Schulz, Lammert Gegenangriff auf Erdogan

Deutsche Spitzenpolitiker prangern die türkische Politik an. Erdogan mache einen EU-Beitritt der Türkei „faktisch unmöglich“, sagt EU-Parlamentspräsident Schulz. Wenig später legt Bundestagspräsident Lammert nach.

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Erdogan geht hart gegen die türkische Opposition und Kritiker vor. Nach der Armenien-Resolution des Bundestags hetzte er gegen türkischstämmige Abgeordnete. Quelle: AFP

Köln Vor dem Treffen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan hat EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) dem Land eine „atemberaubende Abwendung von den Werten Europas“ attestiert. „Die Bundeskanzlerin und die EU-Regierungschefs müssen dem türkischen Präsidenten ganz klar sagen, dass seine Politik nicht mit den europäischen Grundwerten vereinbar ist und er damit sinnvolle Verhandlungen über einen EU-Beitritt der Türkei nicht nur in Frage stellt, sondern faktisch unmöglich macht“, sagte Schulz dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ (Montag).

Merkel will am Montag mit Erdogan über Wege aus dem Streit über den Flüchtlingspakt der Türkei mit der EU suchen. Zugleich dürfte sie den Beschluss des türkischen Parlaments ansprechen, gut einem Viertel der Abgeordneten die Immunität gegen strafrechtliche Verfolgung abzuerkennen - was vor allem kurdische Politiker in Schwierigkeiten bringen dürfte.

Schulz sagte weiter, die Türkei sei auf dem Weg in einen „Ein-Mann-Staat“ unter der Führung Erdogans - „in der Kombination eines beispiellosen psychischen Drucks, unter dem im Parlament die Aufhebung der Immunität für Abgeordnete erzwungen wurde, und der Selbstabschaffung des Amtes des Ministerpräsidenten, die auf dem Parteitag der Erdogan-Partei AKP angekündigt wurde“.

Eine Aufkündigung des Paktes hält Schulz trotzdem für falsch. „Den Preis würden am Ende die Flüchtlinge bezahlen. Wir brauchen ein gutes Abkommen. Wir werden deshalb weiter mit der Türkei zusammenarbeiten müssen, aber wir dürfen nicht weiter schweigen.“


Scharfe Töne von Bundestagspräsident Lammert

Scharfe Töne kamen am Donnerstag auch von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). „Dass ein demokratisch gewählter Staatspräsident im 21. Jahrhundert seine Kritik an demokratisch gewählten Abgeordneten des Deutschen Bundestages mit Zweifeln an deren türkischer Abstammung verbindet, ihr Blut als verdorben bezeichnet, hätte ich nicht für möglich gehalten“, sagte Lammert über Erdogan. Die Verdächtigung von Bundestagsabgeordneten als Sprachrohr von Terroristen weise er zudem in aller Form zurück.

„Jeder, der durch Drohungen Druck auf einzelne Abgeordnete auszuüben versucht, muss wissen, er greift das ganze Parlament an“, sagte der CDU-Politiker zur Eröffnung der Bundestagssitzung unter dem Beifall der Abgeordneten.

Nach der Verabschiedung einer Bundestagsresolution, in der die Vertreibung von Armeniern und die Massaker an ihnen durch das Osmanische Reich im Ersten Weltkrieg als Völkermord bezeichnet werden, hatte Erdogan gesagt, irgendeine „arrogante Person“ habe die Armenien-Resolution vorbereitet. Er spielte damit offenkundig auf den Grünen-Abgeordneten Cem Özdemir an. „Manche Leute sagen, er sei ein Türke“, fuhr Erdogan fort. „Hört doch damit auf. Das Blut dieser Leute sollte in einem Labor untersucht werden.“ Außerdem zog Erdogan eine Verbindung zwischen den türkischstämmigen deutschen Abgeordneten und der verbotenen Kurden-Organisation PKK.

Danach brach ein Sturm von Drohungen gegen die elf türkischstämmigen Abgeordneten im Bundestag los. Auf türkischen Internetseiten wurden sie diffamiert. Juristen drohten mit Gerichtsverfahren in der Türkei gegen sie. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte zu den Angriffen Erdogans: „Die Vorwürfe und Aussagen, die da jetzt gemacht werden, halte ich für nicht nachvollziehbar.“

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