Streit um Bundeswehr-Standort Incirlik Wie man ein militärisches Geschwader im Ausland betreibt

Jordanien gilt als möglicher Alternativ-Standort für die im türkischen Incirlik stationierten Soldaten. Wäre ein Umzug überhaupt so einfach möglich? Was spricht für Jordanien, was dagegen? Ein Gastbeitrag.

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Der Standort befindet sich auf dem Territorium eines Nato-Mitgliedsstaates und ist durch die Türkei gut geschützt. Quelle: dpa

Berlin Viel wurde in den vergangenen Tagen über die politische Dimension einer Verlegung des deutschen Geschwaders im türkischen Incirlik berichtet. Da die Türkei wiederholt Bundestagsabgeordneten den Besuch bei den Soldaten vor Ort untersagt hat, denkt die Bundesregierung über einen neuen Standort in Jordanien nach. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen ist am Wochenende vor Ort.

Dabei geht es neben der Politik auch um Planung. Wenn die gut gemacht ist, wäre ein Betrieb auch von Jordanien aus möglich.

Möchte eine Regierung ein militärisches Geschwader im Ausland betreiben, stellt sie die eigenen Streitkräfte vor eine echte Herausforderung. Insbesondere in vier Bereichen sind mehrere Faktoren zu bedenken:

Geographie:
Die geographische Lage eines Militärflugplatzes ist eine wesentliche Voraussetzung für dessen Qualität. Wie lange dauert es, um von dort in den Einsatzraum zu gelangen? Welche Gebiete werden dabei überflogen, und welcher Bedrohung sind die eigenen Flugzeuge dadurch ausgesetzt? Wie gut kann die Basis auf dem See- und Landweg erreicht werden, und befinden sich größere Städte in der Nähe, aus denen heraus logistisch unterstützt werden kann?

In all diesen Punkten sind die drei in Jordanien erkundeten Basen gegenüber Incirlik im Nachteil. Die zwei nördlichen, die „Muwaffaq Salti“- und „Prinz Hassan“-Flugplätze, sind immerhin nur 50 Kilometer voneinander, aber dafür 100 („Muwaffaq Salti“) und 150 („Prinz Hassan“) Straßenkilometer von der Hauptstadt Amman entfernt.

Einen Hafen hat Jordanien nicht. Von Incirlik bis in die Millionenstadt Adana sind es nur wenige Kilometer, der nächste Hafen ist nicht weit. Auch beträgt die Flugentfernung von den beiden Basen im jordanischen Norden bis zur syrischen IS-Hochburg Rakka etwa 500 Kilometer und damit 150 Kilometer mehr als von Incirlik. Bei der dritten jordanischen Basis, „Al Jafr“ im Süden, kommen noch einmal 150 Kilometer hinzu.

Versorgung:
Im Jahr 2016 haben die sechs deutschen Tornados pro Monat bei 172 Gesamtflugstunden etwa 636 Tonnen Kerosin verbraucht, das deutsche Tankflugzeug bei 116 Stunden etwa 580 Tonnen Sprit. Addiert man noch die 22 Tonnen Kerosin hinzu, die der Tanker auf jedem seiner 23 monatlichen Flüge an andere Jets abgegeben hat, so kommt man auf einen Geschwaderverbrauch von 1722 Tonnen Treibstoff pro Monat. Was nach viel klingt, ist verglichen mit zivilen Flugplätzen eher gering, und die nötigen Kapazitäten oder Lieferketten sollten auch auf den jordanischen Plätzen möglich sein.

Neben dem Treibstoff und Schmierstoffen müssen noch vier weitere Versorgungsklassen von Nahrungsmitteln über allgemeine Ausrüstung und Fahrzeuge bis hin zu Munition und Explosivmitteln bereitgestellt werden. Insbesondere der regelmäßig erforderliche Austausch der (Selbstverteidigungs-)Munition und die Visa-Modalitäten erfordern eine zuverlässige Zollzusammenarbeit, die unter Nato-Staaten mit dem Truppenstatut bereits geklärt ist – und mit Jordanien gut verabredet werden müsste.

