Ich bin keine Pazifistin – und genau deshalb ist mir das moralische Argument für militärische Aktionen suspekt. Moral ist die ultima ratio in einer Demokratie, in der die Menschen von der Notwendigkeit zum militärischen Handeln überzeugt werden müssen, was stets schwierig war und fast unmöglich geworden ist in einer älter werdenden Gesellschaft, die schon deshalb friedlich gesonnen ist, weil sie die wenigen jungen Männer, die sie noch hat, nicht für Volk und Vaterland opfern will. Und erst recht nicht für fremde Zwecke, Ziele und Interessen.
Man muss die Bürger schon an ihren höchsten Werten packen, insbesondere die durch Schaden friedlich gewordenen Deutschen, um sie zur Zustimmung zu bewegen – der damalige Außenminister Joschka Fischer überredete sie zum Abenteuer im Kosovo, indem er sie an die deutsche Pflicht erinnerte, ein neues Auschwitz zu verhindern. Das überzeugte weniger die Militärs als ausgerechnet die Friedfertigen, die sich mit militärischen Fragen nicht beschäftigen müssen, die da heißen: mit welchem Auftrag gehen wir rein, was hat der Auftrag mit der Aufgabe zu tun, „Deutschland und seine Bürger und Bürgerinnen“ zu schützen – und wie kommen wir aus dem Schlamassel wieder heraus.
Die militärische Ratio hegt das Geschehen ein – die Moralisierung des Krieges aber entfesselt ihn.
Nach dem militärischen Sinn oder Unsinn der Präsenz der Bundeswehr in Syrien fragt hierzulande kaum einer. Doch wenigstens die Funktionalisierung von Auschwitz blieb uns diesmal erspart. Der Öffentlichkeit genügt anscheinend die Forderung nach Solidarität mit Frankreich, das sich nach den jüngsten Terrorangriffen in Paris zur Wehr setzen müsse (als ob die Geschichte nicht auch die Erfahrung bereithielte, dass gutgemeinte Solidarität, etwa die des Deutschen Reichs mit k.u.k. Österreich im Jahre 1918, schon mal in die Katastrophe führen kann).
Die 7 Geldquellen des IS
Und so schickt Deutschland ohne große Anteilnahme seiner Bürger Gerät und Menschen in ein unübersichtliches Geschehen – und mich beschleicht das Gefühl, einer Operettenkostümprobe zuzusehen. Schon der französische Präsident Francois Hollande, eine lahme Ente, wie sie im Buch steht, versuchte sich wenig glaubhaft in der Rolle des großen Kriegsherrn, eine Inszenierung, die ihm die jüngsten Regionalwahlen gründlich verdarben, die ausgerechnet zwei Frauen vom Front National aufs Schild hoben.
Die deutsche Statistenrolle ist noch eine Drehung lächerlicher, obzwar das Land mehr als einen Grund hat, den Brand im Nahen Osten zu löschen zu wollen. Immerhin sieht es sich in der Pflicht, vor allem Flüchtlinge aus Syrien aufzunehmen, von denen man annimmt, dass sie vor Syriens Diktator Assad fliehen. Wen will man also in Syrien bekämpfen? IS? Assad? (Und warum tun das die vielen jungen Syrer nicht, die nun in Deutschland abwarten, wie sich die Dinge entwickeln?)
Das schlechte Gewissen ist ein schlechtes Argument
Wie auch immer: So sieht niemand aus, der die feste Absicht hat, wenigstens die Fanatiker der IS auszuschalten. Das ist den Terroristen nicht entgangen, die wissen, dass entschlossenes Handeln des Westens diesen „militärischen Zwerg“ (Michael Wolffsohn) in Windeseile von der Landkarte löschen könnte – wenn der Westen denn wollte. In den alternden Gesellschaften des Westens aber fehlen der Heroismus und die Leidenschaft dafür und nicht zuletzt fürchtet man Bilder von zivilen Opfern. Darauf beruht die zynische Kriegsführung aller Terroristen, die zivile Bevölkerung als Schutzschild benutzen: man führt den Westen als Angsthase und Schlappschwanz vor und amüsiert sich über eine Medienöffentlichkeit, die Teetrinken und Verhandeln vorschlägt. Hamas macht das seit Jahren vor.
Doch genau darauf käme es an: die gequälte syrische Zivilbevölkerung zu schützen – vor allen, natürlich auch vor Assad. Also: Entweder richtig oder gar nicht. Oder?
Der Kriegsforscher Herfried Münkler hält es für einen Fehler, dass sich Europa unter deutscher Führung „aus Altersmüdigkeit und Resignation“ nicht dafür entscheiden mag, „gestaltend und energisch“ in die zerfallende Ordnung vor allem im Nahen Osten einzugreifen und dazu neigt, sich lieber mit den „alten Kräften“ zu verbünden, wenn es sich nicht gerade gleich aus der Verantwortung herauskaufen kann. „Die Rolle Europas in der Welt, sein Wohlstand und seine politische Ordnung werden sich in den kommenden Wochen und Monaten entscheiden. Diese Entscheidung wird Folgen bis weit ins 21. Jahrhundert hinein haben.“
Frankreich und der Terror
Am französischen Nationalfeiertag am 14. Juli rast in der Hafenstadt Nizza ein Attentäter mit einem Lastwagen in eine Menschenmenge. Mindestens 84 Menschen werden getötet, mehr als 200 verletzt.
