Serbien und Milosevic Milosevic wird reingewaschen

Slobodan Milosevic gilt internationaler als großserbischer Kriegsherr, der mehr als 100.000 Tote auf dem Gewissen hat. In der Heimat wird er zehn Jahre nach seinem Tod als „Spieler von Weltformat“ bezeichnet.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Trotz seiner Kriegsverbrechen wird der ehemalige serbische Spitzenpolitiker Slobodan Milosevic an seinem zehnten Todestag von der Zeitung „Politika“ gefeiert. Quelle: dpa

Belgrad Anlässlich des zehnten Todestages des nationalistischen serbischen Spitzenpolitikers Slobodan Milosevic hat die Regierungszeitung „Politika“ ihn im großen Stil gewürdigt. Erstaunliches Fazit: Vieles war während der Zeit des Autokraten (1987-2000) besser als heute. Milosevic hatte gar keine echte Wahl und wurde von der Weltpolitik aufgerieben – und: Heute würden selbst seine schärfsten Kritiker sein „Testament“ unterschreiben. Milosevic war am 11. März 2006 in seiner Zelle im Uno-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag an einem Herzinfarkt gestorben

Die Zeitung verliert kein Wort über die Kriege in Slowenien, Kroatien, Bosnien und dem Kosovo (1991-1999), kein Wort über die Verelendung breitester Schichten in Serbien durch die Waffengänge. Ganz im Gegenteil. Der „Bursche aus (seiner Geburtsstadt) Pozarevac“ wird immer wieder mit seinem Kosenamen „Slobo“ bezeichnet und als Opfer dunkler westlicher Machenschaften dargestellt. „Haben wir sein Testament gelesen?“, titelt das renommierte Blatt.

Die demonstrative Reinwaschung passt gut zusammen mit der politischen Szene. Die wichtigsten Spitzenpolitiker heute waren die engsten Gefolgsleute von Milosevic damals. Staatspräsident Tomislav Nikolic oder Regierungschef Aleksandar Vucic ebenso wie der frühere Ministerpräsident und aktuelle Außenminister Ivica Dacic, der seinem politischen Übervater als Parteichef der aus den Kommunisten entstandenen Sozialisten folgte. Während Nikolic seinem früheren Idol noch nicht öffentlich abgeschworen hat, haben Vucic und Dacic Fehler damals eingeräumt und geben sich heute als überzeugte Demokraten und glühende Europäer.

Milosevic wird von „Politika“ als „Spieler von Weltformat“ vorgestellt, der trotzdem keine Chance auf eine eigenständige Politik besessen hätte. Das Schicksal Serbiens „hängt daher nicht so sehr von der Weisheit oder Dummheit des Führers ab wie vom Verhältnis der Kräfte, die es zerstückeln“, meint das Blatt.


Milosevic sei „ein Assad noch vor Assad“

In dieser angeblichen Machtlosigkeit sei er „ein Erbe“ der serbischen Königsfamilien, denen ebensolches passiert sei. Ob der kommunistische Staatsgründer Josip Broz Tito, der sagenumwobene Zar Lazar aus dem Mittelalter, ja selbst der von Milosevic-Gefolgsleuten ermordete erste freigewählte Regierungschef Zoran Djindjic: Wie Milosevic hätten alle vor den dunklen Weltmächten kapitulieren müssen.

Milosevic sei ein „Assad noch vor Assad“ gewesen, heißt es weiter in Anspielung auf den syrischen Machthaber. Auch dickes Pathos darf nicht fehlen. „13 Jahre mit Slobo und zehn Jahre ohne ihn stellen ja nur ein Körnchen der Geschichte dar in dem großen Mühlstein, der uns jahrhundertelang zermahlt“. Und auch die niederträchtige Rolle der Weltmächte gegenüber dem kleinen Jugoslawien und Serbien ist in dieser Denkweise klar: „Das ist der imperiale Zynismus, der mit ihm und mit uns herumgesprungen ist“.

Bisher war die Milosevic-Vergangenheit zu Hause tabu. Die Oligarchen, die sich mit dessen Segen bereichert hatten, bleiben ebenso unangetastet wie die für Kriegsverbrechen Verantwortlichen. Abgesehen von den ganz großen Fischen, die vom Uno-Tribunal verurteilt wurden. Dabei trommelt die Zivilgesellschaft, ohne die Bewältigung der Vergangenheit gebe es auch keine Zukunft. Doch die dafür angetretene Bürgerbewegung Rekom ist mit einer entsprechenden Unterschriftenaktion in allen jugoslawischen Nachfolgestaaten krachend gescheitert. Niemand hat offensichtlich Interesse, die alten Geschichten um Kriegsgräuel und soziale Misere breiter Schichten noch einmal aufzuwühlen.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%