SPD-Chef Gabriel in Ägypten Das überraschende Lob für den Diktator von Kairo

Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel nennt den ägyptischen Präsidenten al-Sisi einen „beeindruckenden Präsidenten“ – und erntet dafür Kritik. Gabriels umstrittene Äußerungen sind der puren Not geschuldet. Eine Analyse. 

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Der Bundeswirtschaftsminister vor der Sphinx an den Pyramiden von Gizeh: Sigmar Gabriel besucht mit einer großen Wirtschaftsdelegation Ägypten und Marokko. Quelle: dpa

Kairo Am Ende schafft es Sigmar Gabriel doch noch, die Debatte wieder einzufangen: Im Schatten der Pyramiden von Gizeh erklärt der Bundeswirtschaftsminister am Sonntagabend, wie seine umstrittene Bemerkung über den ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi zu verstehen gewesen sei: Er habe als Politiker schon ganz andere Regierungen kennengelernt, die Menschenrechte missachteten, doch die habe man meist nicht offen auf dieses Thema ansprechen können, sagt der Vize-Kanzler einem Journalisten der Deutschen Welle. Das sei bei al-Sisi ganz anders. Der stelle sich der Debatte über Menschenrechte.

Wenn Gabriel Glück hat, hat er damit ein Feuer ausgetreten, das er am Sonntagnachmittag selbst entfacht hatte. Gabriel hatte nach einem Treffen mit al-Sisi gegenüber ägyptischen Journalisten gesagt: „Sie haben einen beeindruckenden Präsidenten.“ Das Land sei dabei, sich „Schritt für Schritt zu demokratisieren“.

Das Stirnrunzeln der Umstehenden war schwer zu übersehen. Der ägyptische Präsident ist nach westlichen Maßstäben alles andere als ein lupenreiner Demokrat. Selbst als „Diktator mit Herz“ geht er nicht durch. Die Todesurteile gegen Mitglieder der Muslimbruderschaft, sein hartes Vorgehen gegen Oppositionelle aller Art, Berichte über Folterungen und wahllose Inhaftierungen prägen das Bild Ägyptens im Rest der Welt.

Gabriels Lob für al-Sisi wirkte daher deplatziert. Wie weit darf der Minister eines EU-Staates gehen, dessen Interesse unübersehbar ist, die Regierung eines strategisch wichtigen Landes zu stabilisieren? Gabriel habe deutlich überzogen, hieß es in Deutschland. Der Minister habe sich wieder einmal nicht im Griff gehabt.

Das Verhältnis westlicher Staaten gegenüber Ägypten ist ambivalent. Jeder weiß um die strategische Bedeutung Ägypten in einer politisch zunehmend instabilen Region. „Al-Sisi ist sich darüber im Klaren, dass wir dazu verdammt sind, ihm zu helfen. Denn niemand will sich ausmalen, was passiert, wenn auch dieses Land zusammenbricht“, sagt ein westlicher Diplomat.

Menschenrechtsorganisationen haben durchaus Verständnis für das Interesse des Westens an einer Stabilisierung Ägyptens. Doch sie wehren sich dagegen, al-Sisi einen Freifahrtschein für Menschenrechtsverletzungen auszustellen. Ihr Motto ist klar: Wer der ägyptischen Regierung hilft, muss Gegenleistungen in Gestalt von Reformen fordern. Es sei kontraproduktiv, sich der ägyptischen Regierung anzubiedern, kritisieren sie.

Gabriels Lob wird auch bei europäischen Partnern Kopfschütteln ausgelöst haben, etwa beim italienischen Regierungschef Matteo Renzi. Renzi hatte kürzlich seinen Botschafter in Ägypten wegen des ungeklärten Falls eines italienischen Studenten zurückgerufen. Er war in Kairo mit Folterspuren tot aufgefunden worden.

Die Menschenrechtsorganisationen werfen dem ägyptischen Regime vor, es agiere noch brutaler als das Mubarak-Regime. Die Unberechenbarkeit und Irrationalität der staatlichen Sicherheitsdienste habe zugenommen, der staatliche Sicherheitsapparat kenne keine Tabus mehr.


Ägypten steht miserabel da

Ägypten steht miserabel da - politisch wie ökonomisch, das registriert auch die Bundesregierung mit Sorge. Und gerade das macht die Lage so schwierig. Die Haushaltslage Ägyptens ist desolat, seit 2011 bewegt sich das Defizit – gemessen an der Wirtschaftsleistung – im zweistelligen Prozentbereich. Ägypten ist auf Hilfe etwa aus Saudi-Arabien angewiesen.

Im Gegenzug zeigt sich Ägypten erkenntlich: Kürzlich kündigte die Regierung an, Saudi-Arabien zwei Inseln im Roten Meer überlassen zu wollen. Die Eilande Tiran und Sanafir am Golf von Akaba stünden Riad rechtmäßig zu, hieß es. Die Land weist es weit von sich, erpressbar zu sein. Viele Ägypter sehen in der Übereignung der Inseln allerdings einen Kotau vor den Saudis. Sie werten die Ankündigung der Regierung als weiteres Krisensignal.

Ein selbst tragender Aufschwung ist in Ägypten nicht in Sicht. Das Wirtschaftswachstum von gut vier Prozent reicht bei weitem nicht aus, um den jährlichen Zustrom von rund 800.000 Berufseinsteigern in Brot und Lohn zu bringen. Die Stiftung Wissenschaft und Politik bescheinigt dem Land mit seinen 87 Millionen Einwohnern zudem eine „endemische Korruption“ und „staatliche Misswirtschaft“.

Unternehmer klagen, es sei schwierig, Gewinne auszuführen. Mitglieder der Gabriel-Delegation berichten ferner von hohen Außenständen wegen der katastrophalen Zahlungsmoral des Staates. „Das verhagelt uns die Investitionen ganz erheblich“, sagt der Manager. Klagen gibt es zudem über die dominante Rolle des Militärs auch bei ökonomischen Fragen. In Delegationskreisen hieß es, man sei besorgt, dass der Präsident sich stark auf die prekäre Sicherheitslage des Landes fixiere und grundlegende Wirtschaftsreformen außer Acht lasse.

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