Südamerika Venezuela vor dem Bürgerkrieg?

Venezuela steht vor einem blutigen Kräftemessen zwischen Opposition und Regime. Präsident Maduro setzt auf staatliche Gewalt. Doch das schreckt weder Anhänger noch Gegner, die sich in Caracas versammelt haben.

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In der venezolanischen Hauptstadt Caracas verbrennen Demonstranten ein Abbild von Präsident Maduro. Regierungsgegner haben zur „Mutter aller Demonstrationen“ aufgerufen. Gleichzeitig wollen Maduros Anhänger ihrem Staatschef mit einem „Großen Marsch für die Unabhängigkeit und den Frieden“ den Rücken stärken. Quelle: AFP

Salvador Seit Tagen rüstet der venezolanische Präsident Nicolás Maduro auf – verbal, aber auch ganz konkret: Einerseits, indem er die Militärs, Polizei und Milizen zum bewaffneten Kampf gegen die angeblichen Putschisten aufruft. Er habe die erste Phase eines nationalen Verteidigungsplans „Plano Zamora“ in Gang gesetzt gegen die Umsturzpläne, die er seit Jahren beschwört. Andererseits soll das sozialistische Regime die letzten Tage Waffen verteilen an loyale Banden. Eine halbe Million bewaffnete Zivilisten stehe bereit, um das Land zu verteidigen – erklärte Maduro gestern in landesweiten TV-Ansprachen.

Der Grund für die martialische Aufrüstung: Die Bevölkerung soll eingeschüchtert werden. Denn für den heutigen Nationalfeiertag hat die Opposition zu einer Großdemo aufgerufen, der „Mutter aller Demonstrationen“, wie sie den erhofften Massenprotest gegen die Regierung genannt hat. Von zwei Dutzend Versammlungsorten aus wollen sich die Demonstranten auf das Zentrum der Hauptstadt Caracas zubewegen. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass es zu einem Blutbad kommt. Immer öfter greifen bewaffnete Milizen mit Motorrädern protestierende Bürger an. 

In den vergangenen drei Wochen haben die Auseinandersetzungen zwischen dem autoritär regierenden Präsidenten und der Opposition an Härte und Brutalität zugenommen: Sechs Tote und 300 Verletzte gab es bereits, seitdem Maduro sich vor drei Wochen de facto zum Diktator erklärt hatte. Auslöser war das fadenscheinig begründete Urteil des Obersten Gerichtshofes Ende März: Die Richter hatten das von der Opposition dominierte Parlament entmachtet und sich selbst die legislative Gewalt übertragen. Damit war Präsident Nicolás Maduro de facto zum Diktator ernannt. Denn der Oberste Gerichtshof wie die gesamte Justiz ist in Venezuela ein verlängerter Arm der Regierung. Auf die zunehmenden Proteste aus dem Ausland, von der Opposition sowie - erstmals – aus den eigenen Reihen pfiff Maduro die Richter wieder zurück.

Doch seitdem beruhigt sich die politische Lage nicht mehr. Letzte Woche entzog die Regierung dem Oppositionsführer Henrique Capriles die politischen Rechte für 15 Jahre. Capriles hatte bei Wahlen vor vier Jahren knapp gegen Maduro verloren. Die Mehrheit der prominenten Oppositionsführer ist seit Jahren im Gefängnis weggesperrt. Alle Entscheidungen des Kongresses, den die Opposition seit den Wahlen Ende 2015 dominiert, hat die regierungstreue Justiz für illegal erklärt.

Auch der zunehmende Druck aus dem Ausland gibt der Opposition Aufwind: Erstmals hat die Organisation der Amerikanischen Staaten (OAS) die venezolanische Regierung dazu aufgefordert, die Demokratie wieder herzustellen und droht dem Karibikland mit Ausschluss. Auch die EU und USA protestieren gegen die Menschenrechtsverletzungen in Venezuela.

Dennoch hat Maduro gute Chancen, sich durch die verschärfte Repression weiter an der Macht zu halten. Denn nach vier Jahren Rezession und einer Inflation von rund 600 Prozent sind im bis vor zwei Dekaden noch reichsten Land Südamerikas heute 80 Prozent der Bevölkerung verarmt. Sie sind mehr mit dem Überleben beschäftigt, als mit der Politik. Die Regierung hält die Menschen mit Repression in Schach und vom Demonstrationen fern. Bisher kann sich Maduro die Loyalität des Militärs und der Milizen durch Privilegien sichern, etwa bei der Lebensmittelverteilung. Die höheren Ränge der Militärs und die Chefs der Schlägerbanden sollen zudem an den zahlreichen Korruptionsskandalen im Land beteiligt. Ein Drittel des Kabinetts Maduro besteht inzwischen aus Generälen.

„Maduro-Diät“ nennen die Venezolaner zynisch die Tatsache, dass drei Viertel von ihnen letztes Jahr im Schnitt acht Kilo an Gewicht verloren haben, weil sie zu wenig zu essen haben. Im einstmals wohlhabendsten Staat Südamerikas hungern die Menschen. Das Ölland produziert selbst zu wenig Lebensmittel und die Regierung streicht die Importe, um Devisen zusammenzukratzen, die sie braucht, um Schulden auf fällige Anleihen zu bezahlen.

Deswegen lässt der unbeliebte Maduro auch lieber seine Bevölkerung hungern, als die Gläubiger zu enttäuschen: Für ihn sind offene Finanzkanäle ins Ausland überlebensnotwendig, um an die Dollar zu kommen, mit denen er sich Loyalität kaufen kann. „Ein Zahlungsausfall würde den sofortigen Regierungswechsel bedeuten“, sagt Alejandro Grisanti vom venezolanischen Wirtschaftsinstitut Ecoanalítica.

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