Sturman´s Gesetz

Neue Standards für Transparenz

Die Europäische Union legte in der vergangenen Woche ein „Grünbuch zur Verbesserung der Corporate Governance“ vor, um eine Diskussion und Beratungen über die künftige Ausrichtung der Corporate Governance in der EU zu initiieren.

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WiWo-Kolumnistin Deborah Sturman

Corporate Governance ist das System, mit dem Unternehmen gelenkt und geführt werden. Ziel ist ein Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Akteuren, hauptsächlich Aufsichtsrat und Management, Aktionäre, Arbeitnehmer, Wirtschaftsprüfer und Aufsichtsbehörden. Corporate Governance ist geübte Praxis und Gegenstand der Gesetzgebung in jedem Industriestaat, dabei fließen auch landesspezifische historische, rechtliche und sozio-ökonomische Determinanten mit ein.

Die Fragen, die in dem EU-Papier angesprochen werden, sind: die Analyse der Wirksamkeit von Aufsichtsräten, die Gleichberechtigung der Geschlechter in der Geschäftsführung, Baisse-Spekulation, die Qualität von Corporate-Governance-Berichten und das Scheitern der Selbstregulierung vor der Finanzkrise.

Die Finanzkrise hat zweifelsfrei gezeigt, dass eine selbstregulierte Corporate Governance nicht wirksam ist. Aktionäre konnten Vorstände und Gremien nicht zur Rechenschaft ziehen, und Aufsichtsgremien sind in ihren Aufsichtsfunktionen gescheitert. Diese Verfehlungen haben erheblich zu den Skandalen der 2000er Jahre und der Finanzkrise beigetragen.

Was gebraucht wird, sind starke regulatorische Maßnahmen, kombiniert mit Sanktionen im Falle der Nichterfüllung, die in einem internationalen Konsens erreicht wurden.

Die Vorschläge zur Verbesserung der Corporate Governance in den USA sind meines Erachtens besser als die derzeit in der EU diskutierten, da sie konkrete Sanktionen und Mechanismen zur Durchsetzung anbieten. Es ist allerdings bedauerlich, dass sie jetzt aufgrund parteipolitischer Blockaden im US-Kongress brach liegen. Die EU-Kommission liefert mit ihrem Diskussionspapier den Vorständen und Gremien börsennotierter Unternehmen nicht die Anleitung, die diese benötigen, denn ohne Durchsetzungsmechanismen bleiben alle Forderungen weich.

Obwohl Corporate Governance bereits in den vergangenen Jahren zunehmend durch globale Standards beeinflusst wurde, müssen künftig international durchsetzbare Regelwerke eingeführt werden. Die Notwendigkeit eines internationalen Konsens ist ein Ergebnis der zwei großen wirtschaftlichen Katastrophen der Bush-Regierung: der Lehman-Krise und dem verpfuschten Umgang mit der darauf folgenden Finanzkrise. Diese Ereignisse vernichteten unter anderem den Rest an Vertrauen in Corporate Governance, das nach mehreren bekannt gewordenen Unternehmensführungs-Skandalen wie Enron, Vivendi, WorldCom oder Parmalat bereits stark erschüttert worden war. Der Glaube an eine relativ deregulierte, freie Marktwirtschaft und eine entsprechend weitgehend deregulierte Corporate Governance, der vor der Krise vorherrschte, ist heute nicht mehr überlebensfähig.

Die EU, Regierungen, die Finanzwelt und Investoren suchen neue Ideen und Regeln, um das Vertrauen in den Markt öffentlich gehandelter Wertpapiere wieder herzustellen. Internationaler Konsens ist ein notwendiger Bestandteil dieser Erneuerung. Die Weltwirtschaft kann sich nicht mehr auf eine US-Führung allein verlassen, obwohl klar ist, dass ohne die Teilnahme der Vereinigten Staaten nicht viel umsetzbar sein wird.

Internationaler Konsens wird zunehmend die Norm, gleich, ob es um die Bankenrettung geht, um Währungsinterventionen oder Flugverbotszonen. Internationaler Konsens wird auch notwendig sein, um neue Corporate-Governance-Standards zu schaffen und durchsetzbar zu machen. Diese Normen müssen sich in Zukunft auf deutlich höhere Standards für Transparenz und die Vermeidung von Interessenkonflikten stützen, als es bisher für notwendig erachtet wurde.

Unangebrachte Interessen führten zu einer Reihe von Missständen. So war der Vorstandschef von Lehman, Richard Fuld, gleichzeitig ein „Class-B-Director“ der New Yorker Federal Reserve, und US-Finanzminister Henry Paulson nutzte seine Position als ehemaliger Vorstand von Goldman Sachs dazu, um seinen früheren Partnern zu helfen.

Die Lehman-Krise und die Betrügereien um Enron, WorldCom, Vivendi und Parmalat entstanden aus eklatanten Interessenkonflikten.

Deshalb müssen diese Interessenkonflikte direkt angegriffen werden. Der altbekannte Konflikt zwischen Eigentümern und Management, bei dem es darum ging, dass die Geschäftsführung von Aktiengesellschaften das Geld anderer Leute statt eigenem verwaltet, und damit nicht die gleiche Wachsamkeit wie bei der Geschäftsführung eines privaten Unternehmens an den Tag legt, war nicht das Hauptproblem. Das Hauptproblem war der entfesselte Egoismus, der auf Kosten aller anderen Beteiligten ging, einschließlich der Regierungen, die letztlich Banken und andere Finanzinstitute retten mussten.

Um das Vertrauen der Investoren wiederherzustellen, wird die neue Corporate Governance sich direkt mit den Interessenkonflikten auseinandersetzen müssen, die aus Geschäften entstehen, die dem Unternehmen nicht nutzen. Interessenskonflikten müssen starke und international einigermaßen einheitliche zivil- und strafrechtliche Sanktionen gegenüber stehen, die international auch durchgesetzt werden können.

Die gute Nachricht aber ist, dass der Westen mit aller Wahrscheinlichkeit die Neugestaltung der globalen Standards nach westlich geprägten Vorstellungen von Transparenz und Rechenschaftspflicht wird durchführen können. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass die BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien und China) oder andere Schwellenländer die Kapazität zur Durchsetzung von Transparenz haben, geschweige denn eine Führungsrolle in der Reform der Corporate Governance übernehmen können, da es scheint, dass ihr Interesse in solchen Angelegenheiten weit hinter dem Wunsch nach wirtschaftlicher Entwicklung zurücksteht.

Besondere Merkmale nationaler Unternehmensführungs-Standards können unberührt bleiben, wie beispielsweise die starke Ausrichtung an den Interessen der Aktionäre in den USA oder die Orientierung an Interessengruppen, die in Europa vorherrschend ist. Dennoch verspricht die Zukunft einheitlichere internationale Normen für Transparenz und zur besseren Vermeidung von Interessenkonflikten.

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