Streiks in Frankreich eskalieren Feuer und Flamme gegen den französischen Staat

Ein solcher Streik wäre in Deutschland illegal: Linke Gewerkschaften versuchen, Frankreich von der Kraftstoffzufuhr abzuschneiden. Die Regierung soll ein Gesetz zurücknehmen – bleibt aber hart. Die Proteste eskalieren.

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Die französischen Gewerkschaften setzen nicht nur auf friedliche Proteste. Quelle: Reuters

Paris Frankreichs Autofahrer werden zu Geiseln eines Kampfes zwischen zwei Gegnern, die sich nichts schenken wollen: Die linken Gewerkschaften CGT und Force Ouvrière versuchen, die Tankstellen des Landes von der Kraftstoffzufuhr abzuschneiden und damit Regierung und Parlament zur Rücknahme des Arbeitsgesetzes zu zwingen. Vor vielen Treibstoffdepots und Raffinerien steigt dicker schwarzer Rauch auf. Blockaden aus Paletten und Reifen brennen – alles ist gut, um die Zufahrt zu Raffinerien und Depots zu versperren.

In der Normandie, an der Loire und in der Bretagne ist der Treibstoff schon so knapp geworden, dass zahlreiche Tankstellen geschlossen haben. Total gab an, dass mehr als ein Viertel aller 2200 Stationen im Land stillgelegt wurde. Für den Montag hatte Premier Manuel Valls eine Entspannung der Lage versprochen. Stattdessen berichteten Autofahrer wie auch Total selbst am Montag erstmals auch im Großraum Paris von trocken gelaufenen Tankstellen. Fünf von acht Raffinerien in unserem Nachbarland werden entweder bestreikt oder blockiert, so dass sie nicht mit Rohöl versorgt werden können, arbeitswillige Beschäftigte nicht hineinkommen – und Kraftstoff nicht heraus.

Die Produktion muss dann eingeschränkt wird, auch wenn die Anlage selbst nicht bestreikt wird. Ist eine Raffinerie erst einmal stillgelegt, dauert es mehrere Tage, bis die Produktion wieder hochgefahren ist. Die beiden Gewerkschaften, allen voran die den Kommunisten nahe stehende CGT, stehen nicht etwa in einer Tarifauseinandersetzung. Ihnen geht es allein um das neue Arbeitsgesetz, das bereits in erster Lesung in der Nationalversammlung verabschiedet wurde.

Es handelt sich also um einen politischen Streik, der in Deutschland nicht zulässig wäre, in Frankreich aber häufiger vorkommt. „Die Regierung verhandelt nicht mit uns darüber, es gibt keinen Dialog, also bleibt uns keine andere Wahl als die Blockade“, sagt ein Gewerkschaftsfunktionär im Fernsehen. Die CGT ist bestenfalls eine Splittergewerkschaft, die maximal drei Prozent der französischen Arbeitnehmer vertritt. In den Sozialwahlen verliert sie von Jahr zu Jahr an Einfluss.

In der Petro-Branche hat sie aber bei den Wahlen am besten abgeschnitten. Die Funktionäre sind äußerst eigenwillig: Als eine von ganz wenigen westlichen Gewerkschaften haben sie sich dem früher von Moskau gesteuerten Weltgewerkschaftsbund angeschlossen. Der neue Vorsitzende der CGT, der wenig charismatische Philippe Martinez, kam nach einem Skandal um seinen Vorgänger Thierry Le Paon an die Führung. Der hatte für mehr als 100.000 Euro seine Wohnung renovieren und ein neues Edelholzfurnier im Büro anbringen lassen – auf Gewerkschaftskosten. Die Informationen wurden von „Gewerkschaftsfreunden“ an die Medien durchgestochen.

