Slowakei und Flüchtlinge Anti-Flüchtlingspolitik könnte sich rächen

Im Wahlkampf hat der slowakische Premier Robert Fico die Flüchtlingskrise als großes Thema gefahren. Dies könnte ein Schuss in den Ofen sein. Fico droht bei der Parlamentswahl am Samstag der Verlust der absoluten Mehrheit.

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Fico hat in den vergangenen Monaten gegen Migranten und Merkels Kurs in der Flüchtlingskrise gewettert. Quelle: Reuters

Prag Die große Frage bei der Parlamentswahl im EU-Land Slowakei ist bei weitem nicht, wer am (morgigen) Samstag gewinnen wird. Vielmehr drehen sich die Spekulationen darum, welcher Vorsprung für den Favoriten - die regierenden Sozialdemokraten von Ministerpräsident Robert Fico - herausspringen wird. So manche glauben, dass Fico die Stimmung im Volk falsch eingeschätzt haben könnte, weil er sich zu stark auf die Flüchtlingskrise in Europa konzentriert habe. Interne Probleme seien dabei untergegangen.

Dies könnte Ficos Partei Stimmen kosten und möglicherweise einen Koalitionspartner nötig machen. Bei den Wahlen 2012 hatte seine regierende Smer-Partei einen erdrutschartigen Sieg gelandet und 44,4 Prozent der Stimmen erzielt. Das entsprach 83 Sitzen in dem 150 Mandate zählenden Parlament. Diese Mehrheit erlaubte es den Sozialdemokraten, allein in dem Land mit seinen 5,4 Millionen Einwohnern zu regieren. Eine solche Machtposition war einer einzigen Partei in der Slowakei seit der Aufsplittung der Tschechoslowakei 1993 nicht mehr beschieden gewesen.

Umfragen zufolge wird Ficos Partei bei der Wahl weit über 30 Prozent der Stimmen bekommen. Doch viele meinen, er brauche mindestens einen Koalitionspartner, um weiter regieren zu können. Dafür in Frage käme etwa die ultranationalistische Slowakische Nationalpartei, die nach vier Jahren der Abwesenheit auf eine Rückkehr ins Parlament hofft.

Fico ist Anhänger einer starken Rolle des Staates in der Wirtschaft, er sieht die westlichen Sanktionen gegen Russland kritisch und ist für seine antimuslimische Rhetorik bekannt. Die Slowakei liegt zwar nicht an der Balkanroute, über die 2015 täglich Tausende Migranten und Flüchtlinge Richtung Westeuropa strömten - aber er machte die Flüchtlingskrise zum zentralen Thema seines Wahlkampfes.

„Wir schützen die Slowakei“ heißt der Slogan von Smer, der auf großen Tafeln im ganzen Land geschrieben steht. Gemeinsam mit seinem ungarischen Amtskollegen Viktor Orban ist Fico einer der Gegner des verabschiedeten EU-Plans zur Verteilung von Flüchtlingen unter den Mitgliedsstaaten. Die Slowakei reichte dagegen sogar Klage vor dem EU-Gerichtshof ein.


Fico hat die Stimmung in der Bevölkerung falsch eingeschätzt

Nach Meinung des Regierungschefs gibt es eine „klare Verbindung“ zwischen der Flüchtlingswelle und den tödlichen Anschlägen seitens islamistischer Extremisten in Paris. Auch die sexuellen Übergriffe in der Silvesternacht in verschiedenen deutschen Städten sieht er in derselben Linie. Diese Angriffe hätten gezeigt, dass die Migranten „nicht integriert werden können“, so Fico.

Im vergangenen Herbst hatte der Regierungschef mit seinen einwanderungsfeindlichen Äußerungen noch punkten können. Doch jüngste Umfragen der großen Meinungsforschungsinstitute legen nahe, dass viele Slowaken meinen, das Thema Migranten sei für sie nicht von größerem Belang.

Vielmehr haben Korruptionsskandale im Gesundheitswesen sowie Streiks von Lehrern und Massenkündigungen seitens Krankenschwestern die Flüchtlingskrise als Thema in den Schatten gestellt, wie Martin Slosiarik vom Meinungsforschungsinstitut Focus erklärt. „Fico hat die innenpolitischen Themen unterschätzt“, sagt der Focus-Direktor.

Die exportorientierte Wirtschaft des Landes gehört zu denjenigen, die innerhalb der EU am schnellsten wachsen. Die Staatsverschuldung ist eine der niedrigsten, und die Arbeitslosenquote befindet sich im Sinken. Fico konnte 2015 den Autobauer Jaguar Land Rover als Investor ins Land holen. Dieser will nun ein 1,7 Milliarden Dollar (etwa 1,6 Milliarden Euro) teures Werk bauen und bis zu 4000 neue Stellen schaffen.

Fico gelangen auch einige populäre Maßnahmen. So führte er ein kostenloses Zugticket für Rentner und Studenten ein. Auch sorgte der Regierungschef für einen niedrigeren Mehrwertsteuersatz für Grundnahrungsmittel.

Fünf andere Parteien haben Aussichten auf Parlamentssitze am Samstag. Der Siet-Partei von Radoslav Prochazka werden dabei als einziger Chancen eingeräumt, mehr als zehn Prozent der Stimmen holen zu können. Sollte der Sieg von Ficos Smer-Partei zu knapp ausfallen, könnten sich die fünf allerdings auch zusammenschließen und die Sozialdemokraten in die Opposition schicken. „Unter diesem Gesichtspunkt ist alles ziemlich weit offen“, sagt Meinungsforscher Slosiarik.

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