Stephans Spitzen

Deutschland zieht in den Krieg und keiner muckt auf

Cora Stephan Politikwissenschaftlerin

Was soll in Syrien mit militärischen Mitteln erzwungen werden? Wie lautet die Exit-Strategie für die Bundeswehr? Es gibt viele offene Fragen zum deutschen Kriegseinsatz. Und keinerlei Debatte – leider. Eine Kolumne.

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Deutsche Tornados werden künftig Aufklärungsmissionen über dem syrischen Luftraum fliegen. Quelle: dpa

Ich bin keine Pazifistin – und genau deshalb ist mir das moralische Argument für militärische Aktionen suspekt. Moral ist die ultima ratio in einer Demokratie, in der die Menschen von der Notwendigkeit zum militärischen Handeln überzeugt werden müssen, was stets schwierig war und fast unmöglich geworden ist in einer älter werdenden Gesellschaft, die schon deshalb friedlich gesonnen ist, weil sie die wenigen jungen Männer, die sie noch hat, nicht für Volk und Vaterland opfern will. Und erst recht nicht für fremde Zwecke, Ziele und Interessen.

Man muss die Bürger schon an ihren höchsten Werten packen, insbesondere die durch Schaden friedlich gewordenen Deutschen, um sie zur Zustimmung zu bewegen – der damalige Außenminister Joschka Fischer überredete sie zum Abenteuer im Kosovo, indem er sie an die deutsche Pflicht erinnerte, ein neues Auschwitz zu verhindern. Das überzeugte weniger die Militärs als ausgerechnet die Friedfertigen, die sich mit militärischen Fragen nicht beschäftigen müssen, die da heißen: mit welchem Auftrag gehen wir rein, was hat der Auftrag mit der Aufgabe zu tun, „Deutschland und seine Bürger und Bürgerinnen“ zu schützen – und wie kommen wir aus dem Schlamassel wieder heraus.