Vieles, was vor Ort gebraucht wird, kann sowohl in der Türkei als auch in Jordanien durch zivile Vertragspartner bereitgestellt werden. Diese kümmern sich häufig um die Verpflegung, Wäscherei, Abfallentsorgung und anderes. Aber dass sie auch wirklich verlässlich bereitstehen, muss Teil sorgfältiger Planung sein.


Was das alles für eine mögliche Verlegung bedeutet

Infrastruktur:
Die sieben in Incirlik eingesetzten Flugzeuge benötigen Stellfläche, ebenso die Versorgungsflugzeuge, in der Regel Antonov AN-124, auf welche die Luftwaffe setzt. Wartungszelte oder Hangars sind für die Tornados unerlässlich. Gesicherte Bereiche für die Operations- und Auswertezentrale, den Geschwaderstab, die Munition, die Treibstoffe und den flüssigen Sauerstoff müssen zur Verfügung stehen.

Soldaten brauchen Unterkunftscontainer oder Hotelzimmer, Sanitär-, Verpflegungs- und Sozialbereiche ebenso wie eine ausreichende Stromversorgung, die im Zweifel auch über Notstromaggregate abgedeckt werden muss. Eine funktionierende Sanitätsstation gehört genauso zu den Notwendigkeiten wie sichere Kommunikationsmöglichkeiten, Satellitenanbindungen und ein gut funktionierender Kontrolltower.

Kaum ein Flugplatz hält all das vor, was nötig ist, um einen Verband wie das deutsche Geschwader von jetzt auf gleich aufnehmen zu können. Allerdings ist es ein großer Vorteil, dass auf allen drei jordanischen Plätzen bereits Amerikaner operieren, von „Muwaffaq Salti“ aus sogar mit zahlreichen unterschiedlichen Flugmustern. Die Deutschen könnten bei der Versorgung und der Infrastruktur nicht nur auf den „Host Nation Support“ (HNS), also die Jordanier, sondern auch auf die US-Partner bauen.

Sicherheit:
Incirlik befindet sich auf dem Territorium eines Nato-Mitgliedsstaates und ist durch die Türkei gut geschützt. Dies kann, je nach Lage des Flugplatzes, auch ganz anders aussehen und im Zweifel eigene Objektschutzkräfte erforderlich machen. In Jordanien ist die Sicherheit bereits durch die Gastgeber und die Amerikaner gewährleistet. Auch beim Brandschutz, einem weiteren neuralgischen Punkt, werden die Deutschen, auch das wie in Incirlik, wohl auf die Partner setzen können.

Fazit:

Die vier Handlungsfelder machen auszugsweise deutlich, was dazu gehört, ein Geschwader zu betreiben, und dass auch dessen Verlegung keine Angelegenheit von wenigen Tagen ist. Bei all den Herausforderungen, die sich aus einer möglichen Verlegung ergeben, lassen sich aber schon heute zwei positive Erkenntnisse ableiten:

Synergien wären vorhanden: In Incirlik kooperiert die Bundeswehr insbesondere mit den USA sehr eng. Dies wäre wohl auch in Jordanien der Fall. Auch sind die Jordanier Partner in der Anti-IS-Allianz und einer deutschen Verlegung gegenüber positiv eingestellt. Sie würden den ihnen möglichen Teil zum HNS und zur Unterstützung durch zivile Dienstleister beitragen.

Auch von Jordanien aus lässt sich operieren: Die jordanischen Basen sind insbesondere geographisch gegenüber Incirlik im Nachteil. Aber: Zwei der drei dort erkundeten Basen befinden sich ausreichend dicht am Haupteinsatzgebiet. Im Gegenzug zu „Prinz Hassan“ verfügt die „Muwaffaq Salti“-Base sogar über zwei Start- und Landeflächen, was ein großer operativer Vorteil ist, wenn man eine hohe Dichte von Lufteinsätzen fliegen will.

Neben den Amerikanern haben und hatten auch andere Anti-IS Koalitionäre hier Kampfflugzeuge stationiert. Lassen sich die Infrastruktur- und Versorgungsanforderungen der Deutschen erfüllen, wird man zu dem Schluss kommen, dass auch von Jordanien aus deutsche Flüge möglich sind. An dem hohen Aufwand, den eine Verlegung bedeuten würde, ändert das natürlich nichts.

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