Serbien und Albanien Neustart der Beziehungen verschoben

Nach jahrzehntelanger tiefer Feindschaft sollte der historische Besuch des albanischen Regierungschefs in Belgrad die zerrütteten Beziehungen kitten. Doch nach neuen Konflikten wurde er verschoben.

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Der albanische Premier Edi Rama verschiebt seinen Besuch in Belgrad. Quelle: dpa

Nach knapp 70 Jahren wollte Edi Rama als erster albanischer Regierungschef am Mittwoch Serbien besuchen. Doch wenige Tage nach dem serbisch-albanischen Fußballskandal sind Rama und sein serbischer Amtskollege Aleksandar Vucic übereingekommen, das historische Treffen auf den 10. November zu verschieben. Es gebe noch zu viele „klare Meinungsverschiedenheiten“ über das Fußballspiel zwischen den Nachbarn am letzten Dienstag in Belgrad, hätten beide Spitzenpolitiker in einem Telefongespräch festgestellt, hieß es.

Der Abbruch des Qualifikationsspiels zur Fußball-WM zwischen beiden Ländern in Belgrad nach einer Schlägerei von Spielern und Zuschauern ist nur der Schlusspunkt einer langen Geschichte vergifteter Beziehungen. Es begann gleich nach der Selbstständigkeit Albaniens 1912, als serbische Verbände einen Teil des neuen Staates besetzten.

Den Serben ging es in den folgenden beiden Balkankriegen (1912/13) um einen Zugang zur Adria auf albanischem Territorium. Dabei kam es zu schweren Kriegsverbrechen an den Albanern. Damals wie heute behaupten Serben, die albanische Nation sei zivilisatorisch zurückgeblieben. Dagegen sehen sich die Albaner als Abkömmlinge der illyrischen Urbevölkerung zur Zeitenwende mit deutlich älteren Rechten als die im 6. Jahrhundert eingewanderten Slawen.

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg gingen die Nachbarn unterschiedliche Wege. Albanien verschmähte das Angebot des Partisanenführers Josip Broz Tito, einer Balkanföderation beizutreten. In Jugoslawien mit Serbien als Kernland entstand nach dem Zerwürfnis mit dem sowjetischen Diktator Stalin eine Art Gulaschkommunismus: Eine milde Form des Kommunismus mit weitgehender Reisefreiheit und bescheidenem Wohlstand.

Albanien entwickelte im engen Schulterschluss mit Stalin und dann mit Maos China eine ultraorthodoxe Form des Kommunismus. Als erstes Land weltweit verbot Tirana alle Religionen.


Albanischer Schulterschluss könnte Staaten bedrohen

Der Konflikt spitzte sich seit Titos Tod 1980 und dem Aufstieg des serbischen Autokraten Slobodan Milosevic dramatisch zu. Denn Milosevic suchte erst mit politischer, dann mit polizeilicher und schließlich mit militärischer Gewalt, das zu Serbien gehörende und mehrheitlich von Albanern bewohnte Kosovo zu serbifizieren. Am Ende wurden schätzungsweise 800 000 Albaner vertrieben. Der größte Teil fand im benachbarten Albanien Zuflucht. Erst Nato-Bomben stoppten Milosevic und führten 2008 zur Unabhängigkeit des Kosovos.

Seitdem ist die Vereinigung aller Albaner auf der Balkanhalbinsel eine Horrorvorstellung für jeden Serben. Noch sind die Albaner in den einzelnen Staaten der Region deutlich weniger als die sieben Millionen Serben. Doch wenn sie sich zusammenschlössen, könnten sie mit knapp sechs Millionen den Serben als dem größten Volk des westlichen Balkans Paroli bieten. Doch das wollen die USA und die EU verhindern.

Denn ein solcher Zusammenschluss würde Mazedonien und Montenegro in ihrer Existenz bedrohen. Das Beispiel könnte auch Schule machen. So möchten über eine Million bosnischer Serben sich lieber heute als morgen der Mutterrepublik Serbien anschließen.

Beim Fußballskandal am vergangenen Dienstag in Belgrad hatte eine mit einer Drohne ins Stadion gebrachte Fahne mit der Landkarte Großalbaniens die Prügeleien ausgelöst. Die Verschiebung des Treffens der serbischen und albanischen Regierungsspitzen zeigt, dass die historischen Gräben noch längst nicht zugeschüttet sind.

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