"Aus dem Nichts heraus ein perfektes Steuersystem zu designen, wird nicht funktionieren. Politik funktioniert anders. Es gibt zu viele Einzelinteressen. Um für mehr Steuergerechtigkeit zu sorgen, muss man schrittweise vorgehen", sagt Thomas Rixen, Politikwissenschaftler und Ökonom an der Universität Bamberg. Zuvorderst stehe die Frage, was ein Staat überhaupt leisten soll.
Soll sich der Staat aus dem Leben der Bürger größtmöglich heraushalten, lediglich für die Sicherheit seiner Bürger sorgen und Polizei und Streitkräfte stellen? Oder ist es Aufgabe des Staates, Kindergärten, Universitäten, Krankenhäuser und Autobahnen zu unterhalten?
"Nur in einem gefestigten System können Märkte funktionieren"
"Wer wie Paul Ryan in den USA vor dem Hintergrund der enormen Schuldenlast weitere Steuersenkungen befürwortet, muss glauben, dass ein Staat vollkommen verzichtbar ist. Empirisch spricht nichts dafür, dass die Ryan-Pläne zu einer besseren Haushaltslage führen werden", sagt Rixen. "Das scheint mir reine Ideologie zu sein."
Der 37-Jährige beteuert, er sei kein Staatsfreund. In vielen Bereichen könnte etwa die Bundesregierung deutlich besser mit dem Steuergeld umgehen. "Aber ich glaube, dass man einen funktionstüchtigen und starken Staat braucht. Nur in einem gefestigten System können Märkte funktionieren und sind hohe Einkommen möglich", so Rixen, dessen Forschungsfeld die Vergleichende und Internationale Politische Ökonomie ist.
Deutschland hat im ersten Halbjahr 2012 Staatseinnahmen in Höhe von 588 Milliarden Euro verbucht. Wichtigste Einnahmequelle waren die Lohn-, Körperschafts- und Umsatzsteuer. Sie spülten alleine 309 Milliarden Euro in die Kassen des Bundes.
Wie das deutsche Steuersystem aufgebaut ist
Im vergangenen Jahr hat die Bundesrepublik insgesamt 573,4 Milliarden Euro an Steuern eingenommen. 2010 waren es noch 8,1 Prozent beziehungsweise 42,8 Milliarden Euro weniger. Grund dafür ist die Konjunkturerholung im letzten Jahr: Je besser es der Wirtschaft geht, desto mehr landet in der Staatskasse. Nach der Steuerverteilung blieben dem Bund 248 Milliarden Euro Steuereinnahmen, den Ländern 224,3 Milliarden Euro und den Gemeinden 76,6 Milliarden Euro. An die Europäische Union wurden von den Steuereinnahmen 24,5 Milliarden Euro abgeführt.
Der Bund verdiente im Jahr 2011 am meisten mit der Energiesteuer: 40 Milliarden Euro spülte diese in den Bundeshaushalt. Die Bundesländer bestritten den größten Teil ihrer Einnahmen mit der Grunderwerbssteuer in Höhe von 6,4 Milliarden. Die Gemeinden verdienten am meisten mit der Gewerbesteuer. Diese hatte 2011 einen Anteil 40,4 Milliarden Euro ausgemacht.
Den größten Teil der gesamten Steuereinnahmen Deutschlands 2011 machten die sogenannten Gemeinschaftsteuern in Höhe von 403,6 Milliarden Euro aus. Zu diesen Gemeinschaftsteuern trugen die Umsatzsteuer (einschließlich Einfuhrumsatzsteuer) mit 190 Milliarden Euro und die Lohnsteuer mit 139,7 Milliarden Euro den größten Teil bei.
