Mit kaum mehr als einem Tuch vor dem Gesicht stapfen sie durch dichte Rauchschwaden, steigen mit nackten Füßen durch Ölpfützen, die Hitze ist unerträglich. Hier im Osten Syriens liegen die meisten Ölreserven des Landes, aber die Menschen sind von jeher arm. Pipelines führten das Erdöl vor dem Krieg in die dem Regime bis heute verbundene Küstenregion, und in den Häfen Baniyas und Tartus wurde es auf Tanker verladen. Jetzt tobt der schreckliche Bürgerkrieg, die Rebellen halten die Ölfelder und die Getreuen von Präsident Baschar al-Assad die Verarbeitungsanlagen und Ölhäfen.
In ihrer Not haben in den Ostprovinzen Dair az-Zur und al-Hasaka viele Menschen begonnen, in ihren Dörfern kleine Raffinerien zu errichten, nicht mehr als in den Boden eingelassene Gräben und einige metallene Bottiche. Es gibt viel zu wenig Benzin im Land. Wenige Meter von den kargen Feldern entfernt, verkochen die Leute schweres Rohöl zu Benzin. Aus verbeulten Fässern verkaufen sie es dann in der Nachbarschaft. Ganze Familien überleben nur, weil sie es auf sich nehmen, tagtäglich die giftigen Dämpfe einzuatmen.
Das ausgeplünderte Volk
Regionale Player im Syrien-Konflikt
Ein Einsatz syrischer Massenvernichtungswaffen ist ein Alptraum für Israel, das dem Konflikt bisher eher als Beobachter beiwohnte. Jetzt warnt Jerusalem laut davor, dass Assads Chemie- und Flugabwehrwaffen in die Hände der Hisbollah oder Al-Kaidas fallen könnten. Positiv wäre für Israel, dass sein Erzfeind Iran mit Assad seinen wichtigsten Stützpfeiler in der Region verlieren würde. Mit Assad könnte Israel allerdings auch einen Nachbarn verlieren, der für weitgehende Ruhe an der gemeinsamen Grenze gesorgt hat.
Die sunnitischen Herrscher vom Golf unterstützen in Syrien - wie schon zuvor in Libyen - die islamisch-konservativen Kräfte. Und versuchen, einen Verbündeten ihres Erzfeindes Iran zu schwächen. Daheim können sie sich so als Unterstützer der Revolution präsentieren, ohne Protesten Vorschub zu leisten. Damaskus will in Saudi-Arabien und Katar die Urheber des „Komplotts“ gegen sich identifiziert haben.
Das Nato-Mitglied ist seit langem einer der schärfsten Kritiker des syrischen Regimes. Weiter verschärft wurde das Verhältnis Ende Juni durch den Abschuss eines türkischen Kampfflugzeuges vor der syrischen Küste. Regierungschef Recep Tayyip Erdogan sagte dem syrischen Volk daraufhin Unterstützung bis zur Befreiung von „Diktator“ Assad zu, bei weiteren Zwischenfällen werde sein Land mit Gewalt zurückschlagen. Ein Teil des Nachschubs der syrischen Rebellen wird durch die Türkei geschleust, die allerdings offiziell keine Waffen liefert.
Das westliche Nachbarland Syriens ist zerrissen - eine gefährliche Lage. Die Sunniten im Libanon stehen mehrheitlich auf der Seite der syrischen Opposition, die zum Großteil ebenfalls aus Sunniten besteht. Über die Grenze werden auch Waffen geliefert. Die schiitische Hisbollah-Miliz hingegen, die in Beirut in der Regierung sitzt, ist mit dem Assad-Regime verbündet. Die Waffen, mit denen sie ihre Herrschaft sichert, kommen aus Damaskus. Seit einigen Wochen gibt es im Libanon Auseinandersetzungen zwischen pro- und anti-syrischen Gruppierungen, dabei gab es auch Tote.
Aus iranischer Sicht darf das syrische Regime keinesfalls fallen. Im Frühjahr erklärte Präsident Mahmud Ahmadinedschad, er kenne keine Grenzen bei seiner Unterstützung für Präsident Assad. Angeblich schickte Teheran Militärberater und Kämpfer. Ohne Assads Regime würde es für den Iran schwerer, die eigene anti-israelische Ideologie zu verbreiten. Auch die pro-iranischen Milizen, besonders die Hisbollah in Libanon, würden geschwächt. Zuletzt bestätigte der Iran Gespräche mit Regimegegnern in Syrien und brachte sich als Vermittler ins Gespräch.
Das Terrornetzwerk Al-Kaida versucht einmal mehr, auf den fahrenden Zug aufzuspringen. Die Terroristen wollen sich als Speerspitze der Revolution präsentieren und das anschließende Tohuwabohu für ihre Zwecke nutzen.
