Als die Stunde der Entscheidung gegen den Terror angebrochen ist, trägt der irakische Regierungschef Uniform. Umrahmt von neun Generälen schaut Haidar al-Abadi entschlossen in die Kamera des Staatsfernsehens. „Verehrtes irakisches Volk“, erklärt der Ministerpräsident mit fester Stimme. „Die Stunde des Sieges hat geschlagen. Die Operation zur Befreiung von Mossul hat begonnen.“ Dann wendet er sich an die Einwohner der Millionenstadt Mossul: „Sehr bald werden wir unter Euch sein und die irakische Flagge hissen.“ Auf diese Worte hatte nicht nur der Irak seit Monaten gewartet. Nach wochenlangen Vorbereitungen begann in der Nacht auf Montag die Großoffensive, die Mossul aus der Gewalt der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) befreien soll. Fernsehbilder zeigten vorrückende Panzer und Rauchsäulen am Horizont. Es ist die bislang größte, aber auch schwierigste Militäroperation gegen die Extremisten. Al-Abadi versprach einen Sieg noch in diesem Jahr. Doch US-General Stephen Townsend, Kommandeur der beteiligten US-Truppen, warnte, die Operation könne Wochen dauern - oder auch länger.
30 000 Kämpfer sollen sich nach Medienberichten für die Offensive im Umland von Mossul positioniert haben und aus mehreren Richtungen auf die Stadt vorrücken. Anführen würden die Operation die irakische Armee und Polizei, erklärte Al-Abadi, der zugleich Oberbefehlshaber der Armee ist. Unterstützt werden sie nicht nur von sunnitischen Milizen, sondern auch von kurdischen Peschmerga-Kämpfern, die jedoch nicht in die Stadt selbst einrücken sollen. Jets der US-geführten Koalition bombardieren die IS-Extremisten aus der Luft.
Rein zahlenmäßig ist dieses Bündnis der Terrormiliz damit klar überlegen, denn nach Schätzungen aus den Reihen der Peschmerga halten sich in Mossul und im Umland nur noch rund 4000 IS-Kämpfer auf. Doch diese sollen in der Großstadt nicht nur tiefe Gräben ausgehoben haben, sondern auch ein Tunnelsystem, um sich unbemerkt hin und her bewegen zu können. Gebäude und Straßen dürften sie mit Massen an Sprengfallen versehen haben. Wie schon in der Vergangenheit versuchen sie zudem, die Angreifer mit Selbstmordattentätern aufzuhalten.
Die Akteure im Syrien-Konflikt
Anhänger von Präsident Baschar al-Assad kontrollieren weiter die meisten großen Städte wie Damaskus, Homs, Teile Aleppos sowie den Küstenstreifen. Syriens Armee hat im langen Krieg sehr gelitten, konnte aber infolge der russischen Luftunterstützung seit September 2015 wieder Landgewinne verzeichnen. Machthaber Assad lehnt einen Rücktritt ab.
Die Terrormiliz beherrscht im Norden und Osten riesige Gebiete, die allerdings meist nur spärlich besiedelt sind. Durch alliierte Luftschläge und kurdische Milizen mussten die Islamisten im Norden Syriens mehrere Niederlagen einstecken. Unter der Herrschaft der Miliz, die auch im Irak große Gebiete kontrolliert, verbleibt die inoffizielle Hauptstadt Raqqa, die bedeutende Versorgungsstrecke entlang des Euphrat und ein kleiner Grenzübergang zur Türkei. Offiziell lehnen alle lokalen und internationalen Akteure den IS ab.
Sie sind vor allem im Nordwesten und Süden Syriens stark. Ihr Spektrum reicht von moderaten Gruppen, die vom Westen unterstützt werden, bis zu radikalen Islamisten.
Die zu Beginn des Kriegs bedeutende Freie Syrische Armee (FSA) hat stark an Einfluss verloren. Sie kämpft vor allem gegen Diktator Assad.
In der „Islamischen Front“ haben sich islamistische Rebellengruppen zusammengeschlossen. Ihr Ziel ist der Sturz Assads und die Errichtung eines „Islamischen Staates“ – die gleichnamige Terrormiliz lehnen sie jedoch ab. Sie werden von Saudi-Arabien unterstützt und sind ideologisch mit al-Qaida zu vergleichen. Militärisch untersteht ihr auch die „Dschaisch al-Fatah“, die von der Türkei unterstützt wird. Teilweise kooperieren sie mit der al-Nusra-Front, Ableger des Terrornetzwerks al-Qaida.
