Selbstständigkeit im Kommunismus Kuba lernt BWL

Um ihre Kassen zu schonen, lässt Kubas Regierung immer mehr Menschen aus dem staatlichen Angestelltendasein in die Selbstständigkeit. Bei der Ausbildung der Existenzgründer soll die Berliner Humboldt Universität helfen.  

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Berühmt für seine schöne Kulisse: Havanna, die Hauptstadt Kubas. Quelle: dpa

Havanna Er hat alles aufgelistet: Für wie viele Stunden seine Gäste bezahlt haben, ob sie das Zimmer mit oder ohne Klimaanlage hatten. Angel Bueno Martinez schlägt eine Kladde auf und fährt mit dem Zeigefinger über die Zahlenkolonnen, jede einzelne Ziffer hat er mit Kugelschreiber eingetragen und einen gelben Kassenzettel dazugeheftet. „Ich habe keinen Buchhalter“, sagt er. „Das habe ich mir alles selbst beigebracht.“

Dabei kann eine Karriere kaum weiter weg von der betriebswirtschaftlichen Gewinn- und Verlustrechnungen beginnen als die von Bueno Martinez. Er ist Kubaner, kommt Anfang 20 zum Militär des sozialistischen Staates, wird dort zum Mechaniker ausgebildet und bringt es bis zum Oberstleutnant. Doch als er mit 43 aus der Armee ausscheidet, fällt das Ende seiner Dienstzeit mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion zusammen – und seine vom Staat garantierte Rente ist plötzlich kaum noch etwas wert. Daher bekommt er wie viele andere Rentner vom sozialistischen Regime eine Lizenz, sich selbstständig zu machen. Heute ist Bueno Martínez über und gehört zu den ältesten der kubanischen Cuentapropistas, also denjenigen, die wörtlich übersetzt „auf eigene Rechnung“ arbeiten. Seine Marktlücke: Er betreibt am Stadtrand von Havanna ein Stundenhotel für junge Paare, die sich zuhause oftmals ein Zimmer mit ihren Verwandten teilen müssen. „In Havanna waren die Stundenhotels früher alle staatlich“, erzählt Bueno. Doch viele Gebäude in der Stadt sind mittlerweile so stark verfallen, dass die Stadt die Hotels in Notunterkünfte umgewandelt hat.

So wie Bueno seit Anfang der 90er, versuchen sich mittlerweile immer mehr Kubaner im Privatsektor: „Die Cuentapropistas sind vom notwendigen Übel zur strategischen Notwendigkeit für Kuba geworden“, sagt die Politologin Jenny Morín Nenoff, die an der Universität Köln über Kubas nichtstaatlichen Sektor forscht. Präsident Raúl Castro hat die Losung eines nachhaltigen Sozialismus ausgegeben. Das bedeutet praktisch, dass der marode Staat spart und gleichzeitig neue Einnahmequellen sucht. Schon 2015 sollen 45 Prozent des Bruttoinlandsprodukts sowie 35 Prozent der Beschäftigung auf die privaten Selbstständigen entfallen. Seit März dieses Jahres hat die Universität Havanna von der Regierung offiziell den Auftrag, Selbstständige auszubilden – und dafür kommt auch Unterstützung aus Deutschland.

Die Humboldt Universität (HU) in Berlin bietet in Kooperation mit ihrem Pendant in Havanna in ihrer Summer School auch Existenzgründerkurse an. 350 Studenten waren es im vergangenen Jahr, darunter rund 300 Kubaner, die in Kursen unter anderem Marketing und Buchhaltung pauken. Auch einen Existenzgründerkurs bieten die Berliner für die Studenten an: „Am Anfang war das eher Trockenschwimmen“, sagt Jan Hansen, „Doch mittlerweile kommen auch immer mehr junge Gründer mit konkreten Fragen in den Kurs.“


