2015 war ein furchtbares, ein schreckliches Jahr: Krieg in Syrien, Erdbeben in Nepal, Überschwemmungen in England, „Flüchtlings“-Krise in Deutschland, Terrorattacken in Paris und Israel. Grund genug für finsterste Gedanken. Insbesondere in Deutschland, in dem man sich wieder einmal der Vollbeschäftigung nähert, glaubt man, das eigene Glück nicht verdient zu haben: mindestens am Klimawandel, raunen die Auguren, gehen wir alle zugrunde, wenn uns auch anderes womöglich erspart bleibt.
Was soll uns da der Rat, doch mal ans Positive zu denken?
Versuchen wir es, jetzt erst recht. Denn tatsächlich wird nicht alles immer schlimmer. Ganz im Gegenteil, sogar: auch dieses Jahr ist die Armutsrate der Weltbevölkerung wieder gesunken – von 12,8 Prozent im Jahr 2012 auf 9,6 Prozent 2015. Auch die Zahl der chronisch Unterernährten hat dramatisch abgenommen, trotz wachsender Bevölkerung. Über sauberes Trinkwasser verfügen heute mit 91Prozent mehr Menschen denn je – was allerdings nichts mit dem deutschen Wassersparwahn zu tun hat. Armut betrifft noch immer 702 Millionen Menschen, aber es ist der geringste Prozentsatz seit 200 Jahren, liest man im britischen Independent.
Krankheiten wie Malaria, Aids und Ebola können mittlerweile erfolgreich bekämpft werden, Kinderlähmung ist so gut wie ausgerottet, die Kindersterblichkeit sinkt immer weiter – ebenso die weltweite Fruchtbarkeitsrate, und das bedeutet, dass weniger Frauen durch Schwangerschaft oder Geburt sterben. Die Lebenserwartung ist fast überall gestiegen – und obzwar die täglichen Schlagzeilen uns anderes vermuten lässt: immer weniger Menschen sterben durch zivile Gewaltverbrechen. Wohl genau deshalb wächst unsere Erschütterung über jeden einzelnen Fall. Unsere Vorfahren noch vor zweihundert Jahren waren weit abgehärteter.
Selbst dem, was uns evident erscheint, nämlich der Zunahme der Opfer von Krieg und Bürgerkrieg, widerspricht die Statistik: Die Zeit seit dem Zweiten Weltkrieg ist trotz zahlreicher bewaffneter Auseinandersetzungen die friedlichste, die die Menschheit wohl je erlebt hat. Selbst im 20. Jahrhundert starben trotz der Weltkriege nur 3 Prozent im und am Krieg. Der kanadische Evolutionspsychologe Steven Pinker behauptet: „Gewalt ist im Laufe der Geschichte immer weiter zurückgegangen. Und zwar alle möglichen Formen der Gewalt: Kriege, Morde, Folter, Hinrichtungen, Vergewaltigungen, häusliche Gewalt. Diese Dinge gibt es natürlich noch immer. Aber wir dürften heute in der friedlichsten Epoche leben, seit unsere Spezies existiert.“
Er ist mit dieser These nicht gerade auf wohlwollende Zustimmung gestoßen. Solche Statistik steht gegen alles, was wir zu sehen und zu erleben glauben, insbesondere in Deutschland: Krieg und Bürgerkrieg in anderen Ländern rücken näher, religiöser und kultureller Zwist reist mit Migranten ins Land ein, die ihre Konflikte mitbringen. Wir schicken wieder Soldaten in andere Länder, unsere Nachbarn trauen unseren guten Absichten nicht, kurz: unsere stabile Nachkriegsidylle scheint zu erodieren. Das Europa der Europäischen Union, das doch Frieden garantieren sollte, lässt im Gegenteil nationalstaatlichen Egoismus neu erblühen, selbst Deutschland, dessen Regierende schon die deutsche Flagge als Ausdruck nationalistischen Wahns empfinden, geht (etwa bei Flüchtlingspolitik und Energie“wende“) seine Sonderwege.
Arabellion führte nicht zu Demokratie und Stabilität
Wir trauen unseren Empfindungen mehr als den „kalten Zahlen“ irgendeiner Statistik. Und das ist noch nicht einmal völlig falsch. Denn alles, auch die guten Nachrichten, hat seine Kehrseite.