Die Abgabenquote ist der Anteil der Steuern und Sozialabgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Prozent. Im vergangenen Jahr beispielsweise machten Steuern und Sozialausgaben 38,2 Prozent des BIPs aus, die Abgabenquote betrug also 38,2 Prozent (Quelle: Bundesministerium der Finanzen, BMF)
Entscheidend ist allerdings die Berechnung der Quote: Zwischen den einzelnen Ergebnissen für die Abgabenquote Deutschlands liegen, je nachdem, ob sie vom BMF, dem Bundesamt für Statistik oder der OECD kommen, bis zu zweit Prozent Unterschied.
Fast überall auf der Welt gibt es direkte und indirekte Steuern. Direkte Steuern zahlt der sogenannte Steuerschuldner direkt an die jeweilige Institution, der er die Steuern schuldet. Zu den direkten Steuern gehören beispielsweise die Einkommenssteuer, die Abgeltungssteuer und die Kfz-Steuer.
Die indirekten Steuern zahlt nicht der, der sie schuldet, sie werden statt dessen übertragen. Zu den indirekten Steuern gehören beispielsweise die Tabaksteuer, die Branntwein- oder die Biersteuer. Statt des Unternehmens, das das Bier produziert, zahlt derjenige die Steuer, der das Bier kauft. Die indirekte Steuer wird also auf den Preis des Produktes aufgeschlagen und somit auf den Kunden abgewälzt.
Die Einkommensteuer ist eine der wichtigsten Einnahmequellen eines Staates - und zwar weltweit. Nur die Höhe der Steuern, die natürliche Personen auf ihr Einkommen zahlen müssen, ist von Land zu verschieden.
Die Abgeltungssteuer ist relativ neu und wird auf Kapitalerträge - also Einkünfte aus Zinsen und Dividenden - erhoben. Sie gilt deshalb als eine Form der Einkommenssteuer. Seit dem Jahr 2009 müssen Kapitalerträge immer mit 25 Prozent besteuert werden. Allerdings gibt es eine Freigrenze, den sogenannten Sparer-Pauschbetrag. Dieser liegt bei Alleinstehenden bei 801 Euro und bei Ehepaaren bei 1602 Euro. Das heißt, dass ein Ehepaar, das mehr als 1602 Euro an Kapitalvermögen hat, für den darüber hinausgehenden Betrag 25 Prozent Steuern zahlen muss. Singles, die beispielsweise 1000 Euro an Zinsen und Dividenden im Monat bekommen, versteuern also 199 Euro zu 25 Prozent.
Trotz Gehaltserhöhung bleibt am Ende weniger vom Lohn übrig? Das geht ganz ohne Geld verprassen: Die kalte Progression kann dafür sorgen, dass der Reallohn sinkt. Wenn die Gehaltserhöhung bloß zum Inflationsausgleich führt - wer bei einer Inflationsrate von zwei Prozent also nur zwei Prozent mehr Lohn bekommt - und der Einkommenssteuersatz nicht angepasst wird, sinkt das Realeinkommen.
Wie hoch der Beitrag des einzelnen Bundesbürgers ist, liegt an der Höhe seines Einkommens. Bei der Festlegung der Lohn- oder auch Einkommenssteuer gilt seit über 120 Jahren: Je mehr Geld ein Mensch verdient, desto größer ist der Anteil, den er davon an den Staat abtreten muss. Das gilt allerdings nur für die Einkommenssteuer. Zusätzliche Einkünfte, etwa Dividenden-Erlöse und Zinsen werden über die Abgeltungssteuer abgerechnet. Sie liegt bei 25 Prozent.
"Eine Abgeltungssteuer auf Zinsen von 25 Prozent – eine Einkommensquelle, über die hauptsächlich Besserverdienende verfügen – ist eine krasse Bevorzugung der Wohlhabenden. Die rot-grüne Bundesregierung von Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder hat mit der Steuerreform 2000 das Tor aufgemacht zu einer unterschiedlichen Besteuerung verschiedener Einkommen. Damit verletzt man die horizontale Steuergerechtigkeit, die Gleichbehandlung gleicher Einkommen erfordert", sagt Scherf.