Sie ist zersplittert. Das wichtigste Oppositionsbündnis ist die Syrische Nationalkoalition in Istanbul. Diese wird von zahlreichen Staaten als legitim anerkannt, von vielen lokalen Akteuren wie al-Nusra oder der kurdischen PYD jedoch abgelehnt.
In Damaskus sitzen zudem Oppositionsparteien, die vom Regime geduldet werden. Bei einer Konferenz in Riad einigten sich verschiedenen Gruppen auf die Bildung eines Hohen Komitees für Verhandlungen, dem aber einige prominente Vertreter der Opposition nicht angehören.
Kurdische Streitkräfte kontrollieren mittlerweile den größten Teil der Grenze zur Türkei: Sie sind ein wichtiger Partner des Westens im Kampf gegen den IS.
Dabei kämpfen sie teilweise mit Rebellen zusammen, kooperieren aber auch mit dem Regime. Führende Kraft sind die „Volksverteidigungseinheiten“ YPG der Kurden-Partei PYD, inoffizieller Ableger der verbotenen türkisch-kurdischen Arbeiterpartei PKK. Diese streben einen eigenen kurdischen Staat an – die Türkei lehnt das vehement ab.
Washington führt den Kampf gegen den IS an der Spitze einer internationalen Koalition. Kampfjets fliegen täglich Angriffe. Beteiligt sind unter anderem Frankreich und Großbritannien. Deutschland stellt sechs Tornados für Aufklärungsflüge über Syrien, ein Flugzeug zur Luftbetankung sowie die Fregatte „Augsburg“, die im Persischen Golf einen Flugzeugträger schützt. Washington unterstützt moderate Regimegegner.
Die Türkei setzt sich für den Sturz Assads ein und unterstützt seit langem Rebellengruppen wie die islamistische Dschaisch al-Fatah. Neben der Sicherung ihrer 900 Kilometer langen Grenze ist die Türkei seit August 2016 auch mit Bodentruppen in Syrien vertreten. Ziel ist neben der Vergeltung für Terroranschläge des IS auch, ein geeintes Kurdengebiet im Norden Syriens zu verhindern.
Der Abschuss eines russischen Flugzeugs über türkischem Luftraum im November 2015 führte zu Spannungen zwischen Russland und der Türkei.
Seit September 2015 fliegt auch Russlands Luftwaffe Angriffe in Syrien. Moskau ist einer der wichtigsten Unterstützer des syrischen Regimes: Rebellenorganisationen werden pauschal als „Terroristen“ bezeichnet und aus der Luft bekämpft. Der Kampf gegen islamistische Rebellen soll auch ein Zeichen an Separatisten im eigenen Land senden.
Geostrategisch möchte Russland seinen Zugriff auf den Mittelmeerhafen Tartus nicht verlieren.
Teheran ist der treueste Unterstützer des Assad-Regimes, auch aus konfessionellen Gründen. Iraner kämpfen an der Seite der syrischen Soldaten. Die von Teheran finanzierte Schiitenmiliz Hisbollah ist ebenfalls in Syrien im Einsatz. Sie fürchten die Unterdrückung der schiitischen Minderheit im Falle eines Sieges sunnitischer Rebellen, aber auch den Verlust von regionalem Einfluss.
Riad ist ein wichtiger Unterstützer vornehmlich islamistischer Rebellen. Sie fordern, dass Assad abtritt. Saudi-Arabien geht es auch darum, den iranischen Einfluss zurückzudrängen. Der Iran ist der saudische Erzrivale im Nahen Osten.
Trotz religiöser Ähnlichkeiten zwischen IS und dem saudischen Wahabismus engagiert sich Saudi-Arabien im Kampf gegen den IS.
