Staatsbesuch aus Afghanistan Die nächste Flüchtlingswelle rollt

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Schnelle Flucht durch offene Grenzen

Kämpfe zwischen Taliban und reaktivierten lokalen Milizen schlagen immer mehr Menschen auch aus Afghanistan in die Flucht: Ab Kabul kann man per Bus über den Iran und die Türkei nach Deutschland fahren – keine Woche dauert es, bis die Afghanen in München sind. Die offenen Grenzen Pakistans, des Iraks, Irans und der Türkei machen die freie Fahrt erst möglich. Je blutiger die Konflikte in Afghanistan werden, so viel steht fest, desto höher sind die Erfolgsaussichten des Asylantrags in Deutschland.

In der Folge hat die Nato bereits den Truppenabzug aus Afghanistan gestoppt: Deutschland will sein Engagement dort sogar ausweiten und statt 850 bis zu 980 Soldaten am Hindukusch stationiert lassen – wenn auch vorwiegend zu Ausbildungszwecken.
Militärische Hilfe allein wird die Bürgerkriegsgefahr allerdings nicht bannen, glaubt Jan Koehler, Afghanistan-Experte an der Freien Universität Berlin: „Ein entscheidender Grund für die Eskalation ist, dass Nachbarstaaten wie Pakistan und Iran auf Afghanistan Einfluss ausüben wollen und dort bewaffnete Gruppen unterstützen.“

Westliche Diplomaten könnten auf Teheran und Islamabad einwirken, auf dass solcherlei Krieg und Chaos stiftende „Nachbarschaftspolitik“ ein Ende findet. Wobei gerade die Deutschen, die am Hindukusch niemals Kolonialmacht waren und mit aktiver Entwicklungshilfe in den Ländern sehr präsent sind, im regionalen Beziehungsgeflecht womöglich glaubwürdigere Vermittler wären als die USA.

Afghanistan-Kenner Koehler jedenfalls weiß aus eigener Feldforschung: „Die Afghanen sind sehr an einem starken Staat als Stabilitätsgarant interessiert.“ Trotz verbreiteter Korruption sei eine handlungsfähige Regierung als ordnungspolitische Instanz erwünscht – und nicht die Zersplitterung des ganzen Landes in Stammes- oder Volksgruppen.

Immerhin einen Hoffnungsschimmer gibt es für Afghanistan: Seit dem Abzug der Mehrzahl der internationalen Truppen ist die Wirtschaft des Landes nicht völlig kollabiert. Für die Dörfer im Norden, die Koehler und sein Team von der FU Berlin regelmäßig besuchen, gelte sogar das Gegenteil: „Die Landwirtschaft entwickelt sich günstiger, nachdem sie von vorherigen Regierungen stark vernachlässigt wurde.“ Zudem profitiere die Landbevölkerung vom Anbau von Schlafmohn, dessen Verarbeitung zu Heroin und dem Schmuggel in Richtung Tadschikistan und Pakistan.

So sehr man im Westen auch die Nase rümpfen mag, Jan Koehler sagt: „Die illegale Drogenwirtschaft ist wenig monopolisiert, die Landbevölkerung profitiert auch von den Einnahmen.“ Darum geht auch niemand gegen diese Schattenwirtschaft vor – auch nicht der saubere Herr Ashraf Ghani. Zumal der im Moment größere Probleme hat.

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