Syrien-Konflikt Ein Krieg verändert die Welt

Der Konflikt in Syrien hat erst das Land und dann eine ganze Region zerstört. International hat er die Machtverhältnisse durcheinander gewirbelt. Wer der große Verlierer ist, überrascht.

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Ein Soldat der Freien Syrischen Armee steht auf einem Panzer. Seit mehr als fünf Jahren bekämpft die Oppositionsgruppe das Regime von Baschar al-Assad. Quelle: AP

Beirut Sie waren noch Kinder, als sie im Frühjahr 2011 mit einer Spraydose bewaffnet durch die Straßen von Daraa liefen. Vor einer Mauer hielten sie und sprühten: „Du hast das Land geplündert, Assad – jetzt bist du dran.“ Niemand konnte wissen, welche Konsequenzen dieser Schriftzug haben sollte. Denn was folgt sind Festnahmen durch den Geheimdienst, Folter, Misshandlung.

Ein hoher Beamte sagte zu den Eltern der Kinder: „Vergesst diese Kinder, macht neue“. Die Eltern machten die Aussagen publik – und sie verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Sie war der Auslöser eines Konflikts, der erst Syrien in einen Bürgerkrieg stürzte, dann eine Region ins humanitäre Chaos und schlussendlich das weltpolitische Machtgefüge durcheinander wirbelte. Fünf Aspekte, die zeigen, wie ein Konflikt die Welt verändert:

Aufstieg der Terrormiliz Islamischer Staat

Im Machtvakuum des Syrienkonflikts stieg ein kaum bekannter, extrem gewalttätiger Ableger von Al-Kaida zur weltweit vorherrschenden Terrormiliz auf. 2014 übernahm die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) die nordsyrische Stadt Rakka und eroberte anschließend Mossul im Nordirak. Schließlich beherrschte die Terrormiliz auf beiden Seiten der Grenze ein Gebiet von der Größe Großbritanniens und erlangte dort die Kontrolle über Waffen, Vermögenswerte und Menschen.

Die syrische Regierung hatte der Ausbreitung des IS nichts entgegenzusetzen, da ihre Kräfte im Kampf gegen Oppositionsgruppen in den bevölkerungsreicheren Gebieten am Mittelmeer gebunden waren.

Der IS verbreitet in der Region – und weltweit – Furcht. Er geht brutal gegen Minderheiten vor, misshandelt Frauen systematisch als Sexsklavinnen, hat reguläre staatliche Truppen bezwungen und macht aus der Tötung von Gegnern öffentlichkeitswirksame Spektakel. Er hat Weltkulturerbe-Stätten wie die antike Oasenstadt Palmyra zerstört und befeuert den illegalen Handel mit Kulturschätzen.

Der IS hat von Frankreich bis Jemen Terroranschläge verübt und sich im Norden Libyens ein weiteres Standbein aufgebaut, das das sogenannte Kalifat in Syrien und Irak überdauern könnte. Und er hat tausende junge Männer und Frauen aus Europa angelockt, die sich ihm angeschlossen haben.


Russland erstarkt, Europa erodiert

Wiedererstarken Russlands

„Es gibt einen Mann auf diesem Planeten, der den Bürgerkrieg in Syrien mit einem Telefonat beenden kann, und das ist Herr Putin“, sagte der britische Außenminister Philip Hammond kürzlich. Der russische Präsident Wladimir Putin hat im Nahen Osten wieder Fuß gefasst, nachdem er jahrelang lediglich Zuschauer war, während die USA in der Region den Ton angaben.

Im September schickte Putin seine Luftwaffe, um die Gegner der syrischen Regierung zu bombardieren. Zuvor hatte er die Regierung von Präsident Baschar al-Assad bereits mit Waffen, Beratern und Wirtschaftshilfe unterstützt.

Die jüngste Waffenpause geht weitgehend auf ein Machtwort Putins zurück. Russlands Pläne für Syrien sind noch nicht bekannt, doch wer immer Syrien künftig führen wird, wird sein Amt im Wesentlichen Putin verdanken. Dieser griff bereits 2008 in Georgien und 2014 in der Ukraine ein, als er russische Interessen bedroht sah. Inzwischen hat Russland in der öl- und gasreichen Region eine entscheidende Rolle eingenommen.

Destabilisierung Europas

Als 1985 das Schengener Abkommen für ein Europa ohne Binnengrenzen geschlossen wurde, dachte niemand an einen Flüchtlingszustrom von mehr als einer Million Menschen innerhalb eines Jahres, wie 2015 geschehen. Tausende Menschen kamen bei dem Versuch ums Leben, den Kontinent per Boot zu erreichen.

Das Schengener Abkommen wird auf die Probe gestellt: Viele Staaten entlang der Balkanroute von Griechenland nach Deutschland haben ihre Grenzen für Flüchtlinge inzwischen geschlossen und Kontrollen eingeführt. In Griechenland sitzen Zehntausende Menschen fest, während andere, die es nach Mittel- und Nordeuropa geschafft haben, auf die Bearbeitung ihrer Asylanträge warten. Der Flüchtlingszustrom ruft in der Bevölkerung sowohl großzügige Hilfe als auch Fremdenfeindlichkeit hervor.


Aufstieg des Iran

Nicht zuletzt die Anschläge des IS in Paris im November führten zu einem Erstarken rechtsgerichteter Parteien. In den USA sprach sich der führende republikanische Präsidentschaftsbewerber Donald Trump für ein vorübergehendes Einreiseverbot für Muslime in das Land aus.

Überforderung der Nachbarländer

Von der Flucht der Syrer sind die Nachbarstaaten des Bürgerkriegslandes noch viel stärker betroffen als Europa. Die Türkei, der Libanon und Jordanien allein beherbergen etwa 4,4 Millionen Flüchtlinge aus Syrien. In Libanon machen sie mehr als ein Fünftel der Bevölkerung aus. Dort führt der Syrien-Konflikt zu einer weiteren Destabilisierung der ohnehin prekären politischen Lage.

Aufstieg des Iran

Der Syrien-Konflikt hat zu einer Umverteilung der Macht in der Region geführt. Die Einflusssphäre des schiitischen Iran reicht nun von Beirut bis Teheran, die Regierungen in Bagdad und Damaskus hängen von ihm ab.

Im Libanon wird der Iran von der Hisbollah-Miliz vertreten, die Israel im Jahr 2000 aus dem Süden des Landes vertrieb. Zur Unterstützung Assads entsandte sie Tausende Kämpfer nach Syrien. Die Hisbollah baut ihre Position an der Nordgrenze Israels kontinuierlich aus und übt mit moderner Artillerie an der Seite russischer und iranischer Truppen.

Die sunnitische Regionalmacht Saudi-Arabien hat dagegen Mühe, sunnitische Rebellen in Syrien zu unterstützen, während sie zugleich von Iran unterstützte schiitische Rebellen in Jemen bekämpft.

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