„Wir haben das ganze Öl, und doch sind die Menschen arm“, klagt Abu Dschihad, Oberst der Freien Syrischen Armee in der Ortschaft al-Schedadeh nahe der Grenze zum Irak. Er deutet in die Ferne, wo die Rauchsäulen brennender Ölquellen aufsteigen. „Assad hat das Volk ausgeplündert, seine Familie auf Kosten des Landes bereichert.“ Vor der Revolution verdiente er als Lehrer umgerechnet etwa 120 Euro im Monat; Leute wie er verdienten kaum mehr als Brotkrumen, verglichen mit dem Reichtum der Elite, sagt der Bürgerkrieger.
Vier Milliarden Dollar im Jahr machte vor Kriegsausbruch das syrische Ölgeschäft aus, rund ein Drittel des Staatshaushalts. Die westlichen Unternehmen Shell, Total und Petro-Canada waren an Förderkonzessionen beteiligt, stets als Partner der staatlichen Ölgesellschaft Syriens. Die größten Investitionen kamen aber aus dem Iran, den Golfstaaten und Russland. Auf 2,5 Milliarden Barrel werden die syrischen Ölreserven geschätzt, doch seit einem Jahrzehnt sinkt die Fördermenge fast von Jahr zu Jahr. 2011, vor der Eskalation des Bürgerkriegs, hat das Land nach den Zahlen des BP Energy Report täglich ungefähr 332.000 Barrel gefördert, ungefähr so viel wie Thailand. Für den Weltmarkt spielte das keine Rolle.
Benzin aus dem Ausland
Für das laufende Jahr schätzt die Internationale Energieagentur (IEA) die tägliche Förderung in Syrien auf immerhin noch 130.000 Barrel. Überprüfen lässt sich das nicht.
Inzwischen sieht Assad sich gezwungen, Benzin aus dem Ausland zu importieren. Um das Militär weiterhin versorgen zu können, habe die Regierung seit Ausbruch des Krieges 3,5 Milliarden Dollar für Benzinimporte ausgegeben, so der damalige Ölminister Sufian Allaw im Mai 2012 gegenüber der staatlichen Nachrichtenagentur Sana. Hoffnung für den Wiederaufbau macht lediglich, dass sich das Ausmaß struktureller Schäden an den Förderanlagen bislang in Grenzen hält. Die Fördergebiete des Ostens liegen jenseits der Ballungszentren, die Kämpfe hier sind weniger heftig als in Aleppo oder Damaskus.
Mächtige Al-Qaida-Freunde
In al-Schedadeh kontrolliert jetzt die islamistische Miliz Dschabhat al-Nusra die Gebäude des staatlichen Ölkonzerns. Al-Nusra gilt als Ableger der internationalen Terrororganisation al-Qaida, und staatliche Medien haben die Rebellen beschuldigt, bei der Einnahme des Gebäudekomplexes neben rund 100 Soldaten auch mehr als ein Dutzend Angestellte des Ölunternehmens ermordet zu haben. Über den sandfarbenen Eingangstoren zum Gelände, in dem einst mehrere Hundert Ölarbeiter ihre Unterkunft fanden, hängt jetzt die schwarze Fahne der Radikalen. Ein Bild, das ganz in die Rhetorik des Regimes in Damaskus passt: Parteigänger Baschar al-Assads warnen Europäer und Amerikaner nachdrücklich, dass jede Unterstützung der Aufständischen am Ende nur mörderischen Feinden des Westens nutzen werde.
Rebellen-Oberst Abu Dschihad sieht das natürlich anders: Die Al-Nusra-Leute „schützen die Quellen gegen Plünderer und verteilen das Öl an die Bevölkerung“, überhaupt seien diese Kampfgenossen militärisch notwendig, um den Krieg gegen Assad zu gewinnen. Dass es bereits zu zahlreichen Zwischenfällen zwischen verschiedenen Rebellengruppen kam, mag der Oberst nicht bestreiten, auch nicht, dass angeblicher Öldiebstahl manchmal nur ein Vorwand war, um Rivalitäten zwischen verschiedenen Gruppen der Assad-Gegner auszutragen. Im dünn besiedelten, eigentlich konservativen Osten Syriens versuchen Stammesführer ihre Machtposition im neuen Syrien zu sichern, zwischen islamistischen Extremisten und verschiedenen anderen Milizen kommt es immer wieder zu Gefechten. Auch darum hat die syrische Opposition sehr wenig davon, dass Assad die Kontrolle über die Ölquellen verloren hat.
