Serie ThinkTanks Der liebe Gott der Finanzanalyse

Mit finanzpolitischen Analysen ist das Institute for Fiscal Studies (IFS) zur einflussreichsten ökonomischen Denkfabrik in Großbritannien aufgestiegen. Jetzt steht es unter Beschuss der Brexit-Anhänger.

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Paul Johnson, Chef des IFS aus London Quelle: Presse

Der Chef begann mit einem Scherz. „550 Gäste sind gekommen, nur um sich anzuhören, wie wir uns lang und eintönig über den furchtbaren Zustand der Welt auslassen“, begrüßte Paul Johnson seine Zuhörer in der Guildhall, einem traditionsreichen Prunkbau der Londoner City.

Das war perfektes britisches Understatement, denn auf dem Programm stand vergangene Woche die Präsentation des viel beachteten Green Budget. Dies ist eine Art alternativer Haushaltsentwurf, den das Institute for Fiscal Studies (IFS) und dessen Chef Johnson jeden Februar wenige Wochen vor dem offiziellen Budget der Regierung veröffentlicht.

Das Papier listet die wichtigsten Herausforderungen in der Haushaltspolitik auf, geht aber auch auf Themen wie Gesundheits- und Altersversorgung ein. Weil Premierministerin Theresa May im März offiziell die Scheidung von der EU einleiten will, wurde dem IFS diesmal noch mehr Aufmerksamkeit zuteil als sonst: Schließlich hatte die Denkfabrik im Vorfeld des EU-Referendums vor negativen Folgen eines Brexits gewarnt. Für dessen Befürworter ist das IFS seitdem ein „voll bezahlter Propagandaarm der EU“.

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Solche Kritik ist das Institut nicht gewohnt. „Jeder Streit endet, wenn sich das IFS zu einem Thema äußert. Es ist, als habe der liebe Gott gesprochen“, spottet der Fernsehjournalist Robert Peston. Tatsächlich sind Einfluss und Reputation der 1969 in London gegründeten Denkfabrik enorm.

Auch wenn sich ihre Analysen in der Regel auf Steuer- und Finanzpolitik beschränken: Stehen große wirtschaftspolitische Entscheidungen an, zittert die Politik vor dem Urteil der rund 40 festen und 40 freiberuflichen Experten, die in einem angestaubten Sechzigerjahre-Bau in der Nähe des British Museum logieren.

Der Erfolg des 50-jährigen Institutschefs Johnson und seiner Truppe beruht nicht zuletzt auf der engen Zusammenarbeit mit den Medien. Die zitieren das IFS öfter als jede andere Denkfabrik. Volkswirt Johnson ist häufiger Gast in den Fernseh- und Hörfunkstudios; die BBC hat in seinem Privathaus sogar eine radiotaugliche Telefonleitung installiert, damit er schon morgens auf Sendung gehen kann. Dann bewertet er etwa die neue Defizitprognose des Finanzministeriums oder rechnet aus, wie viel ein Reformvorschlag der Opposition den Steuerzahler kosten würde.

Auch personell herrscht ein Austausch zwischen dem Institut und den Medien. Nicht selten wechseln Mitarbeiter zur BBC oder „Financial Times“, nachdem sie sich beim IFS nach dem VWL-Studium die ersten Sporen verdient haben. Die ehemalige IFS-Mitarbeiterin Stephanie Flanders wurde Wirtschaftschefin bei der BBC, ging danach in die City. Umgekehrt war Robert Chote, der die Denkfabrik bis Mitte 2010 leitete, ursprünglich Journalist.

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