Singapur Ein Staat erfindet sich neu

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Das Ziel: globale Champions

Dass Tan sich mit seinem Unternehmen, das bereits 1600 Mitarbeiter beschäftigt, nicht in seiner Heimat Malaysia, sondern in Singapur niedergelassen hat, ist kein Zufall. Der Staat konnte mit günstigen Büroräumen, exzellenter Infrastruktur, vor allem aber Zugang zu Kapital ködern: Grab hat bei Risikokapitalgebern bislang 700 Millionen Dollar eingesammelt. Für die Regierenden in Singapur ist das Unternehmen ein Topaushängeschild. „Südostasien kann auch eigene globale Champions schaffen“, sagt Gründer Tan mit Blick auf die Stars aus dem Westen wie Uber oder Airbnb.

Geht es nach den Regierenden in Singapur, wird auch das Changi General Hospital (CGH), mit 5500 Mitarbeitern eines der größten Krankenhäuser im Land, ein globaler Champion der digitalen Revolution. Lautlos schieben sich dort digital gesteuerte Roboter durch die Krankenhausflure. Sie transportieren Blut- und Urinproben. Treffen die Roboter auf einen Arzt oder eine Krankenschwester, bitten sie höflich darum, vorbeigelassen zu werden. Die Patienten im CGH liegen auf speziellen, mit Sensoren ausgestatteten Matten. Diese senden permanent Patientendaten auf einen Server. Pfleger und Ärzte können die Informationen über ihre Tablets abrufen.

„Schon seit Jahren investieren wir jährlich fünf Prozent unseres Umsatzes in den Ausbau der IT-Infrastruktur“, sagt Lee Chien Earn, CEO des Hospitals. Zuletzt lag der Umsatz des CGH bei umgerechnet knapp 470 Millionen Euro. Doch das ist nicht alles. Von staatlichen Stellen und Forschungseinrichtungen bekommt Lee noch einmal jedes Jahr einen hohen zweistelligen Millionenbetrag, um das Krankenhaus fit fürs digitale Zeitalter zu machen. Außerdem sucht das CGH gezielt die Zusammenarbeit mit Unternehmen. „Wir publizieren künftig unsere Probleme und Herausforderungen“, sagt Lee, „und fragen die Unternehmen, was sie uns zur Lösung entwickeln können.“