Immerhin darf die Nationale Koalition, das offizielle Bündnis der Assad-Feinde, in Zukunft Erdöl nach Europa exportieren und aus den EU-Staaten Technik für die Erdölförderung importieren. Die Lockerung der gegen alle Seiten im syrischen Bürgerkrieg verhängten Sanktionen fördere den wirtschaftlichen Aufbau und sei „ganz sicherlich auch eine Stärkung der demokratischen Opposition“, hat Bundesaußenministers Guido Westerwelle verkündet. Als ob es schnell wieder wie 2011 werden könnte, als die Europäer syrisches Öl im Wert von 3,6 Milliarden Dollar einführten, fast 95 Prozent der syrischen Ölexporte. Bis zu 30 Prozent der syrischen Ausfuhren flossen in guten Zeiten nach Deutschland.
Lockerung der Sanktionen
Aus Berliner Sicht ist darum die Lockerung der Sanktionen ein wichtiger Schritt. Aus dem Osten Syriens gesehen, erscheint sie sinnlos. Al-Nusra-Kämpfer als Geschäftspartner des Westens sind sowieso eine Horrorvorstellung, aber vor allem verfügen die Aufständischen nicht über die Anlagen für Verarbeitung und Transport des Erdöls, die Hinterhofraffinerien in den ostsyrischen Dörfern taugen kaum zur Versorgung der eigenen Bevölkerung. Die großen Raffinerieanlagen im von Assad kontrollierten Westen des Landes sind für die Ölförderer im Rebellengebiet unerreichbar geworden.
Die Staaten mit dem größten Öldurst
Taiwan
Der Inselstaat importiert rund 1,0 Millionen Fass Öl am Tag. Ein Fass (Barrel) Öl entspricht rund 159 Litern. Taiwan rangiert auf dem zehnten Platz der Ölverbraucher.
Quelle: Internationale Energieagentur (EIA), Stand: August 2012
Italien
Die Bewohner des Stiefelstaats verbrauchen rund 1,3 Millionen Fass Öl am Tag.
Spanien
Die gleiche Menge Rohöl führt Spanien ein. Dort sind es 1,3 Millionen Barrel am Tag.
Frankreich
Etwas mehr verbrauchen die Nachbarn nördlich der Pyrenäen: Dort sind es 1,7 Millionen Fass Öl täglich.
Südkorea
Noch etwas mehr Öl schnappt sich Südkorea. Das Land importiert 2,3 Millionen Fass Öl.
Deutschland
Der Öldurst Deutschlands ist ähnlich groß wie von Südkorea: 2,3 Millionen Fass Öl verbrauchen die Deutschen täglich.
Indien
Die gleiche Menge des Energieträgers wie Deutschland führt Indien ein. Das aufstrebende Land kommt auf 2,3 Millionen Fass Öl.
Japan
Deutlich mehr Volumen des Energieträgers nutzen die Japaner. Dort sind es 4,3 Millionen Fass täglich. Der Inselstaat ist damit der drittgrößte Ölimporteur der Welt.
China
Noch mehr des Rohstoffs holt die Volksrepublik ins Land. 5,5 Millionen Fass importieren die Chinesen täglich.
USA
Mit Abstand das meiste Erdöl verbrauchen die USA: Mit 8,7 Millionen Fass täglich liegen die Amerikaner an der Spitze.
Und dort, in der Hafenstadt Baniyas und in Homs, haben die Raffinerien mit einer Vorkriegskapazität von insgesamt 240.000 Barrel wenig zu tun. Durch die im 20. Jahrhundert höchst bedeutende Pipeline aus Kirkuk im Irak floss schon seit dem amerikanischen Irakkrieg von 2003 kein Öl mehr. Inzwischen exportiert der weitgehend autonome Irak viel Öl über die Türkei, Syrien hatte seine Bedeutung als Transitland schon vor dem Bürgerkrieg verloren. Jetzt ist Homs zur Kampfzone geworden, die Industrieanlagen wurden mehrmals Ziel von Angriffen, und das Ausmaß der Zerstörungen ist unbekannt. In Baniyas, einer Hochburg der alawitischen Volksgruppe, aus der die Familie Assad stammt, sind die Raffinerie- und Hafenanlagen intakt, ohne Zustrom von Rohöl aber funktionslos geworden.
Die syrische Wirtschaft ist durch den Bürgerkrieg in zwei Teile gespalten, von denen keiner auf sich gestellt lebensfähig ist. Noch im Juli 2011, als der Aufstand bereits gegen Assad schon ausgebrochen war, plante die Regierung in Damaskus, gemeinsam mit dem Irak und dem Iran zehn Milliarden Dollar in die Vernetzung der Ölproduktion der drei Länder zu investieren. Davon ist schon aus politischen Gründen heute keine Rede mehr.
Vor Ende des Krieges hat die syrische Ölwirtschaft keine Chance. Gut klingende Beschlüsse der Europäischen Union können daran nichts ändern.