Südamerika Argentiniens Regierung ruiniert das chancenreiche Land

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Zurück in der Krise

Das wollte Néstors Gattin Cristina ändern, zumindest hatte sie das im Wahlkampf 2007 versprochen und nach langer Pause jetzt wieder aufgegriffen. Die praktische Politik aber war ganz anders: Statt die Wirtschaft schrittweise für den Weltmarkt wieder zu öffnen, legte sich die Präsidentin in ihrem ersten Amtsjahr mit den großen Landwirten an. Sie wollte die Ausfuhrzölle auf Agrarprodukte weiter erhöhen, um den Staatshaushalt zu finanzieren – Exporte sollten unmöglich gemacht werden, um die inländische Versorgung mit Rindfleisch zu sichern.

Cristina Kirchners Protektionismus hätte also ausgerechnet den berühmten argentinischen Rindfleischexporteuren den Weg auf den Weltmarkt versperrt. Verhindert wurde das nach einer Protestwelle der Agrarproduzenten nur durch eine Parlamentsentscheidung gegen die Steuerpläne der Präsidentin. „Der Streit Kirchners mit den Farmern ist ideologisch motiviert“, sagt Achim Wachendörfer, der für die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung die Politik im Lande beobachtet. Der Präsidentin „ging es dabei um den Kampf gegen die Oligarchie. Die Kirchners stecken fest im Freund-Feind-Schema der Fünfzigerjahre.“

Politik in Buenos Aires funktioniert inzwischen durchgängig nach diesem Prinzip. Bei den Teilwahlen zum Parlament im Juni haben die Anhänger der beiden Kirchners ihre Mehrheit verloren. Zuvor hatte die Regierung die privaten Pensionskassen verstaatlicht und deren Einlagen in den notleidenden öffentlichen Haushalt umgeleitet. Nun trauen viele Bürger der Regierung nicht mehr über den Weg und schleusen ihr Geld ins Ausland. Die Unternehmen folgen auf dem Fuß: C&A, Armani, der deutsche Automobilzulieferer Mahle schließen Fabriken oder verschwinden aus Argentinien. Wer kann, verkauft sein Unternehmen an brasilianische Konkurrenten. Zwei Dutzend argentinische Konzerne werden heute von São Paulo aus kontrolliert.

Noch katastrophaler für den klassischen Agrarexporteur Argentinien: Die Landwirte pflanzen derzeit fast ein Drittel weniger Mais und Weizen an als früher. Investitionen in Rinderzucht und Milchwirtschaft sind rückläufig. „Wer heute in Rinder investiert, wird erst in drei Jahren den Gewinn kassieren“, sagt Luis Kasdorf von El Tejar, dem größten Agrarunternehmen des Landes, „das ist zu langfristig.“

Aufschwung beim Nachbarn

Darum investieren El Tejar und seine Konkurrenten lieber in den Nachbarländern Brasilien und Uruguay. Argentinien, einst eine Kornkammer der Welt, muss nächstes Jahr Weizen importieren. Der Export von Rindfleisch ist dramatisch zurückgegangen.

Dass es mit einer klügeren Politik ganz anders gehen kann, sehen die Argentinier beim Blick auf die andere Seite des Río de la Plata. Das kleine Uruguay mit sechs Prozent der Landfläche und knapp neun Prozent der Einwohnerzahl Argentiniens exportiert heute mehr Fleisch als der große Nachbar im Süden. In Uruguay hat der linke Präsident Tabaré Vázquez in den vergangenen vier Jahren systematisch das Vertrauen der Unternehmer gewonnen, ausländische Konzerne investieren, und die Wirtschaft läuft rund. Daran dürfte sich auch nichts ändern, wenn in ein paar Wochen der einstige Tupamaro-Guerillero José Mujica zum neuen Präsidenten gewählt werden sollte. „Früher war Buenos Aires weltstädtisch und Montevideo provinziell“, sagt der US-Investmentbanker Walter Molano, „heute strotzt Uruguay vor Vitalität und Argentinien versinkt im Pessimismus.“

Dafür sorgen immer wieder spontane Streiks, die den Verkehr in der Riesenmetropole Buenos Aires lahmlegen. Falls die Vorortzüge doch am Morgen im einst eleganten Bahnhof Retiro ankommen, strömen große Familien heraus, die zum Betteln und Müllsammeln in die City kommen. „Buenos Aires wirkt auf den ersten Blick europäisch“, sagt Wachendörfer, „doch wenn man ein bisschen dran kratzt, dann kommt immer mehr die Dritte Welt zum Vorschein.“

Die Argentinier warten jetzt sehnsuchtsvoll auf ein Ende der Kirchner-Herrschaft in zwei Jahren. Bis dahin beklagen sie vor allem den eigenen Abstieg. Der argentinische Schriftsteller Marcos Aguinis hat sein neuestes Œuvre, einen Essay, unter dem Titel „Meine arme Heimat!“ in sechs Monaten mehr als 100.000 Mal verkauft. Der Anfang: „Wir waren reich, kultiviert und anständig. Heute sind wir arm, schlecht erzogen und korrupt.“

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