Am 26. Juli haben in Saint-Étienne-du-Rouvray in der Normandie zwei Geiselnehmer einen Priester getötet, ein weiteres Opfer schwebt in Lebensgefahr. Die mutmaßlichen Täter wurden getötet. Der IS reklamierte die Tat über sein Sprachrohr Amak für sich.
Ein Mann ersticht in Magnanville westlich von Paris einen Polizisten und dessen Lebensgefährtin. Die Polizei erschießt den Täter, der sich zuvor zum IS bekannt hatte.
Am Jahrestag der Anschläge auf „Charlie Hebdo“ schießen Polizisten vor einem Pariser Kommissariat einen Mann nieder. Er war mit einem Messer bewaffnet und trug die Attrappe einer Sprengstoffweste.
Bei einer koordinierten Anschlagsserie in Paris töten IS-Extremisten 130 Menschen. In der Konzerthalle „Bataclan“ richten sie ein Massaker an, Bars und Restaurants werden beschossen, am Stade de France sprengen sich während des Fußball-Länderspiels Frankreich-Deutschland drei Selbstmordattentäter in die Luft.
Ein 25-jähriger Islamist wird im Thalys-Schnellzug auf dem Weg von Brüssel nach Paris bei einem Anschlagversuch mit einem Schnellfeuergewehr von Fahrgästen überwältigt. Zwei Zuginsassen werden verletzt.
Bei einem Anschlag auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ in Paris werden zwölf Menschen ermordet. Die beiden islamistischen Attentäter Chérif und Said Kouachi kommen zwei Tage später bei einer Polizeiaktion nordöstlich von Paris um. Der Islamist Amedy Coulibaly, der die Brüder Kouachi kannte, erschießt bei Paris eine Polizistin und nimmt mehrere Geiseln in einem jüdischen Supermarkt. Er tötet dort vier Menschen, bevor er von der Polizei erschossen wird.
Die Gruppe Jund al-Khilafa („Soldaten des Kalifats“), ein Ableger der Terrormiliz Islamischer Staat, enthauptet einen in Algerien entführten französischen Touristen.
In Mali werden zwei Mitarbeiter von Radio France Internationale (RFI) entführt und ermordet. Die Terrororganisation Al-Kaida im islamischen Maghreb bekennt sich zur Tat. Zuvor hatte sich die Gruppe dazu bekannt, eine andere französische Geisel getötet zu haben.
Ein Serien-Attentäter erschießt sieben Menschen, darunter drei Kinder und einen Lehrer einer jüdischen Schule. Er wird nach rund 32-stündiger Polizeibelagerung seiner Wohnung erschossen. Zuvor hatte er sich als Al-Kaida-Anhänger bezeichnet.
Vor der Küste Jemens rammt ein mit Sprengstoff beladenes Boot den französischen Tanker „Limburg“. Ein Matrose kommt ums Leben. Al-Kaida bekennt sich zu dem Anschlag.
Bei einem Anschlag mit einer Gasflaschen-Bombe im Pariser S-Bahnhof Port Royal kommen vier Menschen ums Leben. Bereits 1995 waren bei einer Serie von Terroranschlägen, die islamischen Fundamentalisten aus Algerien zugeschrieben werden, in Frankreich insgesamt acht Menschen getötet worden.
Bei einem Absturz eines französischen Flugzeugs in Folge einer Bombenexplosion an Bord über dem afrikanischen Staat Niger sterben 170 Menschen. Ein französisches Gericht verurteilt sechs Libyer in Abwesenheit zu lebenslanger Haft, unter ihnen einen Schwager des damaligen libyschen Staatschefs Muammar el Gaddafi.
Es steht zu befürchten, dass er recht hat. Doch die Geschichte militärischer Interventionen macht wenig Hoffnung. Von Vietnam bis Afghanistan gibt es zahllose Beispiele dafür, dass es auch beim Einsatz höchster militärischer Mittel einer Weltmacht misslingen kann, einen Bürgerkrieg zu befrieden.
Es gibt nicht nur schlechte Gründe, warum „der Westen“ das lieber Assad überlassen möchte. Syrien ist unter Assad nach den Regeln der Vereinten Nationen ein souveräner Staat, das Völkerrecht verbietet jede militärische Unterstützung bewaffneter Aufstände in fremden Ländern. Vor allem aber: Ein militärisch von außen erzwungener Frieden – gegen wen? Mit wem? - hält nicht lange.
Und nicht zuletzt sollte man zugunsten der deutschen Soldaten die schlichte Frage beantworten: was ist die Exitstrategie? Oder gibt es hierzulande bei jenen, die die Bundeswehr entsenden, nämlich im Parlament, keine militärischen Argumente mehr, sondern nur noch das Bedürfnis, kein schlechtes Gewissen zu haben und sich gut zu fühlen – „wir tun was“?