Neusortierung der Wirtschaftsmächte
„Das ist kluge Finanzpolitik.“An einem Vormittag Mitte September sitzt Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble in seinem Büro an der Berliner Wilhelmstraße und weiß nicht so recht, ob er nun schlecht- oder gutgelaunt sein soll. Gerade hat seine CDU in Berlin das schlechteste Wahlergebnis aller Zeiten eingefahren. Es wäre also Zeit für einen schlecht gelaunten Schäuble. Und so geht das Gespräch auch los. Dann aber, das Thema Wahlkrise der CDU und Aufstieg der AfD ist mittlerweile erschöpfend behandelt, bessert sich die Laune des Finanzministers. Es geht nun um den Standort Deutschland, um Wirtschafts- und Finanzpolitik. Und plötzlich ist Schäuble nicht mehr zu stoppen: Der Bundeshaushalt? Seit Jahren ausgeglichen. Ausgaben für Bildung und Forschung? In Schäubles Amtszeit um sieben Prozent gestiegen. Investitionen in Infrastruktur? So hoch, dass Bund und Länder mit ausgeben gar nicht hinterherkämen. „Das“, endet Schäuble schließlich begeistert von sich selbst, „ist kluge Finanzpolitik.“ Deutschland, das lässt sich zwischen diesen Schäuble-Zeilen lesen, ist Wirtschaftswunderland. Quelle: dpa
Exportweltmeister, wachsende Wirtschaft, sinkende ArbeitslosigkeitUnd, es stimmt ja auch: die Stimmung ist, Flüchtlingskrise hin, Zinskrise her, gut. Gerade wurde das Land wieder Exportweltmeister, die Wirtschaft wächst, die Arbeitslosigkeit sinkt. Und doch, das wird dieser Tage klar werden: Alles ist relativ. Wenn das Weltwirtschaftsforum, bekannt durch sein jährliches Winterspektaktel der Mächtigen in Davos, an diesem Mittwoch seinen Bericht über die globale Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaften vorstellt, wird Deutschland einen Platz abgerutscht sein. Zwar schneidet die größte Wirtschaft der Eurozone noch immer gut ab, andere Länder machen es aber besser als der selbst ernannte Musterknabe der Eurozone; und zwar auch Euro-Partnerländer. So ziehen ausgerechnet die Niederlande an Deutschland vorbei und belegen in dem weltweiten Ranking, für das die Schweizer Nichtregierungsorganisation 138 Länder nach zwölf Kriterien vergleicht, vor Deutschland Platz vier. An der Spitze des Rankings stehen in unveränderter Reihenfolge die Schweiz, Singapur und die USA. Was Deutschlands Rückschlag auslöst, wie Chancen und Risiken in der Welt verteilt  sind – und was das größte Risiko für die Weltwirtschaft ist: Quelle: dpa
DeutschlandEin Grund zur Panik ist der Rückfall Deutschlands um einen Platz nicht. Allenfalls ein kleiner Warnschuss gegen das allzu selbstbewusste Auftreten manches Standortpolitikers und Ökonoms angesichts der deutschen Erfolgssträhne in den vergangenen Jahren. Vor allem in Sachen Innovation sehen die Schweizer Forscher Deutschland besser aufgestellt, damit einher geht eine Verbesserung beim technologischen Entwicklungsgrad. Hier rückt die Bundesrepublik um zwei Ränge auf Platz zehn vor. Schlecht sieht es dagegen bei zwei Kriterien aus: Im Bereich institutionelle Stärke rutscht ausgerechnet Effizienz-Weltmeister Deutschland um zwei Ränge auf Platz 22 abn und in Fragen der von Schäuble so gelobten Infrastruktur auf Platz acht. Quelle: dpa
Die Top 10Auf Deutschland folgen unter den zehn besten Ländern der Welt nun Schweden und Großbritannien. Beide Länder haben sich verbessert, allerdings beziehen sich die Ergebnisse Großbritanniens auf die Vor-Brexit-Zeit. Wer den Bericht und seine Beschreibung von Chancen und Risiken richtig liest, ahnt: bei der guten Performance des Vereinigten Königreichs wird es nicht bleiben. Schließlich nennen die Schweizer Forscher vor allem Abschottungstendenzen als eines der größten Risiken für Volkswirtschaften. Japan (8), Hongkong (9) und Finnland (10) komplettieren die Top-Ten. Quelle: dpa
Das Euro-GefälleWährend es den Ländern im Norden Europas vergleichsweise gut geht, manifestiert sich das Nord-Süd-Gefälle des Euro-Raums auch in der Rangliste der Wettbewerbsfähigkeit. Während Spanien, das seit einem dreiviertel Jahr ohne Regierung vor sich hin werkelt, immerhin noch um einen Platz auf Rang 32 kletterte, fällt Italien weiter zurück. Das drittgrößte Land der Eurozone rangiert nunmehr auf Platz 44. Auch Portugal auf Platz 46 und Griechenland auf Platz 86 rutschten weiter ab. Dass die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank da hilft, bezweifelt der Bericht im Übrigen. Quantitative Lockerungen der Geldpolitik kämen gerade nicht den schwachen sondern eher den starken Ländern des Währungsraums zu Gute. Quelle: dpa
Aufstieg der SchwellenländerWährend Euro-Land also weiter auseinanderdriftet, streben die großen Schwellenländer weiter nach oben. China  bleibt auf Platz 28 und damit Klassenprimus dieser Gruppe. Große Fortschritte macht Indien. Das um 16 Ränge auf Platz 39 klettert. Auch Russland und Südafrika verbessern sich um je zwei Ränge auf 43 bzw. 47. Ist das die Rückkehr der schon totgesagten BRICS-Länder? Wohl ehr das Comeback der RICS. Denn Brasilien kann vom Aufwärtstrend nicht profitieren. Das politisch gebeutelte Land fällt trotz Olympia um sechs Ränge auf Platz 81. Quelle: REUTERS
Asien-KriseDie zweite Reihe der Schwellenländer im Osten dagegen kriselt: Malaysia verliert seinen Platz in den Top 20 und fällt um sieben Ränge auf Platz 25, Thailand rutscht um zwei Ränge auf Platz 34, Indonesien um vier auf Platz 41 und die Philippinen verschlechtern sich um zehn Ränge auf Platz 57. „Ein Dauerthema für die Entwicklungsländer der Region ist die Notwendigkeit, Fortschritte in den komplexeren Bereichen der Wettbewerbsfähigkeit zu machen, die mit dem Entwicklungsstand der Unternehmen und Innovation zusammenhängen“, schreiben die Experten aus Genf. Passiere das nicht, würden die Länder auf dem jetzigen Niveau verharren – relativ also absteigen. Quelle: dpa

Mit kräftiger staatlicher Unterstützung kann auch das Start-up Nutonomy, eine Ausgründung des Bostoner MIT, rechnen. Das Unternehmen, das inzwischen 40 Mitarbeiter beschäftigt, entwickelt Software für das autonome Fahren. Nach Singapur gingen die Tüftler, weil die Regierung ihnen dort den roten Teppich ausrollte. „Mit bis zu 100 Millionen Dollar Förderung“ könne man rechnen, sagt einer der Nutonomy-Gründer. „Nirgendwo auf der Welt unterstützen die Behörden Technologie-Start-ups so wie in Singapur“, ergänzt Nutonomy-Chef Karl Iagnemma. Die Regierung hat sich das Ziel gesetzt, weltweit führende Nation bei Testprojekten zum autonomen Fahren zu werden. Gerade hat das singapurische Verkehrsministerium eine Partnerschaft mit den Gründern aus Boston unterschrieben. Auch Uber und BMW haben bei den singapurischen Behörden Vorschläge für Pilotversuche zum autonomen Fahren eingereicht.

