Steueroasen Liechtenstein sucht nach neuen Einnahmequellen

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Schloss Vaduz

Das Fürstenhaus, kein Zweifel, ist ein wichtiger Imagefaktor des Landes, womöglich der Kern seiner Identität. Dabei interessierte sich die aus Österreich stammende Fürstenfamilie lange Zeit nicht für das kleine Bauernland, das sie um 1700 erworben hatte, um den Titel eines Reichsfürsten führen und Stimmrecht im Reichsfürstenrat ausüben zu können. Erst spät, gegen Mitte des 19. Jahrhunderts, betrat ein liechtensteinischer Fürst liechtensteinischen Boden. Da war das Land schon souverän, aber immer noch arm. Die Menschen lebten von Ackerbau und Viehzucht und verdingten sich als Saisonarbeiter jenseits der Grenzen.

Bis in den Zwanzigerjahren findige Juristen darauf kamen, man könne mit einem freundlichen Steuer- und Gesellschaftsrecht Geld und Wohlstand nach Liechtenstein locken. Der ferne Fürst erinnerte sich, dass er noch einen Wohnsitz hatte in dem kleinen Land hinter den Bergen, bezog 1938 mit seiner Familie das Schloss über dem Rheintal und sah mit Wohlgefallen, wie Industrie und Gewerbe nach dem Zweiten Weltkrieg blühten und gediehen. Vor allem: wie immer mehr Geld ins Land floss und aus dem armen Bauernland ein reiches Bankerland wurde, ein Hort des Wohlstands – und ein beliebter Zwischenstopp für Nostalgiker, die ein bisschen Monarchie erleben wollen.

Bauernhöfe sind dem Aufschwung gewichen

Bislang kommen 4000 Busse zwischen Ostern und Oktober nach Liechtenstein. Die meisten Gruppen sind auf Durchreise, um einen Blick auf das Schloss zu werfen, das wie ein Relikt des Heiligen Römischen Reichs hoch über dem „Ländle“ thront. Das Fürstenhaus, eine der ältesten und reichsten Adelsfamilien Europas, steht, wie Martin Meyer sagt, „für das Beständige und Bewahrende“, für „Werte, die in einer Zeit des Wandels an Bedeutung gewinnen“.

Wenn es mehr Busse und Besucher würden, bekämen deren Insassen zu sehen, dass Traditionssinn die Liechtensteiner nicht daran gehindert hat, ihre überkommene dörfliche Baukultur weitgehend zu zerstören. Ältere Landesbürger können sich noch an die Bauernhöfe im Tal erinnern. Sie sind dem wirtschaftlichen Aufschwung gewichen. Der Besucher kann in den Zentren von Schaan oder Vaduz im Kleinformat das ganze Spektrum moderner Fassadengestaltung und in Gemeinden wie Triesenberg die Folgen eines ungezügelten Baubooms besichtigen, vor allem die Zersiedelung der Landschaft. Historische Dorfensembles, aber auch repräsentative Bürgerhäuser sucht er vergebens.

Mühen der Ebene

Der städtische Bürgerstolz hat sich erst spät seine Denkmäler geschaffen, zum Beispiel im Kunstmuseum, einem schwarz schimmernden Kubus, der zurzeit, in schönem Kontrast zur glanzvollen fürstlichen Kunstsammlung, eine Ausstellung von Arte Povera zeigt, „arme“ Kunst, die mit einfachen Materialien wie Holz oder Kohle spielt. Etwa 30.000 Besucher im Jahr zählt das Museum. Fast so viele, wie das Land Einwohner hat: 35.800.

Wer die Schönheit des Landes entdecken will, wird nur oberhalb des Tals fündig: etwa auf dem Fürstensteig, einem Wanderweg, der sich an den Flanken des 1942 Meter hohen Alpspitz zum Gafleisattel windet, wo der Blick, bei gutem Wetter, bis zum Bodensee geht. Oder er fährt mit dem Auto hinauf ins Gebirge, passiert das Walserdorf Steg mit seinem Kranz von Holzhäusern und parkt am Eingang des Wintersportorts Malbun.

Das Dorf hat drei Skilifte, vier Hotels und 33 Einwohner. Einer von ihnen ist der Falkner Norman Vögeli. Auf seinen „Steinadler-Wanderungen“ hinunter ins Tal lässt er seinen Adler fliegen – ein herrlicher Anblick, wie er am Himmel kreist, getragen allein von der Thermik. Wenn sie schwindet, sinkt der prächtige Vogel langsam zu Boden – und watschelt wie eine Ente über die Wiese. Der Anblick erinnert von fern an das Fürstentum. Nach den Höhenflügen beginnen die Mühen der Ebene. n

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