Knoblauchpresse aus einer Fahrradkette und Küchenutensilien

Hansen ist Geschäftsführer des wirtschaftswissenschaftlichen Netzwerks WIWEX an der HU, über das die Zusammenarbeit mit der Universität Havanna läuft. Seit Anfang des Jahres gibt es zudem das UHHU-Projekt der beiden Hochschulen. Ziel des Projektes sei es unter anderem, Studenten bei der Ideenfindung und in der Praxis für die Selbstständigkeit zu unterstützen. „Wir sehen viele kubanische Gründer, die sehr pragmatisch sind und relativ einfache Geschäftsideen haben“, sagt Hansen. Ein Student bedruckt beispielsweise Logo-T-Shirts als Marketing für die wachsende Anzahl an Restaurants und Pensionen in Havanna – denn Straßenwerbung ist auf Kuba nach wie vor nur eingeschränkt möglich. Welche Berufe man selbstständig ausüben darf, gibt der Staat vor: Rund 200 sind es mittlerweile, viele davon sind Handreichungen des täglichen Bedarfs: Handys reparieren, Feuerzeuge auffüllen, Haare schneiden, Erdnüsse verkaufen, Kleidung schneidern oder eben Zimmer vermieten. Andere zielen auf das lukrative Geschäft mit den Touristen ab: Pensionen, Restaurants, Taxifahrer.

Nach Einschätzung von Ökonomen gibt es in dem sozialistischen Inselstaat derzeit rund 400.000 Cuentapropistas, also Selbstständige. Nicht nur Studenten erhoffen sich daraus ein höheres Einkommen als den staatlichen Lohn, der im Schnitt bei umgerechnet circa 20 US-Dollar im Monat liegt. Auch gelernte Anwälte, Ärzte, Techniker oder eben Rentner wollen als Cuentapropista ihr Einkommen aufbessern. Dabei wächst gerade im lukrativen Tourismusbetrieb unter Restaurants und Pensionen die Konkurrenz: „Viele Gründer wissen nicht, wie eine Gewinnkalkulation funktioniert, so dass es gerade in dem Sektor schon wieder zu ersten Pleiten kommt“, erzählt Hansen. Auch hier soll das deutsch-kubanische Ausbildungsprogramm einhaken. Langfristig will man ein Netzwerk schaffen, in dem sich Cuentapropistas gegenseitig austauschen und Tipps geben können.

Dabei sehen die Deutschen vor Ort, dass es den Kubanern nicht an Innovationsgeist fehlt – auch wenn es fast immer an Material oder der notwendigen Technik mangelt. „Kubaner wissen sich zu helfen“, sagt Hansen. So hat etwa ein junger Ingenieur hat eine Knoblauchpresse aus einer Fahrradkette und Küchenutensilien gebastelt, mit der er die auf Kuba so beliebten Knollen trocknet, haltbar macht und weiterverkauft.

Doch so sehr die Castros die Selbstständigen auch brauchen, gefestigt ist das Verhältnis zwischen dem sozialistischen Staat und den Cuentapropistas noch nicht. Das fängt schon bei den relativ hohen Steuersätzen für Selbstständige – und das in einem Land, wo bis vor einigen Jahren niemand eine Steuererklärung machen musste. „In Kuba gibt es keine Steuerkultur“, sagt Morín Nenoff. Viele würden es als schlichte Schikane begreifen, wenn sie überhaupt eine Abgabe an den Fiskus zahlen müssten. Auch kann der Staat Lizenzen wieder zurückziehen.

Ex-Militär Bueno Martinez glaubt trotz der Startschwierigkeiten, dass die Selbstständigkeit im Sozialismus ihren Platz hat. „Es geht nicht darum, den Staat zu ersetzen. Die Cuentrapropistas lösen nur die Probleme, die der Staat der nicht lösen kann oder nicht lösen will.“ Dann klingeln ein junger Mann und eine junge Frau an seiner Tür. Bueno Martínez holt einen Zimmerschlüssel für die beiden. Problem gelöst.

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