidenfeld, Direktor des Centrum für angewandte Politikforschung an der LMU München. Heute sieht er keinen Grund mehr, warum sich eine Mehrheit der Bevölkerung für einen Verbleib im Königreich aussprechen sollte. Ob England, Schottland und Irland ein Staat bleiben? „Die Perspektive ist nur noch theoretisch gegeben“, sagt Weidenfeld.
Die Gesellschaft im Königreich ist längst gespalten. Das wurde in den vergangenen Wochen so deutlich wie nie zuvor. „In der Brexit-Debatte sind die schottischen Sorgen permanent unter den Tisch gefallen, genauso wie die nordirischen“, sagt Joachim Fritz-Vannahme, Direktor des Programms „Europas Zukunft“ bei der Bertelsmann-Stiftung. „Die Rücksichtslosigkeit der Engländer gegenüber den anderen Landesteilen war deutlich spürbar.“ Während der ganzen Debatte habe niemand darüber gesprochen, was ein Brexit etwa für Schottland bedeuten würde oder für den Konflikt in Irland.
Nicht nur UKIP-Chef Nigel Farage - auch zahlreiche Mitglieder Konservativen - brachten weniger eine Sehnsucht nach einem eigenständigen Großbritannien zum Ausdruck, als vielmehr den Wunsch nach einem „Little Britain“.
Wie schnell könnte ein Referendum zur Abspaltung Schottlands kommen?
Der radikale Parteiflügel der SNP würde sich lieber heute als morgen aus dem Königreich verabschieden. Doch Sturgeon hat schon vor dem Brexit-Referendum deren Erwartungen gedämpft.
Grund für ihre Zurückhaltung ist die wirtschaftliche Lage Schottlands, die vor allem vom Öl abhängt. Es ist für ein Fünftel des schottischen BIPs verantwortlich. Der Ölpreisverfall hat bereits 65.000 Jobs im Land gekostet.
Für viele Schotten stellt sich deshalb mehr denn je die Frage, ob das Land eigenständig lebensfähig wäre. Auch die Haushaltslage ist desolat. „Aktuell ist Schottland auf die Zuwendungen aus dem britischen Haushalt angewiesen“, sagt Fritz-Vannahme.
Andererseits hat Sturgeon aktuell ein eindeutiges Votum der Schotten für einen Verbleib in der EU hinter sich sowie die Mehrheit der Bevölkerung. „Wenn Sturgeon wartet, bis es neue Unterhauswahlen gibt, könnten sich die Kräfteverhältnisse zu ihren Ungunsten verschieben“, so Fritz-Vannahme. „Sturgeon wird erst einmal abwarten müssen.“ Der Europa-Experte geht aber davon aus, dass es in den nächsten zwei Jahren zu einem Referendum kommen wird.
Zumal bis 2020 mehr als 900 Millionen Euro aus den Strukturförderfonds der EU an Schottland fließen sollen. Geld, das im Falle eines Austritts aus der EU mit dem Rest des Königreichs verloren wäre.
Wie groß sind die Chancen, dass Schottland in den nächsten Jahren Teil der EU wird?
Vor zwei Jahren hat Brüssel deutlich gemacht, dass ein unabhängiges Schottland keine Chance hat, Teil der EU zu werden. Vor allem Spanien stemmte sich dagegen, um der katalonischen Unabhängigkeitsbewegung kein Vorbild zu servieren. Dem Beitritt eines neuen Landes müssen alle EU-Mitgliedsstaaten einstimmig zustimmen. Scheitern die schottischen Hoffnungen also an Spanien?
Vorsicht vor dem Domino-Effekt
Das ist nicht sicher. Heute stellt sich die Situation für Spanien und damit auch für die EU anders dar. „Die Spanier müssen nicht wie vor zwei Jahren befürchten, dass das schottische Beispiel Katalonien beeinflusst“, sagt Fritz-Vannahme. Denn diesmal sind die Briten die Spalter und Schottland klammert sich mit aller Macht an den Verbleib in der EU.
Das eröffnet neue Möglichkeiten. Noch ist unklar, wie Spaniens Regierung künftig aussieht. Eine linke Regierung etwa könnte für die „Stimme des Volkes“ deutlich aufgeschlossener sein, schätzt Fritz-Vannahme. „Wie die Spanier im Einzelnen argumentieren werden, wissen wir nach den Wahlen am Sonntag.“
Ein weiteres Problem ist der desolate schottische Haushalt, der wohl kaum den EU-Aufnahmekriterien gerecht wird. Und der anstehende Brexit könnte das noch weiter verschärfen, schätz Fritz-Vannahme: „Die wirtschaftliche Situation Schottlands ist aktuell sehr knifflig.“
Die Chancen für eine Annäherung an die EU stehen alles in allem besser als noch 2014. Ob ein EU-Beitritt allerdings in absehbarer Zeit realistisch ist, bleibt abzuwarten.
Wie wird die EU sich gegenüber einem unabhängigen Schottland positionieren?
Politikwissenschaftler Weidenfeld geht davon aus, dass die EU sehr kooperativ gegenüber Schottland als Beitrittskandidat sein dürfte. Zumal das Land bereits den gesamten Gesetzesapparat der EU übernommen und bis runter in die administrative Ebene umgesetzt hat.
Auch das Haushaltsproblem könnte gelöst werden. Zumal schon EU-Mittel für Beitrittskandidaten fließen. „Für Schottland könnte das höchst hilfreich sein“, sagt Weidenfeld.
„Weniger kooperativ wird die EU im Umgang mit Großbritannien als Ganzes sein“, glaubt er. Wenn sie Großbritannien zu viele Zugeständnisse macht, riskiert sie einen Dominoeffekt. Weitere Länder könnten austreten wollen.
Wird Schottland auch ohne positive Zeichen der EU ein Referendum forcieren?
Großbritannienexperte Sturm geht davon aus, dass die Schotten auch unabhängig von einem EU-Beitritt die Loslösung vom Königreich forcieren werden. „Es geht um eine Identitätsfrage und um Demokratie – und nicht nur um Ökonomisches“, sagt er. „Natürlich wäre es für Schottland einfacher, innerhalb der EU ein unabhängiges Land zu sein.“ Wenn das nicht gehe, werde Schottland Abkommen mit der EU schließen, die den Zugang zum Binnenmarkt ermöglichen, schätzt er.
Ob mit oder ohne EU-Beitritt – Schottland wird ein weiteres Referendum anstreben. Und die Wahrscheinlichkeit, dass die Mehrheit der Schotten für die Nationalbewegung stimmt ist deutlich höher im Vergleich zum Referendum von vor zwei Jahren. Insbesondere wenn die EU die Tür für Schottland offen hält.