Genau dafür werden die Peschmerga seit mehreren Monaten von der Bundeswehr ausgebildet. Immer wieder rühmen die Kurden die von Deutschland gelieferte Panzerabwehrwaffe „Milan“, die Selbstmordangreifer aufhalten soll. Deutsche Soldaten schulen die Peschmerga zudem in der Entschärfung von tückischen Sprengfallen. Dennoch droht eine blutige Schlacht, denn wenig spricht dafür, dass die Extremisten Mossul kampflos aufgeben werden. Im Gegenteil. Mossul ist die letzte Bastion des IS im Irak. Sollten die Extremisten von hier vertrieben werden, wären sie in dem Krisenland zwar nicht politisch, aber doch militärisch weitestgehend besiegt. Auch symbolisch ist Mossul wichtig. Im Juni 2014 konnte der IS die Stadt mit nur wenigen Hundert Kämpfern einnehmen, weil die schlecht motivierte und von Korruption erschütterte irakische Armee kampflos Reißaus nahm - eine Schmach für das Militär und die Regierung in Bagdad. Kurz danach zeigte sich IS-Chef Abu Bakr al-Bagdadi bei einer Freitagspredigt in der Großen Moschee von Mossul das erste Mal öffentlich und ließ sich von seinen Anhängern als „Kalif“ huldigen.
Schiiten und Sunniten
Mit dem Tod des Propheten Mohammed im siebten Jahrhundert spaltete sich die muslimische Gemeinschaft. Grund war die Frage der Nachfolge des Propheten. Eine Minderheit verlangte, dass der Nachfolger aus der Familie Mohammeds stammen müsste und wählte seinen Vetter Ali aus. Sie wurden „Schiat Ali“ genannt – Partei Alis. Daraus entwickelte sich später der Begriff Schiiten. Sunniten leitet sich von der Sunna ab – den Überlieferungen des Propheten.
Die Schiiten fühlen sich als Opfer der Sunniten. In den meisten Ländern stellen sie eine Minderheit dar. Es gibt aber Ausnahmen wie den Irak und den Iran. Im Irak waren die Schiiten, obwohl sie zweidrittel der Bevölkerung darstellten, bis zur Besetzung durch die USA eine unterdrückte Minderheit. Während des Regimes von Saddam Hussein waren sie weder in den Geheimdiensten noch im Militär, den Elite-Truppen oder der politischen Elite in großer Zahl vertreten. Die Sunniten, die nur 20 Prozent der Bevölkerung ausmachten, hatten die Macht inne. Der Iran sieht sich als Interessenvertreter der Schiiten.
Die Sunniten lehnen die Heiligenverehrung und den Märtyrerkult der Schiiten ab. Das Königreich Saudi-Arabien sieht sich als Schutzmacht der Sunniten. Zu den Sunniten zählen auch die Salafisten, die eine Rückkehr zu einem fundamentalistischen Ur-Islam anstreben und einen Gottesstaat errichten wollen. Auch die Kämpfer des Islamischen Staats und die Mitglieder der Muslimbruderschaft sind Sunniten.
Weltweit sind 90 Prozent der Muslime Sunniten – was aber nicht heißt, dass sie allesamt Salafisten oder Vertreter anderer radikaler Auslegungen des Islams sind. Die radikalen Gruppen gehören zu einer Minderheit, die das Bild des Islams prägt.
In diesem Jahr bekam die irakische Armee schon einen Vorgeschmack darauf, was ihr in Mossul blüht. Als die Streitkräfte der Zentralregierung auf die IS-Hochburg Falludscha westlich von Bagdad vorrückten, dauerte es Monate, bis die Extremisten des IS, auf Arabisch Daesh genannt, vertrieben waren, obwohl die Stadt deutlich kleiner als Mossul ist.Unklar ist, ob Mossuls Einwohner weiter den IS unterstützen werden - oder ob sie mit den irakischen Streitkräften kooperieren, so wie Al-Abadi es sich in seiner TV-Ansprache wünschte. Als die sunnitische Terrormiliz im Sommer 2014 einrückte, fand sie unter den Einheimischen starke Sympathie, schließlich ist Mossul die größte sunnitsche Stadt im Irak. Viele Sunniten fühlen sich von der Mehrheit der Schiiten im Land ausgegrenzt, was den Dschihadisten starken Zulauf bescherte und ihren Vormarsch überhaupt erst ermöglichte.
Geflüchtete Einwohner aus Mossul berichten jedoch, die Extremisten hätten in der Stadt stark an Rückhalt verloren, weil sie eine Terrorherschaft errichtet hätten. „Die Mehrheit der Menschen unterstützt Daesh nicht mehr“, sagt der 22 Jahre alte Abdulrahman, der nun in einem Flüchtlingscamp südöstlich von Mossul lebt. Dafür hat er eine simple Erklärung: „Das Leben unter Daesh ist die Hölle.“