Stichwahl gegen Macron Was Le Pens Stimmrekord für Frankreich bedeutet

Es ist eine Wahl mit Signalwirkung: Nie zuvor stimmten so viele Franzosen für die rechtsextreme Front National. Dieses Ergebnis bietet viel Raum für Spekulation. Es zeigt aber vor allem: Frankreich ist gespalten.

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7,6 Millionen Franzosen stimmten für Le Pen, so viele wie nie zuvor in der Geschichte der rechtsextremen Partei. Die Europäer hoffen auf Emmanuel Macron. Quelle: AFP

Hénin-Beaumont Für ein paar Tage waren sie wieder alle hier. Wegen ihr. Mitten in der „Provinz“, wie man die Gebiete jenseits der französischen Hauptstadtregion in Paris schon mal nennt. Journalisten und Anhänger sind der Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen ins nordfranzösische Hénin-Beaumont gefolgt. Ihren Einzug in die Stichwahl feiert die Rechtspopulistin vor der Kulisse der Abraumhalden der ehemaligen Bergarbeiterstadt im Pas-de-Calais, weit weg von der glitzernden Hauptstadt. Der Ort ist das Symbol für eine Hälfte eines gespaltenen Landes.

46,5 Prozent hat die EU-Gegnerin hier geholt. Dreimal so viel wie der sozialliberale Kandidat Emmanuel Macron, auf den die Pro-Europäer ihre Hoffnungen setzen. Die einst florierende Industrieregion ächzt unter hoher Arbeitslosigkeit. Auf Frankreich-Karten mit den Wahlergebnissen liegt Hénin-Beaumont am oberen Rand eines Halbmonds, der sich vom Norden des Landes über den Osten bis an die Mittelmeerküste zieht: Le-Pen-Land, wo ihre rechtsextreme Front National (FN) seit Jahren gute Wahlergebnisse einfährt.

„Wir denken, dass wir diese Orte an den Stadträndern ansprechen müssen“, sagt Steeve Briois, ein Vertrauter Le Pens und seit 2014 Bürgermeister von Hénin-Beaumont. „Dieses Frankreich der Vergessenen. (...) Es geht darum, nah am Volk zu sein und nicht bei der Elite.“ Geschlossene Läden, aufgegebene Bars und Cafés prägen das Stadtbild. Die Arbeitslosigkeit ist fast doppelt so hoch wie im Landesschnitt.

Diesmal stimmten 7,6 Millionen Franzosen für Le Pen, so viele wie nie zuvor in der Geschichte der rechtsextremen Partei. Es gibt zwei Sichtweisen auf dieses Ergebnis. Die Stoßseufzer-Variante: Macron lag im ersten Wahlgang vorn und dürfte die Stichwahl aller Wahrscheinlichkeit nach mit großer Mehrheit gewinnen. Hat Le Pen mit gut 21 Prozent nicht sogar einen Dämpfer bekommen, nachdem sie lange um die 26 Prozent gehandelt wurde?

Und die unheilvolle Variante: Die 48-Jährige hat es geschafft, die Front National noch ein Stück akzeptabler zu machen. Und das, obwohl ihr Wahlkampf über Wochen eher dahinschlich und nicht so richtig in Fahrt kam. Schock mit Ansage: „Das politische Leben Frankreichs hat sich seit zwei Jahren rund um diese Gewissheit strukturiert, dass die FN-Vorsitzende einen der zwei begehrten Plätze (in der Stichwahl am 7. Mai) bekommt“, resümiert die Zeitung „Le Monde“. Le Pens Erfolg sei „vorhersehbar und radikal, erwartet und dennoch überraschend“. Ganz anders als 2002, als der Einzug von Le Pens Vater Jean-Marie Le Pen in die Stichwahl alle überraschte.

Ihre Front National erreicht Wähler, die sich von den etablierten Parteien abgewendet haben – und denen der bei Großstädtern beliebte Startup-Fan Macron kaum Anknüpfungspunkte bietet. Die neue Arbeiterpartei in Frankreich sei die Front National, sagt der Politikwissenschaftler Henrik Uterwedde vom Deutsch-Französischen Institut in Ludwigsburg. „Deren Wählerschaft ist eindeutig schlechter gebildet, es sind oft Arbeiter, viele Arbeitslose.“


Le Pen punktet bei Arbeitern

Laut einer Umfrage des Instituts Ipsos kurz vor dem ersten Wahlgang kommt Le Pen bei Arbeitern auf 37 Prozent – mehr als doppelt so viel wie Macron und immer noch 13 Punkte mehr als der klassenkämpferisch auftretende Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon.

Letztlich könnte diese Präsidentenwahl selbst bei der Niederlage in der Stichwahl ein weiterer Schritt zur Banalisierung von Le Pens Partei in den Augen vieler Wähler sein – und anschließend zu einem Erfolg bei den Parlamentswahlen im Juni führen. Erstmals seit Jahrzehnten könnte die Front National nach Einschätzung von Experten eine Fraktion in der Nationalversammlung bilden. Das würde den Spielraum der Partei nochmal ausweiten. Bislang hatte das französische Mehrheitswahlrecht das verhindert, derzeit sind nur zwei FN-ler Abgeordnete – zu wenige für eine Fraktion.

Hénin-Beaumont jedenfalls wird wohl noch häufiger die Reporter-Schwaden empfangen müssen. „Ich habe es satt“, sagt Kellner Dino vom Café am Kirchplatz. Seit ein paar Jahren kämen sie wegen Le Pen bei jeder Wahl. Journalisten aus allen möglichen Ländern habe er schon Interviews gegeben, sagt der 70-Jährige.

Der Andrang der Le-Pen-Anhänger bei ihrer Wahlparty am Sonntagabend war dagegen eher verhalten. Selbst als die Kandidatin ans Rednerpult trat, wollte der Saal nicht richtig voll werden. Ein paar tanzten zwar noch im blau-roten Scheinwerferlicht Polonaise und schwenkten ihre Fahnen. Die selbst ernannte „Kandidatin des Volkes“ hatte die Bühne da aber längst verlassen. Wenig später rauschte sie eskortiert von ihrer Sicherheitsgarde davon.

Der Auftritt hatte nur wenige Minuten gedauert. Mit den bekannten Parolen beschwor sie ihre Anhängerschaft. Nichts weniger als das Überleben Frankreichs stehe auf dem Spiel. Sie schlage den „großen Wechsel“ vor. Der Wahlkampf geht direkt weiter.

Dino hat seine Stimme gar nicht erst abgegeben. „Ich wähle schon seit Jahren nicht mehr“, sagt er. Ob ein rechter oder ein linker Präsident – an der Arbeitslosigkeit ändere sich sowieso nichts.

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