Was war das für ein Glück, als der eiserne Vorhang fiel und der eisige Frieden des kalten Krieges in einen warmen Luftstrom geriet! Das Offene zog indes neue Fröste der Freiheit nach sich: die Sowjetunion hatte verklammert, was nun mit Gewalt auseinanderstrebte. Jugoslawien brach entzwei, aus dem Chaos entstanden Nationalstaaten, von den meisten als möglichst ethnisch rein gewünscht.
Die Westdeutschen, die bislang in einer von anderen geschützten weltpolitischen Nische friedlich an ihrem Wohlstand gearbeitet hatten, mussten begreifen, dass „Nie wieder Krieg“ keine Parole war, die die Friedhofsruhe des kalten Krieges überdauerte. Als Saddam Hussein 1991 militärisch daran gehindert werden sollte, mit seiner Annexion von Kuweit völkerrechtswidrig Staatsgrenzen zu verändern, glaubte sich eine panische Friedensbewegung am Vorabend des Dritten Weltkriegs. Man hatte noch nicht begriffen, dass der Wegfall der eisernen Klammer begrenzte bewaffnete Konflikte wieder ermöglicht hatte.
Dass Gutes wie Gutgemeintes nicht immer Gutes bewirkt, gehört seither zur Naherfahrung: der Sturz Saddam Husseins, ein paar Kriege später, entfernte wieder eine Klammer, die gewaltsam das Auseinanderstrebende zusammengehalten hatte. Die im Westen in Verkennung der Unterschiede begeistert begrüßte „Arabellion“ führte nicht zu Demokratie und Stabilität, „Menschenrechtsinterventionen“ wie die gegen das Regime von Libyens Gaddafi hatten lediglich Destabilisierung und Bürgerkrieg zur Folge. Wenn es gut geht, wird sich der Nahe Osten ähnlich wie Ex-Jugoslawien neu ordnen und das Chaos aus Unterdrückung und Bürgerkrieg hinter sich lassen können, das seine Wurzeln in der kurzsichtigen und nur auf die eigenen Interessen orientierten britischen und französischen Mandatspolitik nach dem Ersten Weltkrieg und der Auflösung des Osmanischen Reichs hat. Doch das wird länger dauern und womöglich blutiger sein.
So viel Geld bekommen Flüchtlinge in den europäischen Ländern
800 Euro zahlt das Land im Monat pro Flüchtling. Die Summe muss allerdings versteuert werden.
Quelle: EU-Kommission / Frontex, Stand: 18. September 2015
Die Spanne, die der Inselstaat für einen Asylbewerber zahlt, liegt zwischen 85 und 452 Euro pro Monat.
400 Euro pro Flüchtling / Monat.
352 Euro pro Flüchtling / Monat.
330,30 Euro pro Flüchtling / Monat.
zwischen 85 und 290 Euro pro Flüchtling / Monat.
zwischen 176 und 276 Euro pro Flüchtling / Monat.
232 Euro pro Flüchtling / Monat.
225 Euro pro Flüchtling / Monat.
187 Euro pro Flüchtling / Monat.
177 Euro pro Flüchtling / Monat.
66 Euro pro Flüchtling / Monat.
33,23 Euro pro Flüchtling / Monat.
20 Euro pro Flüchtling / Monat.
18 Euro pro Flüchtling / Monat.
12 Euro pro Flüchtling / Monat.
0 Euro pro Flüchtling / Monat.
Auch die massenhafte Migration, die insbesondere das beschauliche, (noch) wohlgeordnete und wohlhabende Deutschland zum Ziel hat, ist nicht, wie wir es hierzulande gern sehen, einzig und allein die menschlich verständliche Reaktion auf Krieg, Armut und Leid. Insbesondere die Einwanderer der ersten großen Welle hatten und haben immerhin genug Geld, um die Menschenschmuggler zu bezahlen, die an ihrem üblen Geschäft Unsummen verdient haben. Sie sind gekommen, weil sie, anders als die völlig Verelendeten, bereits imstande sind, mehr als das bloß Notwendige vom Leben zu erwarten. Sie wollen ein besseres Leben.
Nein, es gibt keinen Grund, die Fortschritte zu bezweifeln, die die Menschheit insgesamt gemacht hat. Wir sollten uns höchstens die Naivität verkneifen, daraus auf künftige stabile paradiesische Zustände zu schließen. Fortschritt erzeugt Unruhe und Bewegung. Und wir Europäer liegen nicht ganz falsch mit unserer Ahnung, dass wir diesmal nicht die hauptsächlichen Nutznießer dieser Veränderungen sein werden.