Martinez ließ sich vor der Wahl einen Schnurrbart wachsen, um irgendwie kerniger auszusehen. Seit er die CGT führt, hat er jeden Ansatz einer pragmatischen Politik abgebrochen. Den Kampf gegen das Arbeitsgesetz sieht er als Chance, den langfristigen Niedergang seiner Organisation und den Aufstieg der gemäßigten CFDT bremsen zu können. Martinez und die CGT kämpfen also mit sehr hohem Einsatz.

Doch die Regierung will nicht nachgeben: „Wir gehen nicht in die Knie, wir bleiben hart“, sagte ein enger Mitarbeiter des Staatspräsidenten. Die offizielle Linie ist: Der Streik ist legal, die Blockaden sind es nicht. Mehrere Barrikaden vor Treibstoffdepots hat die kasernierte Polizei (CRS) in den vergangenen Tagen aufgehoben. Doch das hat nicht ausgereicht, um die leeren Tanks vieler Tankstellen wieder auffüllen zu können. In Städten wie Nantes und Vannes in der Bretagne mussten Autofahrer lange suchen, um noch eine Zapfsäule zu finden, die in Betrieb ist.


Regierung und Gewerkschaften – beide sind unpopulär

Die Regierung schlägt zwar einen entschiedenen Ton an. Doch gleichzeitig redet sie die Lage schön: Es gebe keine Versorgungsprobleme, heißt es, die Medien sollten verantwortungsvoller berichten und die Autofahrer nicht beunruhigen. Die allerdings müssen nicht von den Medien auf die Bäume getrieben werden. Die zeitraubende Suche nach einem Zapfhahn, aus dem noch ein paar Liter Treibstoff tropfen, regt sie zur Genüge auf.

Die CGT ist trotz des zunehmenden Unwillens der Franzosen wegen der gesperrten Tankstellen weit davon entfernt, einzulenken. Im Gegenteil: Am Montagnachmittag hat sie angekündigt, vom 2. Juni an zu einem unbefristeten Streik bei den Pariser Verkehrsbetrieben (RATP) aufzurufen. Die befördern täglich mehr als acht Millionen Menschen. Ein echter Streik würde den Verkehr ins Chaos stürzen und zumindest Teile der Verwaltung und der Unternehmen in Paris und seiner Banlieue erheblich behindern – und das knapp vor der Fußball-EM.

Allerdings waren die jüngsten Streiks, zu denen die CGT bei der Bahngesellschaft SNCF aufgerufen hat, kein großer Erfolg: Zuletzt beteiligten sich nur noch zehn Prozent der Mitarbeiter daran. Auch hier versuchen die Radikalen teilweise, Masse durch Militanz zu ersetzen, etwa indem sie Stellwerke angreifen und zu besetzen drohen.

Insgesamt ist die politische Lage wackelig, Nervosität macht sich breit. Die CGT ist unpopulär, das Arbeitsgesetz ist es allerdings auch, obwohl es zahlreiche Fortschritte für die Arbeitnehmer bringt. Und Präsident Hollande ist so unbeliebt, dass Proteste gegen seine Politik mit einer gewissen Sympathie verfolgt werden.

Andererseits stößt die Radikalisierung der Proteste viele Franzosen ab. Der Angriff auf zwei junge Polizeibeamte, deren Auto angesteckt wurde, als sie noch darin saßen, hat viele Menschen empört. Im Augenblick weiß niemand zu sagen, in welche Richtung die Stimmung kippt, auch wenn viel dagegen spricht, dass die CGT Erfolg hat.

Wegen der heiklen Lage verhandelt die Regierung erneut mit Kritikern des Arbeitsgesetzes im Parlament über weitere Nachbesserungen. Eigentlich hat sie das nicht nötig, denn sie hat das Gesetz mit der Brechstange durchgesetzt, mit Hilfe eines Verfassungsartikels, der den Verzicht auf eine Abstimmung ermöglicht. Doch das letzte, was Hollande riskieren will, ist ein großer Arbeitskampf gegen Ende seiner Amtszeit.

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