Sierens Welt Der schrullige Onkel aus Deutschland

Bei seinem China-Besuch spricht der Bundespräsident die Menschenrechtslage offen an. Pekings Parteikader fühlen sich belehrt statt respektiert. Ob Joachim Gauck mit seinen kritischen Worten viel erreicht, ist zweifelhaft.

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Bundespräsident Joachim Gauck (M.) und seine Lebensgefährtin Daniela Schadt beim Besuch der Verbotenen Stadt in Peking. Mit seiner moralisch-kritischen Art stößt der Deutsche auf wenig Begeisterung in China. Quelle: dpa

Peking In einem Punkt sind sich Chinesen und Deutsche einig, die in den vergangenen Tagen unseren Bundespräsident Joachim Gauck erstmals in China erleben durften: Der Mann ist authentisch. Er zeigt Haltung. Er ist die Stimme der Unterdrückten und bleibt ein Antikommunist, egal wie reformiert Kommunisten daher kommen mögen.

Das hat biographische Gründe: Gaucks Vater, ein Kapitän der Handelsmarine, wurde in der DDR der fünfziger Jahre von den Kommunisten für fünf Jahre in ein sibirisches Arbeitslager gesteckt. Erst nach zwei Jahren erfuhr die Familie, dass der Vater noch lebt. Anfang der siebziger Jahre hat Gauck einem Bericht der Staatssicherheit zufolge die DDR-Regierung als „Clique“ bezeichnet, „die gemeinsam mit der Staatssicherheit und der Armee das Volk unterjocht“. Das blieb seine Haltung bis zum Mauerfall und ist im Grunde auch seine Einschätzung der Pekinger Machtverhältnisse.

Gauck ist deshalb auch nicht nach China gereist, um zu lernen. Er ist vielmehr überzeugt, dass die Kader von Deutschland und von ihm lernen müssen. Das haben seine Gesprächspartner gespürt, obwohl er pfiffig mit marxistischen Postulaten jongliert und die richtigen Fragen gestellt hat: Steht das Recht über der Partei? Oder umgekehrt?

Die Antworten in China waren ausweichend. Einmischung von außen ist unerwünscht, den Nachbar geht der Streit zu Hause nichts an.

Doch in der deutsch-chinesischen Kommunikation gab es Missverständnisse, die Perspektiven sind sehr unterschiedliche. Gauck glaubt, in China neue Anstöße zu geben. Dabei plagt sich die kommunistische Partei längst mit Fragen, die Gauck stellt. Doch ist der Blickwinkel in Peking ein anderer. Während der Bundespräsident China mit Deutschland vergleicht, vergleichen die Kader das China von heute mit dem China vor zwanzig Jahren oder gar mit Indien.
Gauck treibt um, dass Präsident Xi Jinping die Zensur und die Parteidisziplin wieder verschärft und den Druck auf die aufmüpfigen Teile der Zivilgesellschaft erhöht hat. Weniger Augenmerk legt er auf die neue Mittelschicht bestehend aus Hunderten Millionen Chinesen, die nicht nur wohlhabender, sondern auch immer unabhängiger von Partei und Staat wird.

Weil Gauck all dies nicht bedenkt und austariert, begegnet man ihm in Peking reserviert: „Wenn man eine Familie mag,“ sagt ein Spitzenkader in Bezug auf Deutschland, „dann erträgt man auch deren schrulligen Onkel“. Für andere ist Gauck schlicht „anmaßend“.

Die staatliche Tageszeitung „Global Times“ versteht immerhin, dass Gaucks „Sicht auf Politik und Menschenrechte von seinen persönlichen Erfahrungen geprägt ist“. Aber es gehöre sich für Politiker auch, „den politischen Weg, den China eingeschlagen hat, zu respektieren.“ Und „China Daily“ eröffnet ihren Gauck-Artikel gar mit Präsident Xis Forderung, beide Seiten müssten sich stärker respektieren.

Entscheidend ist eben nicht, kritische Fragen zu stellen, die sich andere nicht zu stellen trauen oder Menschenrechtsverstöße anzusprechen. Viel wichtiger ist etwas anderes: So zu argumentieren, dass man denjenigen hilft, die unter Pekings Politik leiden. Und dabei einen Ton anzuschlagen, der möglichst einflussreiche Parteikader für unsere Werte interessiert. Angela Merkel oder Frank-Walter Steinmeier haben in dieser Hinsicht bisher mehr erreicht als Gauck. Denn Haltung zu zeigen bedeutet nicht automatisch, dass man auch überzeugt. Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler.

Unser Korrespondent, der Bestseller-Autor Frank Sieren („Geldmacht China“), gilt als einer der führenden deutschen China-Spezialisten. Er lebt seit 20 Jahren in Peking.

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