So marode ist die Bundeswehr
Aufklärungsjets am BodenImmer neue Einsätze stellen Deutschlands Armee vor Herausforderungen. Immer wieder kommt es dabei auch zu Problemen mit dem Material. So waren die deutschen "Tornados", die für Aufklärungsflüge gegen die Terrormiliz IS in Syrien und im Irak eingesetzt werden, zunächst nachts nicht einsetzbar. Die Cockpit-Beleuchtung war zu hell. Zwar hat die Bundeswehr die Flieger nachgerüstet, doch nicht alle Jets sind tatsächlich einsetzbar. Von den 93 deutschen Tornados waren laut Berichten aus dem November nur 66 in Betrieb - und nur 29 einsatzbereit. Das macht eine Quote von 44 Prozent, vor einem Jahr waren immerhin noch 58 Prozent der Flugzeuge einsatzbereit. Die teilweise über 30 Jahre alten Flugzeuge gelten als Auslaufmodelle. Quelle: dpa
Kampfjets ohne RaketenBeim Nachfolgemodell Eurofighter sind immerhin schon 55 Prozent der 109 Kampfjets einsatzbereit. Dieser Wert lag im vergangenen Jahr aber noch bei 57 Prozent. Wie im November bekannt wurde, fehlt es der Bundeswehr allerdings an Raketen für ihre Flugzeuge: Insgesamt 82 radargelenkte Amraam-Raketen besitzt die Bundeswehr, berichtet die "Bild am Sonntag". Im Ernstfall aber sollte jeder Jet mit zwei Raketen bestückt werden - die Bundeswehr bräuchte also 218 Amraam-Raketen. Quelle: dpa
Hubschrauber mit TriebwerksschädenNoch schlechter steht es um die Hubschrauber-Flotte: Nur 22 Prozent der Transporthubschrauber des Typs NH90 der Bundeswehr sind einsatzbereit. Der Hubschrauber hat vor allem Probleme mit seinen Triebwerken: 2014 musste ein Pilot auf dem Stützpunkt in Termes in Usbekistan notlanden, weil ein Triebwerk explodiert war. Eigentlich hat sich die Bundeswehr das Ziel gesetzt, dass 70 Prozent der zur Verfügung stehenden Bestandes für den täglichen Dienst nutzbar sein soll. Doch insbesondere bei ihren Fluggeräten verfehlt die Bundeswehr diesen Werte oft deutlich. Quelle: dpa
Flügellahmes FluggerätSo ist nur jeder vierte Schiffshubschrauber "Sea King" (siehe Foto) bereit für einen Einsatz. Beim Kampfhubschrauber Tiger liegt die Quote bei 26 Prozent, beim Transporthubschrauber CH53 immerhin schon bei 40 Prozent. „Die Lage der fliegenden Systeme bleibt unbefriedigend“, urteilt Generalinspekteur Volker Wieker in seinem aktuellen Bericht zum Zustand der Hauptwaffensysteme. 5,6 Milliarden Euro will die Bundeswehr in den nächsten zehn Jahren investieren, um den Zustand ihrer Ausrüstung zu verbessern. Quelle: dpa
Transportflugzeuge mit LieferschwierigkeitenUnd von den Transportflugzeugen "Transall" sind nur 57 Prozent bereit zum Abheben. Die teilweise über 40 Jahre alten Flugzeuge gelten als anfällig für technische Defekte. 2014 sorgte das für eine Blamage für die Bundeswehr im Irak, wo die Ausbilder der Bundeswehr kurdische Peschmerga-Kämpfer bei ihrem Kampf gegen den "Islamischen Staat" unterstützen sollten. Weil die Transall-Maschine streikte, konnten die Soldaten nicht zu ihrer Mission aufbrechen und mussten die Maschine wieder verlassen. Eigentlich sollen die Transall-Flugzeuge in den kommenden Jahren durch neue Airbus-Transportflugzeuge des Typs A400M ersetzt werden. 53 der Maschinen hat die Bundeswehr bestellt, doch die Auslieferung verzögert sich. Erst zwei Exemplare kann die Bundeswehr dieses Jahr im Empfang nehmen, die dazu nicht mal alle Funktionen haben: Fallschirmspringer zum Beispiel können die ausgelieferten Flugzeuge nicht absetzen. Airbus muss wegen der Probleme 13 Millionen Euro an den Bund zahlen. Quelle: dpa
Panzer mit BremsproblemenDie Bodenausrüstung findet sich zwar in besserem Zustand als die Flugsysteme der Bundeswehr. Aber auch hier gibt es Probleme, zum Beispiel beim Panzer "Puma". Aus Sicherheitsgründen musste die Höchstgeschwindigkeit für den Panzer von 70 km/h auf nur noch 50 km/h heruntergesetzt werden. Der Grund: Bei einer Geschwindigkeit von mehr als 50 km/h bremst der Panzer nicht mehr zuverlässig, der Bremsweg verdoppelt sich, wie das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBs) bei Tests herausfand. Die Probleme gab es wohl auch, weil die Bundeswehr erst spät in der Entwicklungsphase den Wunsch einbrachte, dass der Panzer bis zu 70 km/h schnell fahren sollte. Außerdem sollte der 1000 PS starke, bis zu 2000 Schuss pro Minute abfeuernde Panzer ohne Panzerung nur 31,5 Tonnen wiegen. Die Hersteller Krauss Maffei und Rheinmetall hatten Schwierigkeiten, die Auflagen zu erfüllen. Auch deshalb lieferten sie den Panzer erst in diesem Juni aus, ganze fünf Jahre später als geplant. Quelle: dpa
Das Skandal-GewehrDas Dauerthema bleibt jedoch das Pannengewehr G36: Das Sturmgewehr des Herstellers Heckler und Koch soll bei hohen Temperaturen nicht mehr präzise schießen, Verteidigungsministerin von der Leyen erklärte daraufhin, das Gewehr habe bei der Bundeswehr keine Zukunft. Rund 180 Euro hat die Bundeswehr für die insgesamt 178.000 Gewehre bezahlt. Die Aufklärung der Affäre bindet viele Kapazitäten im Ministerium: Insgesamt vier Kommissionen befassen sich mit dem Skandal. Ab 2019 soll ein neues Sturmgewehr das G36 ablösen. Quelle: dpa

Die militärische Ratio hegt das Geschehen ein – die Moralisierung des Krieges aber entfesselt ihn.

Nach dem militärischen Sinn oder Unsinn der Präsenz der Bundeswehr in Syrien fragt hierzulande kaum einer. Doch wenigstens die Funktionalisierung von Auschwitz blieb uns diesmal erspart. Der Öffentlichkeit genügt anscheinend die Forderung nach Solidarität mit Frankreich, das sich nach den jüngsten Terrorangriffen in Paris zur Wehr setzen müsse (als ob die Geschichte nicht auch die Erfahrung bereithielte, dass gutgemeinte Solidarität, etwa die des Deutschen Reichs mit k.u.k. Österreich im Jahre 1918, schon mal in die Katastrophe führen kann).