Geld hat Singapur reichlich, um die digitale Revolution voranzutreiben. An ausreichend Know-how dagegen fehlt es trotz großer Fortschritte im Bildungswesen noch immer. Der Staat setzt darum auch auf Kooperationen mit dem Ausland.

Steve Leonard wurde in Großbritannien geboren, lebt aber seit mehr als zehn Jahren in Asien. In der internationalen Techszene kennt er sich aus wie kaum ein anderer. Seit dem Frühjahr dieses Jahres reist Leonard im Auftrag von Lims Behörde, der IMDA, unermüdlich um den Globus: Der Brite soll Ausschau halten nach möglichen Partnern für singapurische Start-ups. „In Boston suche ich nach Kooperationen mit Leuten aus der Biotechszene“, sagt Leonard, „in London schaue ich mir vor allem Fintechs an, und Berlin ist gut beim Künstlerisch-Kreativen.“

Wo der Chef am meisten für den Auslandseinsatz zahlen muss
AuslandsentsendungenImmer mehr Unternehmen schicken ihre Mitarbeiter - von der Fachkraft bis zum Manager - ins Ausland. Mal für ein paar Wochen, mal für einige Jahr. „Die Globalisierung steht für viele Unternehmen ganz oben auf der Agenda und müssen deshalb ihre Mitarbeiter und Führungskräfte entsprechend darauf vorbereiten. Ein wichtiges Mittel dafür sind Entsendungen ins Ausland“, sagt Ilya Bonic, Senior Partner und Präsident des Bereichs Career bei der US-Beratung Mercer. Das Unternehmen erstellt jedes Jahr das sogenannte Cost-of-Living-Ranking der beliebtesten 209 Städte für Expats. Dafür vergleichen die Berater die Preise für mehr als 200 Produkte und Dienstleistungen, darunter Lebensmittel, Miete und öffentliche Verkehrsmittel. Das Ergebnis:Auslandsentsendungen sind in der Regel nicht billig. Besonders in Asien und der Schweiz müssen Expats einiges bezahlen. Quelle: dpa
Platz 10: Bern Quelle: REUTERS
Platz 9: New York City Quelle: AP
Shanghai Quelle: dpa
Genf (Schweiz) Quelle: REUTERS
Platz 6: Seoul Quelle: dpa
Singapur Quelle: AP

Sicher, sagt Leonard, anders als in anderen Ländern, wo ungewöhnliche Ideen und Eigeninitiative Neues hervorbrächten, treibe in Singapur vor allem der Staat die Gründerszene. Aber: „Die Regierung versucht, sich bei jedem Projekt so früh wie möglich zurückzuziehen.“ Probleme sieht der Brite an anderer Stelle: Es fehle in Singapur eine Kultur des Scheiterns. Leonard sagt: „Die Leute haben Angst, sich auf die Bühne zu stellen und zu sagen ‚ist halt schiefgegangen‘.“

Bei Weitem nicht alle Vorstöße Singapurs für internationale Kooperationen sind erfolgreich. So versuchten die Behörden etwa mit dem Zentrum für Innovation und Gründung der TU München ins Gespräch zu kommen. Doch die Asiaten holten sich eine Abfuhr – die Münchner orientieren sich Richtung Silicon Valley. Auch weil dort oftmals die vielversprechenderen Ideen geboren werden.

Der Mittelstand setzt große Hoffnungen in die wirtschaftlich dynamischste Region der Welt. Doch die Eroberung der Märkte in Fernost ist schwierig, längst nicht immer gelingt sie.
von Matthias Kamp

Sicher, Singapur ist längst nicht mehr der gefürchtete Nanny-Staat, der seine Bürger rund um die Uhr bevormundet und vom Kaugummi bis zur Aktfotografie so ziemlich alles verbietet, was aus dem Westen kommt. Doch Kreativität, die Lust am Umbruch – all das sind Dinge, die nur staatlich gesteuert passieren. Frei entfaltet sich in dem Staat selten etwas. Symptomatisch dafür ist der Unterricht an Singapurs (Hoch-)Schulen, wo Auswendiglernen noch immer wichtigste Disziplin ist. Und so ist der Stadtstaat auch ein Gegenmodell zur liberalen, ungesteuerten Digitalisierung im Westen. Die Frage ist, welcher Ansatz sich besser entfaltet.

Archisen-Gründer Sven Yeo etwa hat die Schattenseiten der staatlich verordneten Digitaloffensive kennengelernt: In Singapur wuchere die Bürokratie. Yeo: „Die Vorschriften zum Brandschutz und zum Zugang zu Dächern sind wahnsinnig kompliziert.“

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