Streit um EU-Ratspräsidenten Die Fronten verhärten sich

Der Streit um eine mögliche Wiederwahl von EU-Ratspräsident Donald Tusk reißt tiefe Gräben auf. Der Fraktions-Chef der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber, droht, Warschaus Kandidaten aus der Partei auszuschließen.

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EU-Ratspräsident Donald Tusk ist aus deutscher Sicht ein guter Kandidat für das Amt. Quelle: dpa

New York Der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber, twitterte am Sonntag eine Drohung: „Wenn Herr Saryusz-Wolski bei seiner Kandidatur bleibt, wird er ausgeschlossen.“ Kurz zuvor hatte er auf Englisch gezwitschert: „Die polnische Regierung denkt mal wieder nur an ihre heimische Agenda.“

Damit heizte Weber einen Streit an, der die Europäische Union beschäftigt: Alle wollen die Wiederwahl des polnischen EU-Ratspräsidenten Donald Tusk – nur die polnische Regierung nicht. Sie hat Jacek Saryusz-Wolski als Kandidaten vorgeschlagen.

Die Antworten auf Webers Drohung fielen deutlich genug aus. „Also Polen hat nichts zu sagen?“, twitterte eine Dame mit polnisch klingendem Nachnamen zurück. „Wollt ‚ihr‘ demnächst das polnische Parlament wählen? Wollt ihr Polxit?“ Andere reagierten kürzer auf English: „F* you.“ Ein Tweet in polnischer Sprache war mit Bildern von Merkel und einem Hakenkreuz versehen.

Ein Sturm im Wasserglas? Eher eine schaurige Komödie, die aber ein Schlaglicht auf den tragischen Riss wirft, der Europa teilt. Saryusz-Wolski, um den der Streit geht, ist im Grunde nur eine Nebenfigur. Er sitzt als Mitglied der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europa-Parlament und hat noch nie ein wichtiges Regierungsamt bekleidet.

Manfred Weber, ein Vertrauter von Bundeskanzlerin Angela Merkel, führt die Fraktion der EVP, die mehrere konservative Parteien der einzelnen EU-Länder vereint, darunter auch die CDU. Weber will unbedingt die Wiederwahl von Tusk erreichen.

Der eigentliche Streit dreht sich um Tusk. Er war 2007 bis 2014 Ministerpräsident von Polen. Tusk, der fließend Deutsch und Englisch spricht, ist überzeugter Europäer und hat sich für gute Beziehungen zwischen Polen und Deutschland eingesetzt. Insofern war er zumindest aus deutscher Sicht ein guter Kandidat für das Amt des EU-Ratspräsidenten, das er Anfang Dezember 2014 angetreten hat. Seine Amtszeit läuft Ende Mai aus.


Die Europäer könnten Tusk auch gegen Polen durchsetzen

Gerade wegen seiner liberalen, internationalen Haltung ist Tusk aber ein Feindbild der heutigen Regierung in Polen. Der starke Mann dort hinter Regierungschefin Beata Szydlo ist Jaroslaw Kaczynski, Vorsitzender der konservativen Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“.

Er und seine Anhänger wollen Polen in einen autoritären Staat verwandeln. So wurde das Versammlungsrecht eingeschränkt. Wann immer ein Protestmarsch geplant ist, kann die Regierung eine eigene Kundgebung einberufen, die dann ebenso Vorrang hat wie religiöse Prozessionen. Die Regierung versucht zudem, das Verfassungsgericht des Landes zu entmachten und die Pressefreiheit einzuschränken.

Auf Kritik seitens der EU antwortet die polnische Regierung mit dem Hinweis auf die Souveränität des Landes. Polen geht damit in eine ähnliche Richtung wie zuvor schon Ungarn. Außerdem zeigt der Nationalismus der Regierung in Warschau Parallelen zum Rechtspopulismus in anderen europäischen Staaten und in den USA.

Der Streit kommt zu einem Zeitpunkt, wo Wahlen in den Niederlanden, Frankreich und Deutschland anstehen - bei denen rechtspopulistische Parteien eine wichtige Rolle spielen werden. Außerdem wird die EU durch die Verhandlungen über den Austritt Großbritanniens ohnehin einer Belastungsprobe ausgesetzt. Der neue US-Präsident Donald Trump hält wenig von der EU. Und selbst wohlmeinende Amerikaner fragen sich, ob die EU ohne die Briten zusammenhält.

Die politische Macht des EU-Ratspräsidenten hält sich in Grenzen. Aber dass ausgerechnet diese herausgehobene Position zum Spielball nationaler Interessen und der Auseinandersetzung rechter und liberaler Kräfte sogar innerhalb des konservativen Lagers wird, ist ein kein gutes Zeichen für den Zusammenhalt Europas.

Die Europäer können Tusk auch gegen den Willen der Polen wählen. Aber es wäre das erste Mal, dass ein EU-Ratspräsident gegen das eigene Heimatland antritt.

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