Die 7 Geldquellen des IS

Und so schickt Deutschland ohne große Anteilnahme seiner Bürger Gerät und Menschen in ein unübersichtliches Geschehen – und mich beschleicht das Gefühl, einer Operettenkostümprobe zuzusehen. Schon der französische Präsident Francois Hollande, eine lahme Ente, wie sie im Buch steht, versuchte sich wenig glaubhaft in der Rolle des großen Kriegsherrn, eine Inszenierung, die ihm die jüngsten Regionalwahlen gründlich verdarben, die ausgerechnet zwei Frauen vom Front National aufs Schild hoben.

Die deutsche Statistenrolle ist noch eine Drehung lächerlicher, obzwar das Land mehr als einen Grund hat, den Brand im Nahen Osten zu löschen zu wollen. Immerhin sieht es sich in der Pflicht, vor allem Flüchtlinge aus Syrien aufzunehmen, von denen man annimmt, dass sie vor Syriens Diktator Assad fliehen. Wen will man also in Syrien bekämpfen? IS? Assad? (Und warum tun das die vielen jungen Syrer nicht, die nun in Deutschland abwarten, wie sich die Dinge entwickeln?)

Das schlechte Gewissen ist ein schlechtes Argument

Wie auch immer: So sieht niemand aus, der die feste Absicht hat, wenigstens die Fanatiker der IS auszuschalten. Das ist den Terroristen nicht entgangen, die wissen, dass entschlossenes Handeln des Westens diesen „militärischen Zwerg“ (Michael Wolffsohn) in Windeseile von der Landkarte löschen könnte – wenn der Westen denn wollte. In den alternden Gesellschaften des Westens aber fehlen der Heroismus und die Leidenschaft dafür und nicht zuletzt fürchtet man Bilder von zivilen Opfern. Darauf beruht die zynische Kriegsführung aller Terroristen, die zivile Bevölkerung als Schutzschild benutzen: man führt den Westen als Angsthase und Schlappschwanz vor und amüsiert sich über eine Medienöffentlichkeit, die Teetrinken und Verhandeln vorschlägt. Hamas macht das seit Jahren vor.

Doch genau darauf käme es an: die gequälte syrische Zivilbevölkerung zu schützen – vor allen, natürlich auch vor Assad. Also: Entweder richtig oder gar nicht. Oder?

Der Kriegsforscher Herfried Münkler hält es für einen Fehler, dass sich Europa unter deutscher Führung „aus Altersmüdigkeit und Resignation“ nicht dafür entscheiden mag,  „gestaltend und energisch“ in die zerfallende Ordnung vor allem im Nahen Osten einzugreifen und dazu neigt, sich lieber mit den „alten Kräften“ zu verbünden, wenn es sich nicht gerade gleich aus der Verantwortung herauskaufen kann. „Die Rolle Europas in der Welt, sein Wohlstand und seine politische Ordnung werden sich in den kommenden Wochen und Monaten entscheiden. Diese Entscheidung wird Folgen bis weit ins 21. Jahrhundert hinein haben.“

Frankreich und der Terror

Es steht zu befürchten, dass er recht hat. Doch die Geschichte militärischer Interventionen macht wenig Hoffnung. Von Vietnam bis Afghanistan gibt es zahllose Beispiele dafür, dass es auch beim Einsatz höchster militärischer Mittel einer Weltmacht misslingen kann, einen Bürgerkrieg zu befrieden.

Es gibt nicht nur schlechte Gründe, warum „der Westen“ das lieber Assad überlassen möchte. Syrien ist unter Assad nach den Regeln der Vereinten Nationen ein souveräner Staat, das Völkerrecht verbietet jede militärische Unterstützung bewaffneter Aufstände in fremden Ländern. Vor allem aber: Ein militärisch von außen erzwungener Frieden – gegen wen? Mit wem? - hält nicht lange.

Und nicht zuletzt sollte man zugunsten der deutschen Soldaten die schlichte Frage beantworten: was ist die Exitstrategie? Oder gibt es hierzulande bei jenen, die die Bundeswehr entsenden, nämlich im Parlament, keine militärischen Argumente mehr, sondern nur noch das Bedürfnis, kein schlechtes Gewissen zu haben und sich gut zu fühlen – „wir tun was“?

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